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Volk und Wirtschaft

Quo Vadis Bürgergeld?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlMittwoch, 03.01.2024

Seit einem Jahr gibt es das Bürgergeld als "Grundsicherung". Zu Beginn des neuen Jahres ist es um 12 % gestiegen, nachdem es bereits Anfang 2023 um den gleichen Prozentsatz erhöht worden war. 

Das Bürgergeld für rund 5,5 Millionen Erwachsene und Kinder in der Grundsicherung wird 2024 um gut zwölf Prozent erhöht. Das ist die größte Erhöhung überhaupt. Für Alleinstehende heißt das 61 Euro mehr und damit ein neuer monatlicher Regelsatz von 563 Euro. Erwachsene, die mit einem Partner zusammenleben, bekommen 506 Euro (vorher 451 Euro). Für Kinder liegen die Sätze je nach Alter zwischen 357 und 471 Euro. 2025 soll die Steigerung dann nur noch sehr gering ausfallen.

Dabei waren Jahr 2023 durchschnittlich 3,9 Millionen erwerbsfähige Personen Bezieher, was bei insgesamt 45,9 Millionen arbeitenden Menschen immerhin 8,5 % unserer aktiven Arbeitskräfte sind. 

Das muß natürlich zu kontroversen Diskussionen führen. Die ursprüngliche Idee für die Ablösung von Hartz IV (Arbeitslosengeld II) durch eine Grundsicherung war es, Arbeitssuchende zu fördern statt zu gängeln. Und genau darum geht die Diskussion: Das Bürgergeld in Deutschland ist in einem Jahr um 24 Prozent gestiegen, wodurch der Abstand zu niedrig bezahlter Arbeit, zumindest im Niedriglohnbereich, sinkt. Womit der Anreiz zur Erwerbstätigkeit abnimmt. Es wird vermutet bzw. auch exemplarisch beobachtet, dass viele Menschen lieber mit dem Bürgergeld zu Hause bleiben und zusätzlich ggf. auch noch schwarzarbeiten. Und so, wohl um die Kontroverse etwas zu beruhigen, plant Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) 

schärfere Strafen, wenn Bürgergeld-Empfänger Arbeitsangebote komplett verweigern. Heil hat der Bundesregierung vorgeschlagen, das Bürgergeld dann für bis zu zwei Monate zu streichen. Die Kosten für Unterkunft und Heizung sollen aber weiter gezahlt werden. Aktuell dürfen die Jobcenter maximal 30 Prozent des Bürgergelds kürzen. Laut den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit wurden von Januar bis August 2023 rund 8.500 Fälle registriert, bei denen nicht auf Arbeitsangebote reagiert wurde.
In der ZEIT diskutieren z.B. Thorsten Alsleben (Geschäftsführer der von den Arbeitgeberverbänden finanzierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)) und Bettina Kohlrausch (wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbunds) - Soll man beim Bürgergeld kürzen?

Auf das Argument von Alsleben, der Staat könne in Zeiten hoher Inflationsraten nicht allen den Erhalt der Kaufkraft garantieren, antwortet Kohlrausch: 

Das sehe ich anders. Wir haben ein in der Verfassung verankertes Existenzminimum. Daraus leitet sich das Recht auf eine Grundsicherung ab. Bei den unteren Einkommensgruppen gibt es wenig Spielraum für zusätzliche Einschränkungen, weil die Betroffenen sonst unter das Existenzminimum fallen würden. Das entspricht nicht meiner Vorstellung von Sozialstaatlichkeit. Und wir wissen aus der Forschung auch, wie wichtig das Sozialstaatsprinzip für den sozialen Frieden und die Akzeptanz der Demokratie ist.
Alsleben: Stimmt, aber das in der Verfassung verankerte Existenzminimum schlägt sich auch im Grundfreibetrag der Einkommensteuer nieder. Das ist der Teil des Einkommens, der nicht versteuert werden muss. Er steigt im kommenden Jahr mit gut sechs Prozent deutlich weniger stark als das Bürgergeld. Der soziale Friede ist aus meiner Sicht eher gefährdet, wenn normale Arbeitnehmer das Gefühl haben: Jemand, der arbeitet, hat nicht viel mehr Geld als jemand, der auf Kosten der Steuerzahler lebt und vielleicht nebenher schwarz arbeitet. Das kann man den Leuten nicht vermitteln.

