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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Victoria Amelina starb, als in Klagenfurt um die Wette gelesen wird. Die beeindruckende und bedrückende Eröffnungsrede, hier findet man sie, hielt Tanja Maljartschuk.
Auf Facebook verabschiedet sich die Autorin von ihrer Kollegin und Freundin:
Es begann vor ein paar Tagen in Klagenfurt, als ich von ihrer Verletzung durch die russische Rakete erfuhr. So schwer war es, die Rede zur Literatur zu halten, wissend, dass sie irgendwo in Kramatorsk im Spital mit einem Splitter im Kopf bewusstlos liegt. Nun ist sie tot. Russland hat sie getötet. Diesen Engel mit strohigem Haar, diese kluge, sensible, intelligente ukrainische Stimme, für immer verstummt, eine Autorin, die mehr Mut hatte, als viele von uns je haben werden. Das Interview für den Stern vom 01.06.23 wird ihr letztes bleiben. Darin sagt Viktoria Amelina: „Wir sind normale Menschen, die gezwungen sind, heldenhaft zu handeln.“ Seit Monaten dokumentierte sie Verbrechen im „Osten des ukrainischen Sieges“, wie sie es selbst nannte, denn sie hatte ein großes Herz und viel Humor. Sie sammelte Zeugnisse, fotografierte zerstörte Häuser, sprach mit vergewaltigten Frauen und gefolterten Männern. Sie hat die Tagebücher von einem in Okkupation ermordeten ukrainischen Schriftsteller Wolodymyr Wakulenko gefunden (das Bündel war in seinem Garten vergraben). Eines Tages wird ihre Arbeit dazu beitragen, Kriegsverbrecher vor Gericht zu bringen, weil dies der einzige Weg ist, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Daran glaubte sie. „Geh, sprich mit den Frauen!“ — endete eins ihrer letzten Gedichte. Juri Durkot hat es ins Deutsche übersetzt. „Ich kenne schon alle in dieser Stadt und alle ihre Toten sind meine Toten, und alle Überlebenden sind meine Schwestern“.
Schwester, ich weiß nichts mehr zu sagen. Meine Hosentaschen sind nass von Taschentüchern.
Ob die Welt da draußen versteht, was wir alle erleben müssen und dass unsere Kräfte schwinden? Ob jemand sich fragt, was nach uns kommt?
Das Interview ist das Hauptstück dieser kleinen Würdigung. Ein Ausschnitt, der ihren Witz zeigt, als sie über ihren elfjährigen Sohn spricht, der jetzt ohne Mutter aufwachsen muss:
Ich führe Interviews, und diese Gespräche sollen zu Gerechtigkeit verhelfen. Wir beide haben einen schwarzen Humor und scherzen zusammen über die Gefahr.
Worüber lachen Sie?
Unser Running Joke: Falls ich sterbe, darf er die Urne mit meiner Asche behalten und mich endlich überallhin mitnehmen. Ich will ihn auf alles vorbereiten. Im Moment lebe ich in Kiew, und er lebt bei meiner Tante und meiner Mutter in Polen. Wir sehen uns nur etwa einmal im Monat. Im vergangenen Jahr haben wir in Nürnberg den Justizpalast besucht, in dem die Prozesse gegen Naziverbrecher stattfanden. Ich wollte, dass er die Wichtigkeit dessen versteht, was ich tue.
Auf blendle kann man das Interview auch lesen.
Der Guardian brachte einen überaus lesenswerten Longread von Victoria Amelina, in dem sie ihre politisch-intellektuelle Entwicklung nachzeichnet. Geboren ist sie 1986, im Jahr der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (ukrainisch: Cornobyl), die heute als eine Wegmarke beim Zerfall der Sowjetunion erkannt ist.
Die Autorin erzählt ihre Beziehung in und zu Europa.
Das immer wieder bemerkenswerte Wiener Institute for Human Sciences brachte auch eine Würdigung, in der es einen Link zu ihrem Essay "Cancel culture vs. execute culture" gibt.
In der Lyrikzeitung findet man dieses von Michael Augustin übersetzte Gedicht und zahlreiche Links:
Sirenen
Luftalarm für das ganze Land
Es fühlt sich an, als müssten jetzt alle raus
Zu ihrer Hinrichtung
Aber treffen wird es nur eine Person
Gewöhnlich die ganz am Rande
Dieses Mal bist du es nicht; Entwarnung
5. April 2022
Wie traurig, wie zornerfüllt macht dieser frühe, sinnlose Tod! Dass sie nicht mehr unter uns ist – wie so viele andere durch diesen verdammten, sinnlosen Krieg. Sinnlos von russischer Seite! Und während ich dieses kleine Dossier zum langen Abschied zusammenstelle, und während Du in diesen Texten liest, werden andere ermordet – weit hinten in der Ukraine. So nah und doch so fern.
Quelle: Victoria Amelina, Tanja Maljartschuk u. a. Bild: Ukrinform / DPA www.stern.de
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In diesem Beitrag des Ukrainischen Dienstes von RFE/RL ist ein kurzes Video verlinkt, in dem wir Augenblicke mit Victoria Amelina erleben und den Ort des tödlichen Angriffs und Gedenkens sehen: https://www.rferl.org/...
Ein tragisches Schicksal. Diese tapfere - und zugleich zerbrechliche - junge Frau ( https://www.dw.com/de/... ), die sich für die Ächtung von Kriegsverbrechen engagierte, wurde allen Anzeichen nach selbst Opfer eines solchen. PEN Ukraine und Menschenrechtsorganisationen sehen das so.
Medienberichten zufolge wurde die Pizzeria vor dem Überfall ausgespäht: https://www.faz.net/ak...
oder hier: https://www.t-online.d...