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Zeit und Geschichte

Gestern & Heute: »Soziologie ist ein Kampfsport« - Zum 90. Geburtstag von Pierre Bourdieu

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergSamstag, 01.08.2020

Am 1. August 1930 wurde Pierre Bourdieu geboren, der aber bereits im Januar 2002 unerwartet schnell 71jährig verstarb.

Vor allem in seinem letzten Jahrzehnt war er ein öffentlicher Intellektueller, der in einem Radiointerview meinte:

Soziologie ist ein Kampfsport.

Er sprach u. a. mit und vor Streikenden, er kritisierte im Fernsehen das Medium, er sagte früh die Folgen des reaktionären Neoliberalismus voraus, den wir immer noch nicht überwunden haben. 

In einem Gedenkartikel zum 90. Geburtstag erläutert Jens Kastner die ungeheure Aktualität dieses Werks und der Suhrkamp-Verlag richtete ein Spezial ein, in dem es einen Link gibt zu einem Film über Bourdieus Hauptwerk DIE FEINEN UNTERSCHIEDE, das im französischen Original bereits 1979 erschien.

Im Zentrum dieses Dossier steht ein bemerkenswertes Gespräch mit dem 1999 eben mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Günter Grass.

Beide, der Wissenschaftler und der Künstler, diskutieren gehaltvoll ohne Moderator, denn beide misstrauten Talkshows, über die Möglichkeiten von Aufklärung, von ihrer Dialektik, von ihrer Erneuerung im 21. Jahrhundert, warum sie unbedingt Humor braucht.

Beide trennen zwar andere Erkenntnisarten der Realitäten, die wissenschaftliche und die künstlerische, beide verbindet aber eine Sicht auf die Gesellschaft von Unten her.

Etliche Beiträge des Jahrhundertsoziologen Pierre Bourdieu finden sich in Le monde diplomatique. Hier sind sie:

Immer wieder analysierte er Medien, so hier im Jahre 1996 die Fernsehbilder,  oder die Vorherrschaft des Mannes und die Möglichkeiten des Feminismus, sein Nachdenken über den Neoliberalismus, der kollektive Strukturen zerstört, wandelte sich immer stärker zum Brennpunkt seines Werkes. Zwar boten im Jahr 1999 den EU-Bürgern Wahlen die Gelegenheit, die Zustände zu kritisieren, aber wirkliche Veränderungen waren für Bourdieu nur möglich, wenn sich eine kräftige Sozialbewegung auf europäischer Ebene bildet. Scharf kritisierte er zusammen mit seinem Schüler und Mitarbeiter Loïc Wacquant im Jahre 2000 die "Kulturschaffenden", die sich den Mächtigen smart anbiedern.

Posthum wurden etlicher seiner Universitätsvorlesungen veröffentlich, hier gibt es eine über den Staat und die Zerstörung der Vielfalt, die man sich auch anhören kann.

Seine letzte Rede hielt er vor griechischen Wissenschaftlern und Gewerkschaftsvertretern im Mai 2001 in Athen. Sie endet mit diesen Worten:

Die Hindernisse, die die Entstehung einer geschlossenen europäischen sozialen Bewegung erschweren, sind unterschiedlicher Natur. Es gibt sprachliche Hindernisse, die etwa bei der Kommunikation zwischen den Gewerkschaften oder den sozialen Bewegungen eine wichtige Rolle spielen – die Vorsitzenden und Funktionäre sprechen Fremdsprachen, die einfachen Gewerkschaftler und Aktivisten eher nicht. Das macht eine Internationalisierung der sozialen Bewegungen oder der Gewerkschaften sehr schwierig. Es gibt aber auch Hindernisse, die mit den eingespielten Gewohnheiten und Denkweisen oder auch den festgefahrenen Strukturen der sozialen Bewegungen wie der Gewerkschaften zusammenhängen. Welche Rolle kommt den Wissenschaftlern dabei zu? Sie haben an der kollektiven Erfindung der kollektiven Strukturen eines erfinderischen Geistes zu arbeiten, dem eine neue soziale Bewegung entspringen kann. Das heißt, sie müssen neue Inhalte aufzeigen, neue Ziele formulieren und die neuen Mittel für internationale Aktionen entwickeln.

Gestern & Heute: »Soziologie ist ein Kampfsport« - Zum 90. Geburtstag von Pierre Bourdieu

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