Es ist also ein komplexes Problem mit vielen Unschärfen. Kohlrausch versucht dies beispielhaft mit konkreten Zahlen auszuräumen (oft versucht und oft mit anderen Zahlen konterkariert):

Jemand, der arbeitet, hat immer mehr Geld als jemand, der Bürgergeld bezieht. Bei einem alleinstehenden Vollzeitarbeitnehmer, der Mindestlohn verdient, liegt das verfügbare Einkommen um 532 Euro über dem Einkommen eines Bürgergeldbeziehers. Bei einer Familie mit zwei Kindern sind es zwischen 412 und 640 Euro mehr, je nach Alter der Kinder. In den Vergleichen dieser Gruppen wird oft nicht berücksichtigt, dass auch Menschen mit niedrigem Einkommen Anspruch auf Sozialleistungen wie zum Beispiel Wohngeld haben. Wir haben das im WSI einmal berechnet, das war ziemlich aufwendig.

Darauf Alsleben: 

Genau das ist doch das Problem: Viele nehmen diese Sozialleistungen nicht in Anspruch. Man muss sich doch einmal in jemanden hineinversetzen, der aktuell Bürgergeld bekommt. Die Miete wird bezahlt, es gibt automatisch eine Reihe von Vergünstigungen, etwa freie Eintritte in öffentlichen Einrichtungen in vielen Kommunen. Aber niemand rechnet doch eine Woche lang durch, was er womöglich an staatlichen Leistungen bekommen würde, wenn er anfängt zu arbeiten. Er sagt sich: Wenn ich den Job annehme, muss ich 40 Stunden in der Woche arbeiten und verliere meine Vergünstigungen. In so einer Situation ist die rationale Entscheidung: Dann bleibe ich halt im Bürgergeld.

Und das legt etwa eine Studie des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) auch nahe:

Die erhöhten Sätze des Bürgergeldes in Verbindung mit geringerem Druck zur Arbeits­aufnahme werden in vielen Fällen dafür sorgen, dass die Arbeitsanreize zu gering sind, um zum Verlassen der Grundsicherung bzw. zur Aufrechterhaltung des Arbeitsangebotes zu motivieren. 
In der Diskussion sind mehrere Stellschrauben, an denen man drehen könnte:
  • Höhere Förderung von Niedrigverdiener-Haushalten (höhere Kinderförderung sowie bessere steuerliche Berücksichtigung nicht arbeitender Ehepartner).
  • Höhere Mindestlöhne
  • Niedrigere Grundsicherung
Alle sind relativ begrenzt, unklar in Wirkung und Wechselwirkung sowie umgehbar. Daher immer heftig umstritten. Etwa hier in der o.g. Diskussion der ZEIT:
Alsleben: Also, da möchte ich jetzt noch mal widersprechen. Wir wissen, dass Alleinlebende, die sanktioniert wurden, mehr als doppelt so häufig einen Job annehmen im Vergleich zu denen, die nicht sanktioniert wurden. Das heißt: Wir haben eine unmittelbare Wirkung der Sanktion. Und jeder Praktiker sagt Ihnen, dass es insbesondere am Anfang, wenn die Leute gerade ins Bürgergeld reinkommen, wichtig ist, sie so schnell wie möglich wieder in geregelte Arbeit zu bringen, weil sie sich sonst von Arbeit entwöhnen. Wir haben ja auch die Schulpflicht. Manchmal muss man die Leute eben zu ihrem Glück zwingen, zumindest wenn sie von der Allgemeinheit bezahlt werden.
Kohlrausch: Leistungen zu kürzen, um Menschen in Arbeit zu bringen, das hat man bereits versucht. Das Ergebnis ist: Viele Leute ziehen sich aufgrund von Sanktionen komplett zurück oder werden krank. Die sind dann für den Arbeitsmarkt erst recht verloren. Was wir brauchen: eine andere Art der Ansprache, der Beratung in den Jobcentern. Das gilt vor allem für Langzeitarbeitslose und Jugendliche. Wir haben in Deutschland aktuell 630.000 Jugendliche, die weder in Arbeit noch in Ausbildung sind. Das ist eine Nachwirkung der Pandemiezeit. Bei denen einfach zu kürzen, fände ich ignorant, wenn man sich anschaut, was wir ihnen als Gesellschaft angetan haben. Außerdem gibt es auch im Bürgergeld eine Mitwirkungspflicht. Das ist kein bedingungsloses Grundeinkommen.
Auf das Argument, das etwa in den Niederlanden ein viel höherer Prozentsatz der ukrainischen Flüchtlinge arbeiten (in D sind es nur 19%) antwortet Kohlrausch:
Das ist in der Tat wahr. Wir haben eine viel geringere Eingliederung. Das liegt daran, dass unser Arbeitsmarkt und auch das Aufnahmesystem sehr unflexibel sind. In den Niederlanden mussten sich die Ukrainer zum Beispiel nur in den Gemeinden anmelden und sind sehr schnell, auch über Instrumente wie Zeitarbeitsagenturen, in den Arbeitsmarkt integriert worden. Hier wird viel Wert auf die Vermittlung von Sprachkenntnissen gelegt, ….
Das Gegenargument von Alsleben: die Bürokratie kann hier einen kleinen Anteil des Unterschieds zu den anderen europäischen Ländern erklären. Aber der dominierende Grund bleibe doch das deutsche Bürgergeld. Sehe ich auch so.

