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Zeit und Geschichte

Der nicht endende Traum der Linken vom Neuen Menschen

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlMontag, 16.09.2019

Wieder einmal tritt das vermutete, notwendige Ende unserer Art des Lebens in den Focus unseres Denkens. Diesmal ist es die Klimaerwärmung die sofortige und grundsätzliche Umbrüche erfordern soll und diese zum Teil sicher auch notwendig macht. Aber vieles an der Art der Kommunikation und an den apokalyptischen Denkmustern erinnert mich an radikale linke Ideen die 60er Jahre, als z.B. Marcuse forderte, 

dass die erstarrten gesellschaftlichen Verhältnisse nur durch die Revolutionierung des Menschen selbst überwunden werden könnten.

Ein neuer Mensch sollte „ einen neuerlichen Rückfall in die Barbarei verhindern“, wobei dann Dutschke in diesem Kampf durchaus auch die Anwendung revolutionärer Gewalt für gerechtfertigt hielt. Che Guevaras sah dann als Ziel

 einen Neuen Menschen, der bereit ist, auf jeden als unnötig erachteten Luxus zu verzichten, der seine Arbeit ganz in den Dienst des Kollektivs stellt und sich damit begnügt, dass der Lohn für seine Mühen einzig in gesellschaftlicher Anerkennung besteht. 

Ist der  „Neue Mensch“ der Gegenwart der radfahrende, vegan lebende Großstädter mit geringem Energieverbrauch? Das klingt ähnlich „verlockend“ wie das Menschenbild des Che. Mal sehen, was die Geschichte daraus machen wird ......

Der nicht endende Traum der Linken vom Neuen Menschen

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Kommentare 5
  1. Nutzer gelöscht
    Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre · bearbeitet vor mehr als 5 Jahre

    Toller Text aber ich vermisse den Bezug des Textes auf die oben unterstellte Ähnlichkeit zwischen dem linken Revolutionär der 1960er und dem veganen Radler der 2020er. Bei letzterem trieft doch allein schon das Kunstwort LOHAS vor Spießigkeit und Bürgerlichkeit. Für die globalisierte Wirtschaft ist der doch eine Wunschvorstellung, kein Albtraum. Und ganz sicher ist der LOHAS nicht links. Im Deutschland haben sich bisher weder die Linke, noch die linken Teile der SPD in Sachen Klima- oder Umweltschutz irgendwie mit Ruhm bekleckert. Im Gegenteil: "Klimaschutz gefährdet Arbeitsplätze und fördert soziale Ungleichheit", so zumindest die Lesart der Linken. Neuer Mensch und Klassenkampf stehen dem Klimaschutz diametral gegenüber. Die passen einfach nicht zusammen.

    Woher kommt es dann, dass dieser vegane Radler, der die Welt v.a. über Konsum verändern möchte, von vielen Liberalen als derartige Bedrohung wahrgenommen und in die linke Ecke geschoben wird? Vielleicht, weil er sich einfach nicht um das Menschenbild der Wirtschaftswissenschaften schert? Ist er dadurch möglicherweise systemrelevanter als der Revolutionär der 60er?

    Möglicherweise ist es aber auch einfach nur ein in den letzten Jahrzehnten anerzogener Wahrnehmungsfehler der Liberalen. Ihnen ist der homo oeconomicus - eigentlich nur nützliches Hilfskonstrukt der Wirtschaftswissenschaften - zur moralisch aufgeladenen Norm mutiert: wer das Dogma, dass Unternehmen immer egoistisch handeln müssen in Frage stellt, untergräbt das System und gefährdet den Fortbestand des allgemeinen Wohlstands. Er ist also Sozialist!

    In Abwandlung des berühten Honecker-Zitats versteigt sich der heutige Liberale, allen voran der auf Schwarzweissfotos richtig schön hemdsärmlig, bzw. unterhemdig daherkommende, sozusagen zu einem "den Kapitalismus in seinem Lauf halten doch nur Ochs und Esel auf". Mit Ochs und Esel sind freilich die Klimaschützer gemeint, die in ihrem jugendlichen Leichtsinn angeblich einfach nicht begreifen wollen, wie die Welt funktioniert und deshalb angeblich von einem Neuen Menschen träumen. Nur vielleicht brauchen sie das ja eben nicht, weil dieser Mensch, das zoon politikon, schon längst da ist. Noch nie weg war, außer in der Idealvorstellung mancher Liberaler, die nicht begreifen wollen, dass die Wirtschaft dem Menschen, nicht der Mensch der Wirtschaft zu dienen hat.

    Statt dauernd "Neue Menschen" zu denken, wäre es abschließend doch schön, wenn die alten Menschen ihre jeweiligen Fundamentalismen verlassen und aufeinander zugehen könnten. Dann wäre schon viel gewonnen und man könnte an die Arbeit gehen. Ganz ohne apokalyptische Denkmuster.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre · bearbeitet vor mehr als 5 Jahre

      Natürlich gibt es auch gewaltige Unterschiede zwischen den 60ern und den heutigen. Aber als notwendig für die „Rettung“ der Welt sahen/sehen wohl beide (zumindest die Extremen) ihre Lebensweise. Und wer nicht mitmacht, den sollte man zwingen. Klar noch agieren fanatische Veganer nicht mit der Knarre wie einst Che. Nicht mal die radikalen Tierschützer und Gentechnik-Gegner. Allerdings als Konsumenten, die sich regional bewegen und versorgen, die großen Konzerne ablehnen, sind sie bestimmt nicht der Traum globaler Unternehmen. Für sich genommen ist er natürlich auch keine Bedrohung, als fanatische Bewegung mit Weltrettungsphantasien schon eher.

