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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Sind Teile der AfD oder des französischen Rassemblement National faschistisch? Oder gar die gesamten Parteien? Was aber sagt das aus über die beträchtliche Wählerschaft? Ist Faschismus nur ein zu oft benutztes Totschlagargument? Warum aber verschwindet es nicht, weder in Deutschland noch Europa oder der Welt, wenn es nicht relevant ist?
Diese Fragen, die tagesaktuell wirken, sind - bis auf die aktuelle Namen wie AfD oder die Rassemblement National - von gestern.
Ihnen stellte sich der mittlerweile klassisch werdende Umberto Eco (1932-2016). Der große Wissenschaftler, populäre Kolumnist und denkwürdige Romancier (u. a. Autor vom Best- und Longseller "Der Name der Rose") hielt dazu 1995 eine prägnante Rede aus Erinnerungen und Gedanken.
Immerhin war er im Italien unter dem faschistischen Diktator Mussolini geboren und aufgewachsen. Schon vor einem Vierteljahrhundert schrieb Eco:
Faschismus wurde zu einem „Allzweckbegriff“, weil man aus faschistischen Regimen Merkmale eliminieren kann und es trotzdem noch als faschistisch erkennbar sein wird. Nehmen Sie den Imperialismus vom Faschismus und Sie haben noch Franco und Salazar. Nehmen Sie den Kolonialismus weg und sie haben noch den Balkanfaschismus der Ustascha. Fügen Sie dem italienischen Faschismus einen radikalen Antikapitalismus hinzu, (der Mussolini nie fasziniert hat) und Sie haben Ezra Pound. Addieren Sie einen Kult der keltischen Mythologie und die Gral-Mystik (völlig fremd dem offiziellen Faschismus) und Sie haben einen der angesehensten faschistischen Gurus, Julius Evola.
Als Umberto Eco das schrieb, da waren noch keine rechtsextremen Parteien in Europa mit beträchtlicher Wählerschaft zurückgekehrt.
Als das sich änderte, da destillierte Valentin Grünn 2017 aus der unter anderem in DIE ZEIT (gekürzt) und in der NEW YORK TIMES 1995 abgedruckten Rede von Umberto Eco, 14 Merkmale des Ur-Faschismus. Es ist der zentrale Text dieses Piqs.
Wem das zu wenig ist und wer noch Texte aus dem Umfeld dieser denkwürdigen Rede wünscht, findet das im gerade aus aktuellem Anlass erschienenen Buch Der ewige Faschismus.
Das Vorwort schrieb kein anderer als der international bekannte Mafia-Aufklärer Roberto Saviano ("Gomorrha"), das vom Hanser Verlag freigeschaltet ist. Beide Autoren trennen Generationen - Saviano ist Jahrgang 1979 -, aber es verbindet sie eine gemeinsame Geschichte. Als Saviano Schutz nach seinen Enthüllungen brauchte, appellierte 2006 Umberto Eco in den italienischen Hauptnachrichten, diesem staatlichen Personenschutz zu geben. Seitdem - immerhin seit 14 langen Jahren - muss der Autor unter Polizeischutz an wechselnden Orten leben.
Roberto Saviano plädiert trotz alledem und alledem - wie es Umberto Eco verlebte -, nicht die Ironie zu verlieren.
Vor seinem Tod 2016 erlebte Eco den Aufstieg der neuen "großen Führer", die er noch erlebt hatte, als sie noch "so klein" waren:
Denn es waren Weisheit und Ironie, mit denen Eco die Banalitäten jener selbst ernannten Verteidiger des Volkes dekonstruierte, die an nichts glauben und sich all dieser Nichtigkeit auch noch rühmen. Umberto Eco fehlt uns. Es fehlt sein Mut, diese Verschwörung von Hohlköpfen, die sich gerne als Populisten bezeichnen lassen, mit der Macht der Intelligenz zu demontieren. Es fehlt sein Mut, sich über das Internet lustig zu machen – nicht mit der Arroganz des weisen Alten, der das Neue verlacht, weil er es nicht versteht, sondern mit dem Scharfsinn eines Menschen, der das Fehlen von Regeln ebenso verachtet wie das Unvermögen der Plattformen, in Kultur zu investieren, anstatt immer nur in Zahlen, und der es nicht ertragen kann, wenn weit und breit jede Art von Ethik fehlt. Das Netz heißt alles willkommen, was es gibt: den rassistischen Aufschrei, das Wutgeheul und die Niederschrift eines Gedichts – solange du es auf meiner Plattform teilst, bist du willkommen, ich werde dich höchstens ein wenig zensieren, wenn du es übertreibst. Eco hatte begriffen, was für eine Gefahr in all dem steckt.
Damit verbindet Roberto Saviano über Jahrzehnte hinweg alte mit neuen Gefahren.
Quelle: Umberto Eco, Roberto Saviano, Valentin Grünn pressenza.com
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