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Kurator'in für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
Dissertation über John Berger (Dr. phil.). Seine Essays und Interviews, seine Reportagen und Rezensionen erscheinen u. a. in Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form, Jacobin und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) oder die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Als Buchautor publizierte er zuletzt das literarische Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Die Welt ist weit und vielfältig. Deshalb brauchen wir für sie bündelnde Bilder und Symbole. Als eines davon beschreibt Evan Osnos für den New Yorker die Super-Jacht.
Schiffe sind von jeher mythologisch und real mit der Eroberung und Rettung der Welt verbunden – von der Arche Noah bis zur ersten Weltumsegelung. Aber erst seit der Scheitelzeit der Industrialisierung gilt, was der Sozialhistoriker Marcel van der Linden so beschreibt: „Der Seehandel ist das Rückgrat der Weltwirtschaft.“ Das Pendant dazu sind die immer größer werdenden Jachten der Superreichen, deren Zahl steigt. Im Jahr 2021 wurden zweimal mehr Superjachten verkauft als 2020: 187 waren es, die meist offshore vorbei an den Behörden registriert wurden. Ihre Zahl dürfte mit dem weltweiten Steigen der Anzahl der Milliardäre noch wachsen.
Für die Jachtbesitzer und ihre Gäste bietet ein 'weißes Boot' einen diskreten Marktplatz für den Austausch von Vertrauen, Gunst und Anerkennung. Wie genau die Mechanismen dieses Handels funktionieren - die Regeln und Ängste, Strategien und Beleidigungen - ließ ich mir von Brendan O'Shannassy erklären, einem altgedienten Kapitän und eine Art Kurator für Jachtwissen. O'Shannassy wuchs in Westaustralien auf, ging als junger Mann zur Marine und fand schließlich seinen Weg als Skipper auf einigen der größten Jachten der Welt. Er arbeitete für Paul Allen, den verstorbenen Mitbegründer von Microsoft, sowie für einige andere Milliardäre, deren Namen er nicht nennen möchte. Jetzt, Anfang fünfzig, mit geduldigen grünen Augen und lockigem braunen Haar, hat O'Shannassy einen guten Überblick auf den gesellschaftlichen Verkehr: 'Es ist geht sehr liebenswürdig zu, jeder küsst jeden', sagt er, 'aber im Hintergrund spielt sich eine Menge ab'. O'Shannassy hat einmal für einen Jachtbesitzer gearbeitet, der die Anzahl der Zeitungen an Bord begrenzte, damit er seine Gäste beim Warten und sich Winden beobachten konnte. 'Es war ein Spiel unter Milliardären. Es gab sechs Paare und drei Zeitungen', sagte er und fügte hinzu: 'Sie haben ständig ihre Positionen bewertet.' Auf einigen Schiffen hat O'Shannassy in den unangenehmen Minuten nach der Ankunft der Gäste selbst den Gastgeber gespielt. 'Viele von ihnen sind genial, aber einige sind sehr unsozial', sagt er. 'Sie brauchen jemanden, der für sie das gesellschaftliche übernimmt. Sobald sich alle eingewöhnt haben, so hat es O'Shannassy erlebt, gibt es oft eine subtile Veränderung, wenn ein Mogul, ein Politiker oder ein Popstar anfängt, sich auf eine Art zu entspannen, wie es an Land kaum möglich wäre. 'Die Vorsicht lässt nach', sagt er. 'Man muss sich keine Sorgen wegen der Paparazzi machen. Man hat also all diesen Freiraum, sowohl physisch, aber auch mental.'
Durch die Sanktionen aufgrund der Ausweitung der Kampfzone im Krieg in und um die Ukraine waren auch Super-Jachten betroffen, die in den Medien verstärkt mit russischen Oligarchen verbunden worden sind. Einige verschwanden – und tauchten wieder auf.
Mit diesem Beispiel endet Evan Osnos' ungemein lesenswerter Bericht darüber, dass man mit genügend Kontakten und Geld so manchen Taifun übersteht:
Im April, Wochen nachdem die flüchtige Motoryacht A in der Versenkung verschwunden war, wurde sie in physischer Form wiederentdeckt, auf Hochglanz poliert und an einem Bach in den Vereinigten Arabischen Emiraten festgemacht. Der Eigentümer, Melnichenko, war von der EU, der Schweiz, Australien und dem Vereinigten Königreich mit Sanktionen belegt worden. Die Emirate hatten jedoch Anträge abgelehnt, sich diesen Sanktionen anzuschließen, und waren zu einem beliebten Kriegshafen für russisches Geld geworden. Die Motoryacht A war wieder einmal fast unübersehbar aufgereiht, wie Semaphorenflaggen im Wind.
Bekanntlich wird das Semaphorenalphabet (Winkeralphabet) häufig militärisch genutzt. Die Jachtbesitzer sind häufig bis immer die Generäle im Krieg gegen die Armen.
Quelle: Evan Osnos EN www.newyorker.com
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