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Zeit und Geschichte

Gestern & Heute: "Aus Trotz ein Steak. Im Flieger." (Bettina Gaus)

Achim Engelberg
schreibt, kuratiert, gibt heraus
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Achim EngelbergMontag, 08.11.2021

Als die Journalistin und Buchautorin Bettina Gaus am 27. Oktober 2021 mit nur 64 Jahren starb, war die Betroffenheit groß.

Über 30 Jahre schrieb sie für die taz als Afrika-Korrespondentin, als Leiterin des Parlamentsbüros und schließlich als politische Korrespondentin. Sie erlebte, wie Geschichte entstand.

Warum aber verließ die gesundheitlich schon angeschlagene Autorin "ihre" taz und publizierte in ihren letzten Monaten im Spiegel?

Die Antwort führt uns zurück auf eine Kolumne vom 21. Juni 2020. Sie ist Teil einer innerredaktionellen Debatte über den Text „All cops are berufsunfähig“ von Hengameh Yaghoobifarah, in der Polizisten mit Müll gleichgesetzt worden sind. Diese Verletzung der Menschenwürde empörte Bettina Gaus, die links und bildungsgesättigt war und einen guten moralischen Kompass hatte. Sie schrieb:

Die böseste, verletzendste Diskussion, an die ich mich erinnere, ging um die Frage, ob internationale Militäreinsätze gegebenenfalls unter Preisgabe des Völkerrechts befürwortet werden sollten. Ich war und bin dagegen. Aber nicht einmal auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung habe ich geglaubt, dass diejenigen, die eine andere Position einnahmen als ich, etwas anderes als vor allem die Menschenrechte im Blick hatten. Ach, Erich Rathfelder. Lass uns mal wieder treffen.

Das war ernst damals. Sehr ernst. Und dennoch von wechselseitigem Respekt geprägt. Die Kolumne von Anfang dieser Woche, in der eine Berufsgruppe mit Abfall gleichgesetzt wird, wirkt auf mich unernst, kokett, provokant. Ich spüre keine Verzweiflung, sondern ich meine, Clickbaiting zu erkennen. Was für eine kleine Münze.

Der interne Streit eskalierte so heftig, wie erst jetzt allgemein bekannt wird, dass Bettina Gaus die taz verließ. Ihr Witz passte nicht mehr in die Blase zunehmender sich erwacht glaubender Ungebildeter, nein, Verbildeter.

In ihrer letzten Kolumne für die taz heißt es, was man mit dem Wissen von heute nicht mehr überlesen kann:

Kontroversen über außenpolitische Fragen sind selten geworden. Das mag sich ändern, wenn der US-Präsident noch häufiger andere Staatschefs als Mörder bezeichnet. Bisher jedoch ist es der Fall. Es gibt dafür gute Gründe. Allerdings gibt es dafür auch schlechte Gründe – dann nämlich, wenn Debatten sich verästeln und nur noch für Eingeweihte verständlich sind.

Und es gibt wie so oft in ihren Beiträgen erfahrungsgesättigte Sätze zum Merken:

Je weniger Macht jemand hat, desto mehr weiß sie oder er über die Mächtigen.

In den wenigen Arbeiten für den Spiegel verlor sie nicht ihren Witz, die Überschrift dieses piq ist der einer ihrer letzten Kolumnen. Ihre analytische Schärfe blieb erhalten, etwa in diesem Stück zum Afghanistan-Desaster, wie auch in ihrem letzten Artikel unerwartete Einschätzungen.

Ihre Arbeit muss nun von anderen gemacht werden; Bettina Gaus dazu noch mal zu lesen, bleibt anregend.


Gestern & Heute: "Aus Trotz ein Steak. Im Flieger." (Bettina Gaus)

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Kommentare 8
  1. Daniela Becker
    Daniela Becker · vor 3 Jahren

    Was soll denn "bildungsgesättigt" bedeuten?

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 3 Jahren

      Hochgebildet.

      Wenn man das Wort bei google eingibt, kommen sofort Beispiele.
      Hier eins: https://www.deutschlan...

    2. Daniela Becker
      Daniela Becker · vor 3 Jahren

      @Achim Engelberg Dann hab ich mich wohl als niedriggebildet geoutet.

    3. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 3 Jahren

      @Daniela Becker nein als bildungshungrig!

    4. Uwe Protsch
      Uwe Protsch · vor 3 Jahren

      Über die Verstorbenen soll man ja angeblich nur Gutes sagen, aber Bettina Gaus hatte wohl selbst ein Problem mit ihrer eigenen Bildungssättigung. Ihre Aussage: „Journalismus, wie seriös oder unseriös auch immer, hat stets ein Ziel: von einem möglichst breiten Teil des Publikums verstanden zu werden. Es geht in unserem Beruf nicht um Textexegese, und wir befinden uns nicht in einem germanistischen Proseminar.“ zeigt mMn den Widerspruch auf: Erst soll Journalismus von vielen verstanden werden; dann aber benutzt sie Vokabeln wie „Textexegese“ und „Proseminar“, die zumindest ich nicht auf Anhieb verstehe. Womöglich ist mein Bildungssättigungsgrad zu niedrig? Aber er reicht immerhin aus, um wieder einmal daran erinnert zu werden, dass die Linken noch nie gut darin waren, sich dem gemeinen Volk verständlich zu machen.

    5. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 3 Jahren

      @Uwe Protsch Welcher Publizist von Rang, egal ob rechts oder links, kam oder kommt ohne solche Wörter aus, die man zumindest heute leicht im Internet sich erschließen kann?

      Als die älteste deutsche Partei entstand, die heute noch existiert, es ist die SPD, unterstützte sie Arbeiterbildungsvereine, weil ihr klar war, ohne Erweiterung der Sprachmöglichkeiten geht es nicht.

    6. Uwe Protsch
      Uwe Protsch · vor 3 Jahren

      @Achim Engelberg Schon mal daran gedacht, dass es den Lesefluss und die Konzentration stört, wenn man andauernd Begriffe im Internet nachschlagen muss? Bettina Gaus wäre durchaus ohne „Textexegese“ und „Proseminar“ ausgekommen, wenn sie gewollt hätte; für den Inhalt des Artikels war der fragliche Satz nämlich nicht entscheidend. Aber sie konnte wahrscheinlich nicht der Versuchung widerstehen, originell sein zu wollen. Damit ähnelt sie Hengameh Yaghoobifarah.

      Ich finde es auch arrogant, anderen indirekt zu unterstellen, sie würden ihre „Sprachmöglichkeiten“ nicht genügend erweitern. Vielmehr sehe ich JournalistInnen, PolitikerInnen und Behörden in der Pflicht, niemanden durch schwer verständliche Begriffe und Formulierungen vor den Kopf zu stoßen oder gar auszugrenzen.

    7. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 3 Jahren

      @Uwe Protsch Duch welches Wort hätte sie denn Proseminar ersätzen sollen, damit Sie den Text verstehen?

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