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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Ja, warum gibt es so viele in Russland, die den Krieg befürworten?
Die gängige Antwort: Angst und Propaganda.
Das ist nicht falsch, zumal die Repressionen wachsen, aber es ist nicht ausreichend.
Freilich, die Unsicherheiten bei Statistiken in einem faschistischen Mafia-Staat sind zu beachten, aber Olga Chyzh erläutert einen noch wichtigeren Antrieb:
Als die Sowjetunion sich 1991 auflöste, waren die ethnischen Russen in allen postsowjetischen Ländern ausser in Russland eine Minderheit. ... Die Zahl derer, die entweder als Mutter- oder Zweitsprache Russisch sprachen, war allerdings viel höher – eine Folge der gnadenlosen Russifizierungskampagnen, die seit 1938 in der Sowjetunion durchgeführt wurden.
Streng genommen könnte man sogar noch weiter zurückgehen, denn schon im zaristischen Russland gab es im 19. Jahrhundert solche Tendenzen.
Die nun unabhängigen Nachfolgestaaten der Sowjetunion mussten nach 1991 mit der Neubildung ihrer Nationen beginnen oder diese fortsetzen.
Diese Nationenbildung – das war keine Überraschung – lief darauf hinaus, dass zugunsten des Nationalen (zum Beispiel des Moldauischen oder Ukrainischen) alles Sowjetische – und Russische – zurückgedrängt oder gleich ganz über Bord geworfen wurde und die Macht- und Vermögensverhältnisse sich entsprechend veränderten.
Da fast alle dieser «betrogenen Generation», so die umgangssprachliche Bezeichnung für die russischen Muttersprachler, die Verwandte und Freunde in Russland hatten und haben, ist man über Ungerechtigkeiten gegenüber russischsprachigen Minderheiten auch jenseits der Propaganda informiert.
Der letzte Satz dieser Analyse der mittlerweile in Toronto lebenden Politikwissenschaftlerin ist ein Paukenschlag:
Tief in ihrem Innern wissen sie, dass das Massaker von Butscha wirklich passiert ist, doch es kümmert sie nicht, weil die Opfer «minderwertig» sind.
Ergänzend sei dieses Interview mit dem ukrainischen Soziologen Wolodymyr Ischtschenko über die inneren Entwicklungen der Ukraine empfohlen. Deren Wege zu Freiheit und Demokratie waren keineswegs so eindeutig positiv. Auch der Euromaidan und andere Umbrüche waren keine revolutionären Durchbrüche:
Es handelte sich dabei nicht um Umwälzungen, die zu grundlegenden sozialen Veränderungen in der Klassenstruktur – oder gar in der politischen Struktur des Staates – führten. Vielmehr handelte es sich um Mobilisierungen, die dazu beitrugen, die alten Eliten durch neue abzulösen, wobei die neuen Eliten Fraktionen derselben Klasse waren.
Die Forbes-Liste der reichsten Menschen in der Ukraine blieb bei allen sektorialen Revolutionen gleich.
Vergleichbares kann man auch von anderen Nachfolgestaaten schreiben; deshalb blieb auch nach nach dem Euromaidan 2014
die postsowjetische Krise der politischen Repräsentation, reproduzierte und verstärkte sie aber auch. ... Diese oligarchischen Parteien waren um einen „großen Mann“ herum strukturiert und basierten auf Klientelbeziehungen: In Ermangelung eines anderen Modells reproduzierten sie die schlimmsten Merkmale der KPdSU – schwerfälligen Paternalismus, Passivität der Bevölkerung – ohne ihr legitimierendes „Modernisierungsprojekt“.
Kurzum: Das schwere Erbe der Sowjetunion konnte noch nicht transformiert werden in neue Wege ins Offene. So entwickelten sich viele russischsprachigen Bevölkerungsteile zu Sündenböcken.
Last but not least sei dieses Gespräch mit der in Berlin lebenden Soziologin Polina Aronson empfohlen, in dem sie nicht die Wunden und Traumata des Gestern beleuchtet, sondern ergänzt, wie die "Reformen" der letzten Jahrzehnte viele Menschen entpolitisierten oder diese in einem nahezu diskussionsfreien Raum aufwuchsen:
Die Menschen haben leider nie gelernt, miteinander zu debattieren und die Macht zu adressieren. In den letzten zehn Jahren gab es immer weniger die Möglichkeit dazu. Dazu kommen die brutale neoliberale Wirtschaft und ein gnadenloser Arbeitsmarkt.
Das Einzige, was den Staatsbürgern blieb, war das Selbst. So sind Selbstoptimierung und der Versuch, die eigenen Gefühle irgendwie zu sortieren, dieses ganz klassisch Neoliberale, in Russland sehr stark etabliert.
Ohne diese ganz alten Gründe von Gestern und die schon etwas eingealterten neuen, kann man die Haltung vieler nicht ausreichend erklären.
Alle drei Beiträge enthalten noch viel anderes, um Haltungen und Einstellungen im postsowjetischen Raum zu verstehen.
Quelle: Olga Chyzh, Wolodymyr Ischtschenko, Polina Aronson www.republik.ch
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Wo hat es in Rußland eine neoliberale Wirtschaft gegeben? Das ganze System erinnert eher an eine diktatorisch dirigierte Maffiawirtschaft - immer mehr mafiöse Bürokratie, immer mehr Staat. Das System Putin ist m.E. eher das Gegenteil von Neoliberalismus? Wo soll da eine Selbstoptimierung von Staatsbürgern stattgefunden haben? Gibt es überhaupt noch ein Bürgertum im klassischen Sinne?
Was den russischen Chauvinismus betrifft, zitiere ich gern Lenin:
“Kratze manch einen Kommunisten, und du wirst auf einen großrussischen Chauvinisten stoßen.”
“Ganz besonders vorsichtig muß eine Nation wie die Großrussen sein, die in allen anderen Nationen erbitterten Haß gegen sich geweckt hat.”
Schlußwort zum Bericht über das Parteiprogramm (19. März 1919); Ausgewählte Werke, Dietz Verlag Berlin 1970, Bd. 3; S. 211
Also ein sehr altes Phänomen …..
Der Artikel ist sehr gut geschrieben und übersetzt.
Ich glaube, der großrussische Chauvinismus ist wesentlich älter als die Sowjetunion. Er geht womöglich bis auf das muskovitische Reich zurück, das sich immer mehr und mehr ausdehnte.
Ein sehr lesenswerter Artikel. Vielen Dank für die Empfehlung