      Ich denke auch bei den Liberalen hat sich rumgesprochen, dass der Mensch kein oeconomicus ist sondern ein oft ziemlich irrational handelndes Wesen. Das gilt für das „zoon politikon“ in uns ebenso. Besonders wenn es in großen Gruppen auftritt.

      Wobei mit dem homo oeconomicus eigentlich kein Egoist gemeint war - Smith spricht m.W. vom wohlverstanden Eigeninteresse ...... Mit dem Bild vom „Egoisten“ unterstellen allzuoft die Gegner der Liberalen ihre eigene ideologische Verballhornung den Liberalen insgesamt. Und treffen damit lediglich den simplen Vulgärliberalismus. Nur merken das viele nicht, da die Abziehbilder in den Köpfen dominieren. Das ist leider immer so, wenn sich zwei Lager rein ideologisch beharken.

      Natürlich sollte die Wirtschaft „dem Menschen“ dienen. Nur gibt es nicht den Menschen sondern sehr verschiedene mit sehr verschiedenen Zielen. Der „Telos“ ist nicht klar festgelegt. Und Wirtschaft und Gesellschaft nie frei von (teils dramatischen) unbeabsichtigten Nebenwirkungen. Also mir sind solche Sprüche suspekt.

      Ja, schön wäre es, „wenn die alten Menschen ihre jeweiligen Fundamentalismen verlassen und aufeinander zugehen“ würden. Das haben ja die ersten Sozialisten auch gehofft. Aber die Menschen taten es nicht, nicht mal unter Waffengewalt. Das ist doch das Problem. Und schon hören wir den Ruf nach der „Ökodiktatur“ - was natürlich was völlig anderes ist als die Diktatur des Proletariats .....

    2. Nutzer gelöscht
      Nutzer gelöscht · vor mehr als 5 Jahre · bearbeitet vor mehr als 5 Jahre

      @Thomas Wahl Nein, ich meinte schon im klassischen Sinn ganz wertfrei den rationalen, egoistischen Nutzenmaximierer, so wie ihn die Wirtschaftswissenschaften definieren, um ihre Modelle und Spiele reproduzierbar und messbar zu machen. Den empfinde ich als von vielen Liberalen zu Unrecht moralisch aufgeladen.

      Gerade die Tatsache, dass Adam Smith als Moralphilosoph und seine "invisible hand" ständig zur Reinwaschung von Gier und Amoralität missbraucht werden ist ja ein gutes Beispiel für diesen Anspruch auf die moralische Deutungshoheit. Da laufen dann alle mit erhobenem Zeigefinger und der "unsichtbaren Hand" im Mund herum und malen den Weltuntergang an die Wand sollte wer auch immer irgendwie lenkend in den freien Markt eingreifen wollen und übersehen dabei, dass ja wohl ein mächtiger Unterschied besteht zwischen einem Bäcker, der aus wohlverstandem Eigeninteresse sein Brot verkaufen will und einem multinationalen Energie- Agrar- oder Lebensmittelkonzern der weltweit tausende Lobbyisten laufen hat, die politisch dafür sorgen sollen, dass er auch weiterhin Markt- und Steuervorteile genießen kann, während er hier und anderswo Mensch und Umwelt quasi zum Nulltarif schindet, weil die Natur keinen Preis hat. Den freien Markt, so wie ihn Adam Smith damals im Bild hatte, gibt es doch heute gar nicht mehr. Lediglich noch bei Kleinstbetrieben, Handwerk und kmUs. Die Märkte auf die es beim Klimawandel ankommt sind und waren doch schon immer durch staatliche Markteingriffe, Subventionen und Vorteilnahme verzerrt.

      Wem sollte es also schaden, hier einmal die Vorzeichen zu Gunsten der Allgemeinheit und nicht der Wenigen zu ändern? Deswegen meine etwas längere, in der Nachbetrachtung wohl etwas abschweifende Replik.

      Dass sich das Argument des Piqs v.a. auf eine drohende Ökodiktatur bezogen hat, habe ich mittlerweile verstanden und kann ich nachvollziehen. Ja, die Gefahr besteht und ist nicht zu gering. In nicht-demokratischen Regimen sehe ich da ein Überdrehen des Staates (top-down-securitization aus der Angstperspektive ohne gesellschaftlichen Unterbau) noch viel wahrscheinlicher als in unseren liberalen Demokratien (bottom-up-securitization durch zivilgesellschaftliche Akteure).

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als 5 Jahre

    Menschen, denen das Träumen verwehrt wird, haben keine andere Heimat als den Wahnsinn. Die Schreckensfrage des nächsten Jahrhunderts lautet: Was spricht gegen ihn?
    Von der zu findenden Antwort auf diese Frage hängt das Überleben der Menschheit ab. Ich bin nicht mehr sicher, daß der Kommunismus, wie mein Vater mir Achtjährigem
    aus dem Buch eines indischen Philosophen vorlas, das Schicksal der Menschheit ist, aber er bleibt ein Menschheitstraum, an dessen Erfüllung eine Generation nach der anderen arbeiten wird bis zum Untergang unserer Welt.
    [Heiner Müller, 1993]

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 5 Jahre

      Aber hin und wieder sollte man den Traum an der Wirklichkeit spiegeln ......

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