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Zeit und Geschichte

Gestern & Heute: (Vor-)Letztes zum Zerfall der Sowjetunion

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergDonnerstag, 06.01.2022

Die Linke ist noch immer geprägt durch die Niederlage der Sowjetunion 1990/1991 und deren vorhergegangenes Scheitern,

meint die Publizistin und Künstlerin Bini Adamczak, die damals noch ein Kind war.

Auch die nicht-autoritäre Linke, die sich nicht positiv, sondern kritisch auf die Sowjetunion bezogen hat, hat unter deren Untergang gelitten. Denn mit diesem hat sich die Vorstellung durchgesetzt, dass mit dem liberal-demokratischen Kapitalismus das Ende der Geschichte erreicht ist und alle Versuche weitergehender Veränderung zwecklos sind.

Dass diese Phase der Historie vorbei und vergangen ist, stimmt die jüngste Protagonistin meiner kleinen Reihe nicht hoffnungsfroh.

So, wenn auch anders gewichtet, war es auch bei Frank Deppe und mit dem  überzeugenden Klaus Dörre.

Bei Bini Adamczak heißt es:

Dass das Ende der Geschichte selbst an ein Ende gekommen ist, zeigt sich unglücklicherweise auch an der Wiederkehr des europäischen Faschismus weit über Europa hinaus. Der Ausgang der Geschichte ist wieder offen, die Zukunft ungewiss.

Stärker als ihre beiden älteren Kollegen warnt sie vor autoritären Versuchungen innerhalb der Linken, die ja auch zum Niedergang und der Implosion der Sowjetunion beitrugen.

Gleichzeitig versteht sie angesichts der ökologischen Katastrophe solche Tendenzen:

Diese Katastrophe in kürzester Zeit abzuwenden oder zumindest abzumildern, ist unbestreitbar notwendig. Aber es erscheint unter der Bedingung des kapitalistischen Wachstumszwangs zugleich als unmöglich. Von hier her bezieht die Idee einer sozialistischen Ökodiktatur ihre Plausibilität.

Damit beende ich meine kleine Serie, wie Linke den Untergang der Sowjetunion vor 30 Jahren heute reflektieren. Es herrscht immer noch relative Ratlosigkeit, in der man aber immer wieder kraftvolle Elemente findet, die sich aber noch nicht zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Die Geschichte bewegt sich wieder, aber bislang gibt es mehr Verschärfungen und noch keinen neuen Weg ins Offene.

Gravierender natürlich war es für diejenigen, die in der Sowjetunion lebten. In der arte-Mediathek gibt es deswegen wieder eine Filmreihe von gestern, LEBT WOHL, GENOSSEN!, die mir nach zehn Jahren noch sehenswert erscheint. In ihr findet man auch etliche, die heute nicht mehr unter uns sind.

Leider ist das schlechte Erbe der Sowjetunion – man denke an das Verbot von der Menschenrechtsorganisation "Memorial" oder die neue russische Außenpolitik, an die Unterstützung der Diktatur in Belarus bis zu russischen Truppen in Kasachstan – stärker als viele emanzipatorische Möglichkeiten.

Gestern & Heute: (Vor-)Letztes zum Zerfall der Sowjetunion

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Kommentare 13
  1. Ruprecht Polenz
    Ruprecht Polenz · vor fast 3 Jahre

    „Über 70 Jahre lang war das kommunistische Versprechen in den Versuchen seiner Realisierung nur in sehr verzerrter Weise wiederzuerkennen…Wir müssen versuchen zu klären, warum diese Versuche nicht geglückt, sondern gescheitert sind“, sagt Bini Adamczak. - Da hat also der stalinistische Terror, Maos Kulturrevolution oder Pol Pot das kommunistische Versprechen nur „sehr verzerrt“. „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ wurde von keinem dieser kommunistischen Versuche auch nur annähernd erreicht. Liberale Demokratie und soziale Marktwirtschaft kommen dieser Vorstellung jedenfalls wesentlich näher. Wenn sich die Praxis anders verhält, als es sich die Theorie vorstellt, muss das nicht an der Praxis liegen. Solange sich diese Erkenntnis bei der Linken nicht durchsetzt, wird sie nicht wirklich aus der Geschichte lernen. Insofern ist das Interview mit Bini Adamczak ein interessanter unpic

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 3 Jahre

      Ihr Einwand ist geschichtlich unpräzise gedacht.

      Liberale Demokratie und soziale Marktwirtschaft entstanden nicht ohne sozialistische Energien und Kräfte.

      Man denke für das 19. Jahrhundert zum Beispiel an den Kampf gegen das Sozialistengesetz zwischen 1878 bis 1890. Ohne diesen wäre keine Sozialgesetzgebung gewährt worden.

      Oder aber als die Systemalternative im 20. Jahrhundert entstanden war: Der größte Erfolg der Sowjetunion war, dass sie in einigen Gebieten einen Kapitalismus mit menschlichen Antlitz entstehen ließ.

      Dieser beruhte stets auch auf Sklavenarbeit.

      Dieser Gedanken findet man nicht nur bei den linken Protagonisten in meiner kleinen Reihe, sondern auch in der internationalen Geschichtswissenschaft - etwa bei Eric Hobsbawm oder Perry Anderson.

      Dieses Wissen hatte aber auch ein Politiker wie Willy Brandt. Man höre und lese seine Rede zur Eröffnung des ersten gesamtdeutschen Bundestag 1990.

