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Zeit und Geschichte

Gestern & Heute: Werke von und Erinnerungen an Evelyn Richter

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergDienstag, 19.10.2021

Die nun 91-jährig verstorbene Evelyn Richter fotografierte und dokumentierte das Leben und den Verfall der DDR. Dabei schuf sie Bilder, die konkret verankert sind und dennoch allgemeingültig.

Lang war sie, die den verordneten Optimismus nicht schuf, eine Außenseiterin, die aber von heute gesehen, die Essenz einer Epoche veranschaulichte.

Der Nachruf in der SZ beginnt mit dieser sprechenden Anekdote:

Als Evelyn Richter Anfang der Achtzigerjahre für die Frauenzeitung Für Dich sächsische Kammgarnspinnerinnen fotografieren durfte, war das Ergebnis den Kulturfunktionären des sozialistischen Realismus, nun ja, zu realistisch: Richter hatte sich erdreistet, auf ihren Schwarz-Weiß-Aufnahmen die Wahrheit zu zeigen, sehr harte Arbeit, bittere Armut vor hoffnungslos veralteten Maschinen. Also wurde die ganze Serie im Heft kurzerhand mit fetten Kleeblattbordüren aufgehübscht.

Neben ihrem Werk mag ich ihre schlicht formulierten, aber nie einfältigen Einsichten. Ihr Credo: Ein gutes Bild müsse die Kraft des Erlebnisses enthalten, Emotionen verdichten und Inhalte transportieren.

Das freilich gilt weit über das Werk der 1930 im sächsischen Bautzen geborenen Künstlerin, die sich nicht nur im Osten durchkämpfen musste. Erst mit über 70 Jahren wurde sie auch im Westen wahrgenommen.

Seit 2009 ist ein Großteil ihrer Arbeiten in einem nach ihr benannten Archiv im Museum der bildenden Künste in Leipzig aufbewahrt. Sehenswerte Einblicke in dieses findet man hier, die oft thematisch geordnet sind. Im Abschnitt Evelyn-Richter-Archiv gibt es ein Foto aus dem Jahr 1972: Ein Kahn namens Traumland schippert aus dem Dunst kommend an der Berliner Museumsinsel vorbei.

Ein Zauber und eine dokumentarische Schärfe gehen von solchen Aufnahmen aus.

Im vom Schriftsteller Ulf Erdmann Ziegler geschriebenen Nachruf in der taz heißt es zum dort abgebildeten Foto "Musikviertel" aus dem Jahr 1976:

zwei Buben mit großen Fahnen auf dem Rücken, im Weggehen gesehen. Im Dunst ein stolzer Plattenbau, der ihre Zukunft verriegelt, und als Vedute gebaut Andeutungen von Gründerzeithäusern rechts und links. Unglaublich das Flickenmuster von Kopfsteinpflaster und geteerter Straße – Patchwork-Geschichte im Jahr der Ausweisung Wolf Biermanns. Soeben sind die Buben, heimkehrend, auf das glänzende Schwarz getreten, wo sie nun für immer verharren werden, eingereiht in die jahrhundertealte Ikonografie geschlagener Helden.

Wer Evelyn Richter noch nicht kennt, hat eine Entdeckung vor sich, die anderen eine Wiederbegegnung.


Gestern & Heute: Werke von und Erinnerungen an Evelyn Richter

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