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Zeit und Geschichte

Gestern & Heute: Warum bleibt der gescheiterte Politiker Leo Trotzki so erhellend?

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergFreitag, 21.08.2020
Nur wenige Persönlichkeiten, die vor 80 Jahren starben, regen heute noch auf:

So aber der am 21. August 1940 an den Folgen eines Attentats verstorbene Lew Bronstein, der als Leo Trotzki zu Weltruhm aufstieg.

Er war Kriegsreporter und Revolutionär, Schriftsteller und Flüchtling.

Was Friedrich Schiller über seinen Wallenstein sagt, trifft auch auf Trotzki zu:

Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt,

schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.

Und da sein Lebensweg mindestens so dramatisch wie der von Wallenstein ist, taucht er als literarische Gestalt immer wieder auf. Bei Peter Weiss oder - näher an unserer Zeit - bei Leonardo Paduro.

Einer der besten Beiträge zum heutigen Todestag beginnt so:

In George Orwells Roman »1984«, erschienen 1949, fungiert die mythische Propagandafigur des Volksfeindes Immanuel Goldstein als »der Renegat, der große Abtrünnige, der früher einmal, vor langer Zeit, einer der führenden Männer der Partei gewesen war und fast auf einer Stufe mit dem Großen Bruder selbst gestanden hatte, um dann mit konterrevolutionären Machenschaften zu beginnen, zum Tode verurteilt zu werden und auf geheimnisvolle Weise zu verschwinden.« Natürlich stand hier Leo Trotzki Orwells literarischer Figur Pate.

Mario Kessler, der in Potsdam und New York Geschichte lehrt, beginnt so seinen Gedenkartikel und fasst kompakt und erhellend Trotzkis fesselnden Lebenslauf zusammen.

Dabei gibt es immer wieder Erhellendes zu berichten:

In seinem Buch »Verratene Revolution« analysierte er 1936 das Aufkommen der neuen bürokratischen Herrscherschicht in der Sowjetunion. Nunmehr forderte er die Rückkehr des Sowjetregimes zu einer sozialistischen Demokratie, in der auch Parteien, die auf dieser Grundlage mit den Bolschewiki konkurrierten, ihren Platz haben sollten.

Hier ist das Rollenmodell späterer Dissidenten wie Milovan Djilas ("Die neue Klasse") schon angelegt.

Selbst die heute so zentral erachtete Shoah sagte Leo Trotzki bereits 1938 (!) voraus, also bevor diese im engeren Sinn begonnen hatte.

Aktuell könnte man ihn nennen, weil gerade wieder einmal ein Oppositioneller in Russland - wahrscheinlich nach einem Attentat - um sein Leben ringt. Die Reihe der Morde von Personen, die die Macht schon verloren haben, aber dennoch sterben mussten, ist lang in der Geschichte der sowjetischen bzw. heute russischen Geheimdienste. Leo Trotzki starb fern der Heimat im mexikanischen Coyoacán.

Was aber heute von Leo Trotzki jenseits dieser Tagesaktualität bleibt, ist der überragende Schriftsteller, der auf der Höhe der besten Autoren, die über ihn schrieben, Essays und Analysen, Reportagen und Erinnerungen verfasste.

Unsere Zeit ist reich an Memoiren, vielleicht reicher als jede frühere. Das kommt daher, daß es viel zu erzählen gibt. Das Interesse für Zeitgeschichte ist um so gespannter, je dramatischer die Zeit und je reicher sie an schroffen Wendungen ist. Die Kunst der Landschaftsmalerei konnte nicht in der Sahara entstehen.

So beginnt Trotzkis "Mein Leben", das man hier neben anderen Schriften, die Mario Kessler erwähnt, finden kann.

Das Buch führt uns ein in die Dramatik von Umbruchszeiten, die uns in anderen Variationen bevorstehen könnten.

Gestern & Heute: Warum bleibt der gescheiterte Politiker Leo Trotzki so erhellend?

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