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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Der 10. Dezember wird als Tag der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte begangen.
Vor genau 75 Jahren geschah diese Bekanntmachung im Jahre 1948 im Palais de Chaillot in Paris.
Aber ist das ein weltgeschichtliches Ereignis oder nur der Stoff aus dem die Sonntagsreden sind?
"Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ So beginnt Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
und so startet auch der Beitrag von Ferdinand Muggenthaler, eines neuen Redakteurs der Blätter für deutsche und internationale Politik.
Was für ein Satz! Und ein utopischer Traum – angesichts der real existierenden „Geburtslotterie“, die Neugeborene mit ganz unterschiedlichen Möglichkeiten und Rechten ausstattet, je nach Staatsbürgerschaft, Hautfarbe, Klasse oder Geschlecht.
Die Erklärung war ein Ergebnis nach zwei Weltkriegen und der Shoah, aber zunächst spielte es für die großen Mächte beim Kampf um die Herausbildung der Nachkriegsordnung eine untergeordnete Rolle.
Es waren nichtstaatliche Organisationen sowie einzelne Juristinnen und Juristen, die darauf drängten, die Menschenrechte als Begriff in die UN-Charta aufzunehmen. Es waren dann wieder vor allem Einzelpersönlichkeiten, die als Staatendelegierte die Idee vorantrieben und ausbuchstabierten.
Im Guinnessbuch der Rekorde steht heute die Erklärung als das in die meisten Sprachen übersetzte Dokument.
Wer zufälligerweise dieses 75 Jahre alte Dokument mit seinen 30 kurzen Artikeln noch nicht kennt oder vor zu langer Zeit wahrgenommen hat, hier ist die deutsche Übersetzung, die man schnell lesen kann, die man aber nachhallen lassen sollte.
Die Wirkung kam, wenig überraschend, erst allmählich.
Wie sollten auch die 48 Staaten, die für die Erklärung stimmten, die Menschheit repräsentieren? Welches Recht hatten insbesondere die Kolonialmächte unter ihnen dazu? Bei der Abstimmung enthielten sich außerdem die Sowjetunion und die Staaten ihres Machtbereichs sowie Saudi-Arabien und Südafrika. So blieben die Menschenrechte – auch wenn manche nationale Verfassung sie zur Grundlage von Bürgerrechten auf ihrem Staatsgebiet erhob – eine unverbindliche Willenserklärung mit zweifelhafter Legitimität.
Hannah Arendt schrieb denn auch sarkastisch: „Die Menschenrechte haben immer das Unglück gehabt, von politisch bedeutungslosen Individuen oder Vereinen repräsentiert zu werden, deren sentimental humanitäre Sprache sich oft nur um ein geringes von den Broschüren der Tierschutzvereine unterschied.“
Dass die Menschenrechte mehr Bedeutung als die Hefte eines Tierschutzvereins bekamen, geschah erst ab den 1970er Jahren mit dem Erstarken von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International.
1976 traten die beiden UN-Menschenrechtspakte in Kraft. Die Rechte aus der Allgemeinen Erklärung von 1948 waren jetzt in zwei völkerrechtlich verbindlichen Verträgen verankert, auch wenn sich in der Zweiteilung – ein Pakt für bürgerliche und politische Rechte, einer für wirtschaftliche, soziale und kulturelle – die Blockkonfrontation abbildete.
Nicht nur in Osteuropa beriefen sich Dissidenten auf sie, auch für linke Bewegungen im Westen gewann das Bekenntnis zu den Menschenrechten an Bedeutung, vor allem in Verteidigung gegen die brutale Repression der Militärdiktaturen in Lateinamerika. Die Amnesty-Kampagne gegen die Folter durch das Pinochet-Regime in Chile erzeugte eine ungeahnte Aufmerksamkeit und trug zum Friedensnobelpreis für die Organisation 1977 bei.
Nachdem der Kommunismus seine Anziehungskraft verloren hatte, aber auch die neoliberale Globalisierung ihre Opfer produzierte, nahmen für viele die Menschenrechte den Platz als „letzte Utopie“ ein.
Wie vieles hatte auch diese Geschichte eine Vorgeschichte jenseits der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Ein Vorbild für die Erklärung von 1948 war die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 in der Großen Revolution der Franzosen.
Gut und schön, es gab Vorgeschichten, aber auch heute werden weltweit die erklärten Menschenrechte verletzt. Was bewirkten sie? Was könnte ihre Zukunft sein?
Es scheint ein Muster in der Geschichte der Menschenrechte zu sein, dass die feierlichen Erklärungen immer wieder unvorhergesehene Wirkungen entfalten: Die Schöpfer der Menschenrechtserklärung der Französischen Revolution dachten bei ihren „Droits de l’Homme et du Citoyen“ weder an Sklaven noch an Frauen. Aber sofort entwarfen Frauen, angeführt von Olympe de Gouges, eine „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“, und in der französischen Kolonie Saint-Domingue, dem heutigen Haiti, beriefen sich die aus Afrika verschleppten Sklaven und ihre Nachkommen auf die Erklärung. 1804 hatte Haiti schließlich seine Unabhängigkeit erkämpft und schaffte die Sklaverei endgültig ab.
Der Schluss dieses bemerkenswerten Essays zeigt noch einmal, wie diese Erklärung von gestern heute und damit auch für ein besseres Morgen wirken kann:
Die Schiffsmetapher wurde oft missbraucht, um die extrem ungleiche Verteilung von Rechten, Ressourcen und Verantwortung zu verwischen. „Beruhigt euch, wir sitzen alle im selben Boot!“ Spätestens mit der Klimakrise ist aber klar geworden, dass die Menschheit tatsächlich einiges gemeinsam hat mit den Passagieren und der Besatzung auf einem angeschlagenen Schiff, das in einem schweren Sturm treibt. Und für alle, die dieses Schiff flicken wollen, statt es zu versenken oder sich in ihre Luxusjacht zu retten, bleiben die Menschenrechte ein Kompass, der die gemeinsame Richtung vorgeben kann. Vielleicht der einzige.
Vielleicht der einzige. Das sollte man nachklingen lassen.
Und wer noch mehr darüber wissen will, dem sei dieser Film auf arte empfohlen, der so angekündigt wird:
Anlässlich von 75 Jahren „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ durch die Vereinten Nationen blicken in dieser Folge von "Tracks East" Pop-Artists aus aller Welt auf die Situation in ihren Ländern.
Dieses Stück vom Deutschlandfunk geht der Frage nach: Warum wird über die Menschenrechte gestritten?
Und dieses facettenreiche Dossier hat es in sich.
Quelle: Ferdinand Muggenthaler u. a. Bild: Eine Gruppe japan... www.blaetter.de
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"..., bleiben die Menschenrechte ein Kompass, der die gemeinsame Richtung vorgeben kann. Vielleicht der einzige." Vielleicht der einzige. Das sollte man nachklingen lassen.
ich lasse nachklingen, achim, schon länger (mischt sich manchmal nervig mit tinnitus, but so what). ich kenn auch gut aus eigenem erleben das müde/resignierte abwinken à la arendt, die ja auch – weniger resignativ – den text zur leuchtschrift an dem faschisten-bauwerk casa littora in bolzano/bozen beisteuerte: «kein mensch hat das recht zu gehorchen» danke fürs piqn!
(https://de.m.wikipedia...)