    2. Ruprecht Polenz
      Ruprecht Polenz · vor fast 3 Jahre

      @Achim Engelberg Genau diesen Sozialisten wirft Bini Adamczak Verrat an der Arbeiterklasse vor. Ist wohl doch nicht ihre Vorstellung von den kommunistischen Versprechen.

    3. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 3 Jahre

      @Ruprecht Polenz Keineswegs, der Verrat bezieht sich auf den Ersten Weltkrieg.

      Sie bezieht es nicht auf den prominentesten Kämpfer gegen das Sozialistengesetz, August Bebel, der ja damals schon tot war.

      Und Willy Brandt ist auch ausgenommen, denn der brach ja 1931 aus solchen Gründen mit der SPD. Erst in einer vollkommen anderen politischen Lage kehrte er zurück und entwickelte sich zu einem einflussreichen sozialdemokratischen Führer.

    4. Ruprecht Polenz
      Ruprecht Polenz · vor fast 3 Jahre

      @Achim Engelberg Die Haltung zur Novemberrevolution - und damit zur Weimarer Republik (!) - wird ausdrücklich als Verrat gebranntmarkt.

    5. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 3 Jahre

      @Ruprecht Polenz Für Teile stimmt das ja auch - für den "Bluthund" Noske etwa.

      So sa(e)hen es viele, ich empfehle Döblins großes Werk, da vor allem der Band "Verratenes Volk":
      https://www.fischerver...

      Oder schneller zu lesen: Sebastian Haffner wieder aufgelegtes Werk https://www.rowohlt.de...

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 3 Jahre · bearbeitet vor fast 3 Jahre

      @Achim Engelberg Natürlich hat es Elemente so sozialdemokratischen Denkens in liberalen Theorien, Demokratien und sozialen Marktwirtschaften gegeben. Genau wie bürgerliches Denken in linke Theorien und Organisationen mit geprägt hat. Die Linke war ja nie eine irgendwie einheitliche Bewegung. Eher ein krasses Gemisch sich auch bekämpfender Strömungen. Was soll also eine solche Aussage beweisen? Im Grunde relativiert der Artikel mit seinem unsäglichen Verweis auf die Konterrevolution die Verbrechen des bolschewistischen Systems und anderer linker Diktaturen. Das es ein Verdienst der Sowjetunion sei mit ihrer Sklavenarbeit hier und da für einen Kapitalismus mit menschlichen Antlitz gesorgt zu haben, ist ein Märchen. Eher war es umgekehrt. Da wo es vorher kapitalistische Effizienz, ein diszipliniertes Proletariat, entsprechende modernen kapitalistische Fabriken sowie stabile staatliche Institutionen gegeben hat, da war der Sozialismus halbwegs erträglich. Das sichtbare Vorbild der Demokratien war die Begrenzung für Macht und Willkür der sozialistischen Diktaturen. Je weiter man das Wissen über den real existierenden Kapitalismus/Liberalismus einschränken konnte, um so schlimmer war die sozialistische Diktatur.

      Und die Wurzeln des schwedischen Volksheimes z.B. liegen nicht in der Sowjetunion ….

    7. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 3 Jahre

      @Thomas Wahl Dann sind Eric Hobsbawm und Perry Anderson die Gebrüder Grimm der Geschichtswissenschaft.

    8. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 3 Jahre

      @Achim Engelberg Zumindest sind sie keine unfehlbaren Heiligen. So sehr ich Eric Habsbawm schätze. Seine Meinung ist kein Beweis ….

    9. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 3 Jahre

      @Thomas Wahl Naja, es ist keine Meinung, sondern seine Darstellung der Geschichte in seinem Hauptwerk.

      Wir brauchen aber nicht mal auf diesem Höhenkamm: Als ich in den 1990er Jahren von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde, traf ich etlice Gewerkschafter: Unzählige Male hörte ich Sätze wie, dass die Verhandlungen einfacher waren als die DDR noch unsichtbar am Tisch saß. Das ist tatsächlich eine Meinung, die aber nicht erfahrungslos war.

    10. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 3 Jahre

      @Achim Engelberg Das westliche Gewerkschaften den Sozialismus im Kampf um höhere Löhne genutzt haben, ist ja richtig. Nur sind höhere Löhne kein Selbstzweck und bei Überziehung auch kontraproduktiv. Den DDR-Gewerkschaften war es so auch nicht möglich die Löhne zu erhöhen. Und nach der Wende sind diese Löhne der Ex-DDR-Wirtschaft verflucht auf die Füße gefallen. Das hat die westlichen Gewerkschaftler dann aber nicht sehr interessiert.

      Umgedreht haben natürlich Konservative Politiker und Unternehmer im Westen auch den real existierenden Sozialismus mit seinen "Schattenseiten" genutzt um ihre linken Reformer zu disziplinieren. Das ist so in politischen Auseinandersetzungen.

    11. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 3 Jahre

      @Thomas Wahl Einverstanden.

      Es war manchmal amüsant, in Düsseldorf oder anderswo unter Gewerkschaftern DDR-Nostalgie zu erleben. Die in der DDR aufgewachsenen Stipendiaten freuten sich mehr, jetzt nach London oder Griechenland reisen zu können.

    12. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 3 Jahre

      @Achim Engelberg Ja, das kenne ich. Viele linke Freunde oder Kollegen im Westen fanden die guten alten Zeiten toll. Sie damals in Berlin West, ich in Berlin Ost. Besonders bei Wein oder Bier irgendwo in Europa ….. 😏

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