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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Nachdem der Gewaltherrscher im Kreml die Ausweitung der Kampfzone in der Ukraine drastisch vergrößerte, schwirren Vergleiche mit Stalin und Hitler herum, werden westliche Politiker mit ihren Vorgängern nicht verglichen, sondern gleichgesetzt. Ausdrücke aus den 1930er Jahren kommen wieder in Mode: Als Appeasement- bzw. Beschwichtigungspolitik wird das deutsche Agieren der letzten Jahrzehnte gebrandmarkt; wie der britische Premierminister Chamberlain Hitler angeblich aus Unwissen und Feigheit stärker gemacht habe, so tat es diesmal Merkel mit Putin.
Benjamin Carter Hett, Professor für Geschichte am Hunter College und dem Graduate Center der City University of New York (CUNY), erläutert in diesem Artikel unterschiedliche Strategien und zeichnet ein überraschendes Bild jenseits der Klischees und zeigt auf, was man von Gestern für Heute lernen kann.
Chamberlain war besser als sein Ruf heute:
Er war hart und mutig, dazu auch arrogant und diktatorisch in seinem Regierungsstil, und in vielerlei Hinsicht ein äußerst kompetenter und weitsichtiger Politiker.
Chamberlain bekommt durch diesen Artikel eine aktuelle Statur.
Oft wird heute Churchill mythisch verklärt oder zum Verbrecher verkleinert. Im Beitrag, den man sich auch vorlesen lassen kann, werden seine mächtige Gestalt und seine Fehler scharf akzentuiert.
Obwohl er am Anfang gar kein entschiedener Gegner der Nazidiktatur war, erkannte und benannte Churchill bereits 1938 als einziger britischer Politiker die Gefährlichkeit Hitlers. Er forderte:
(Wer beeindruckt ist von der Wortgewalt der Churchill-Zitate und mehr wissen will vom späteren Literaturnobelpreisträger, dem sei dieser Artikel empfohlen).Eine demokratische Regierung müsse in ihrem eigenen Interesse, aber auch im Interesse der Aufrechterhaltung einer demokratischen Welt, die systemischen Auswirkungen des Angriffs eines großen Landes auf eine kleine Demokratie bedenken – und entsprechend reagieren.
Für alle ein Zitat nach dem deutschen Angriff im Jahre 1940:
Wir werden bis zum Ende gehen. Wir werden in Frankreich kämpfen, wir werden auf den Meeren und Ozeanen kämpfen. Wir werden mit wachsender Zuversicht und wachsender Stärke in der Luft kämpfen. Wir werden unsere Insel verteidigen, was immer es kosten mag. Wir werden an den Stränden kämpfen, wir werden an den Landungsstellen kämpfen, wir werden auf den Feldern und auf den Straßen kämpfen, wir werden in den Hügeln kämpfen. Wir werden uns niemals ergeben.
Und was ist mit Roosevelt, dem rätselhaften amerikanischen Präsidenten, den man auch FDR nannte?
Ähnlich scharf wie Churchill sah dieser die Lage, obwohl sie sich beide in anderen Fragen stark unterschieden. FDR erkannte für die USA:
Als demokratische Insel in einer faschistischen Welt müssten sie aufrüsten und ihre Freiheit einschränken, so dass auch die Demokratie im eigenen Land gefährdet oder gar zerstört würde. Anders ausgedrückt: Die amerikanische Freiheit war untrennbar mit der Freiheit Europas verbunden (und zu seinem großen Verdienst war Roosevelt auch ein entschiedener Antiimperialist, ein Punkt, an dem es zwischen ihm und Winston Churchill häufig zu Reibereien kam).
Obwohl FDR noch nicht Handeln musste wie Churchill, dessen Land angegriffen, stark bedrängt und geschwächt war, agierte er vorausschauend:
Im Dezember 1940, als Großbritannien vor dem finanziellen Zusammenbruch stand und nicht mehr in der Lage war, die Lieferungen aus den Vereinigten Staaten zu bezahlen, schlug Roosevelt das Lend-Lease-Programm vor, in dessen Rahmen die Vereinigten Staaten Großbritannien kostenlos eine breite Palette von Waffen und anderen Gütern liefern sollten.
Und was könnte man daraus für heute lernen? Benjamin Carter Hett macht diesen Vorschlag:
Wenn wir einen direkten militärischen Konflikt mit Russland vermeiden, aber dennoch die ukrainische (und weltweite) Demokratie retten wollen, dann besteht die einzig mögliche Antwort in Sanktionen, um Russlands kriegstreibende Kraft zu schwächen (à la Chamberlain), und Lend-Lease für die Ukraine à la Roosevelt: Demokratien in Europa, Amerika und anderswo müssen ihr Möglichstes tun, um den Ukrainern militärische und andere Hilfe zukommen zu lassen, damit sie die Linie halten können, wie es Großbritannien 1940 getan hat. Ein Zusammenbruch der Ukraine würde, wie FDR das genau sah, das Schreckgespenst eines von militärischer Aufrüstung dominierten, quasi-autoritären „Garnisonsstaates“ für den Rest von uns heraufbeschwören.
Das ist überlebenswert, aber leider musste Roosevelt erkennen, dass die USA doch in den Krieg hineingezogen werden. Heute wäre das ein Kampf gegen eine Atommacht, gestern allerdings war die Schlagkraft der Wehrmacht, die bis vor Moskau kam, stärker.
Quelle: Benjamin Carter Hett u.a. geschichtedergegenwart.ch
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