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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Es gibt mindestens zwei Hauptwege über Corona zu schreiben: Parallelen und Ähnlichkeiten zu vergangenen Seuchen wie der Spanischen Grippe darzustellen oder aber aufzuzeigen, was neu an dieser Pandemie ist. Beides kann erhellend sein, beides führt zu anderen Schlussfolgerungen.
Den ersten Weg gehen Heiner Fangerau und Alfons Labisch in einer medizingeschichtlichen Abhandlung von der Cholera bis Corona. Freilich, sie sehen dabei auch das offensichtlich Neue der modernen Technik.
Ein Foto von 1918 in diesem Beitrag, das einen Schaffner zeigt, der einen Fahrgast ohne Maske abweist, spricht für sich. Damals tobte die Spanische Grippe, die bis heute so genannt wird, da Spanien nicht am Ersten Weltkrieg teilnahm, dadurch keine Militärzensur hatte und die Nachrichten über diese neue Krankheit dort zuerst erschienen. In anderen Ländern unterdrückte man sie, da man die "Heimatfront" nicht schwächen wollte.
Viele Parallelen werden in diesem Beitrag aufgezeigt:
Ob Ausgrenzung, etwa das Einfordern einer Grenzschließung; Stigmatisierung, etwa als »Corona-Leugner«; Verdächtigung, beispielsweise hinsichtlich einer angeblich geplanten staatlichen »Umgestaltung«; Denunziation, heute vielfach über die »sozialen Medien«; bis hin zu grotesken Verschwörungsmythen. Einige Medien versuchen ebenfalls, wie aus der Geschichte vielfach bekannt, mit Skandal-, Angst- und Empörungsgeschichten die Situation für sich auszunutzen. ... Die wichtigste (Frage, A.E.) aber wird wohl sein, was die heutigen Gesellschaften aus der Erfahrung mit Sars-CoV-2 für ihr künftiges kulturelles Miteinander lernen. Neben einer besseren Prävention sowie einer zügigeren Reaktion auf Seuchen sollte dazu sicherlich zählen, Härten und Ungerechtigkeiten, die aus Schutzmaßnahmen folgen, zu minimieren und auszugleichen.
In einem starken Text beleuchtet der bulgarischstämmige, deutschsprachige Schriftsteller und Weltreisende Ilija Trojanow gravierende Unterschiede.
Mitte Februar 2020 erlebte der teilweise in Kenia aufgewachsene Autor eine Heuschreckenplage. Bang fragte ihn schon der Taxifahrer: Wovon werden wir uns ernähren?
Die Gründe für diese Katastrophe, die keineswegs ausgestanden ist, sondern nur medial verdrängt, sind wissenschaftlich unstrittig: Messungen zeigen, dass die Weltmeere letztes Jahr so warm waren wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit, seit zehn Jahren ein kontinuierlicher Trend. Die steigenden Wassertemperaturen lösen Wetterextreme wie Wirbelstürme, Starkregen und Dürre aus, sie unterbrechen die hydrologischen Zyklen. Im Indischen Ozean ist es zu einem ökologischen Tipping Point gekommen, zu einer sogenannten Klimawippe. Daher hat es in Ostafrika aussersaisonal viel zu viel geregnet, sodass sich die Larven der Heuschrecken massenhaft ausbreiten konnten.
Dass eine Gefahr, die Millionen Menschen extrem gefährdet, aus unserer Wahrnehmung verschwinden konnte,
deutet auf unsere Unfähigkeit, die strukturellen Fehler im herrschenden System in ihrer multikausalen Komplexität zu erfassen und darauf angemessen zu reagieren.
Planetarisch betrachtet war Zentraleuropa vor Corona wenig von viralen Plagen betroffen. Wer aber die Vielzahl dieser Katastrophen - man denke nur an Ebola - im noch jungen 21. Jahrhundert sieht, erkennt künftige Gefahren:
Laut Fachleuten ist es sehr wahrscheinlich, dass Pandemien zukünftig noch zunehmen werden und eines Tages ein extrem infektiöses Virus Hunderte Millionen Menschen töten könnte.
Bislang veränderte sich nach solchen Seuchen zu wenig:
Nach jeder Epidemie herrscht Erleichterung vor, das Schlimmste vermieden zu haben, die alltägliche Ausbeutung wird fortgesetzt. Trotz alledem, das Paradies der gesicherten Normalität wird sich wieder einstellen, wir werden auch diese Katastrophe überstehen.
Scharf und klar stellt Ilija Trojanow die Systemfrage:
Wir wissen, dass das, was sich heutzutage Wohlstand nennt, auf einem noch nie da gewesenen Raubbau basiert. Die ökologischen Zerstörungen wie auch das extreme Anwachsen von Ungleichheit sind umfassend analysiert und dokumentiert. Die Negativtendenzen sind weitestgehend anerkannt, nur nicht in Kreisen von Realitätsleugnern und systemrelevanten Ideologen. Und doch halten viele Menschen das System tagsüber für stabil, um sich nächtens in ihren Albträumen zu wälzen.
Quelle: Heiner Fangerau, Alfons Labisch, Ilija Trojanow www.spektrum.de
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