Zumindest auf die Bürokratie als wichtige Ursache kann man sich offensichtlich einigen. Also wäre eine erste wichtige Maßnahme - Bürokratie stark reduzieren und die Transfersysteme drastisch vereinfachen. Und dann immer wieder an den anderen Stellschrauben drehen und Wirkungen beobachten und demokratisch diskutieren, Schlußfolgerungen pragmatisch umsetzen, weiter beobachten. Und Ideologien möglichst draußen lassen ……


Quo Vadis Bürgergeld?

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Kommentare 18
  1. Laura L
    Laura L · vor 12 Monaten · bearbeitet vor 12 Monaten

    Liegt die geringe Quote arbeitender Geflüchteter nicht auch an der in Deutschland existierenden „Sperrfrist“, die kürzlich erst verkürzt wurde (ich glaube von 1 Jahr auf 3 Monate)? Ich frage mich wie das in den Niederlanden gehandhabt wird

    Allgemein fehlt mir bei solchen Texten immer das Zahlengerüst. Wieviele der Menschen, die Bürgergeld bekommen, sind denn Geflüchtete? Und wieviele zB sind Alleinerziehende, etc - verglichen zum „faulen Typen“ aus eingängigen RTL-Sendungen, der keinen Bock hat zu arbeiten … Da Zahlen zu haben fänd ich schon wichtig, denn die Lösungsansätze (Kita-Plätze vs Sanktionen z.B.) sind andere.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 12 Monaten

      Ich denke Ukrainer haben keine Sperrfrist, sollen aber vorher deutsch lernen. Ich würde auch keinen Asyl-Antragsteller,, der Arbeit hat mit Ausweisung drohen. Insgesamt ist unsere überbordende Bürokratie und der Wald an Vorschriften sicher ein Problem.

      Zahlen kann man recherchieren. Aber ob diese die Arbeitsmotivation wiedergeben? Wer gibt bei Befragungen schon zu, dass er keinen Bock hat zu arbeiten? Zumal das ja den Bezug des Bürgergeldes gefährden könnte?

    2. Laura L
      Laura L · vor 12 Monaten

      @Thomas Wahl Bzgl Ukrainer:innen kommen wegen des Bürgergelds: das sieht dieser Artikel anders
      https://www.fes.de/the...

      Bzgl Daten: ich meinte eher wie viele sind alleinerziehend, wie viele Ü60 oder U25, etc - um die Gründe besser zu verstehen warum Leute nicht arbeiten (können oder wollen) - und was man dagegen tun kann

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 12 Monaten

      @Laura L Leider sagt der Artikel ja nicht, wieviele Flüchtlinge die verschiedenen Länder aufgenommen haben, sondern nennen nur den Anteil an der Bevölkerung. Das ist nicht seriös. Schon gar nicht, wenn man dann in der Überschrift schreibt "Wohin sind die Ukrainerinnen und Ukrainer im offenen Europa gegangen?"
      Das dabei in Ländern mit viel geringerer Bevölkerung schon wenige Zuwanderer ausreichen um einen höheren Anteil an der Bevölkerung zu erreichen, fällt dabei unter den Tisch. Seriöse Analysen nennen Anteil und Anzahl. Zumal die bekannt sind.

      Ich denke, man kann grundsätzlich aus solchen Verteilungen auch nicht trennscharf auf die durchschnittliche Motivation schließen. Erstens sind bei den meisten Menschen Motivationen nicht monokausal. Auch wenn es Präferenzen gibt. Und zweitens werden Menschen, die eher auf leistungslose Einkommen Wert legen dann in diese Länder gehen. Und da sind die meisten Ukrainer mit gut 1,1 Mio. in D und 0,37 Mio. in Tschechien. Andere bleiben in der Nähe der Grenze (in Polen leben knapp eine Mio.), andere folgen ihren Verwandten, die schon länger Migranten waren, andere bekommen Jobs in Ländern angeboten oder eben Visa usw. usw. Wobei die Frage, warum der Anteil der Arbeitenden dann in dem einen oder anderen Land höher oder niedriger ist, bleibt in gewissem Maße auch spekulativ. Möge jeder seine Schlußfolgerungen daraus ziehen.

      https://de.statista.co...

    4. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 12 Monaten

      @Laura L Die Frage nach genaueren Statistiken finde ich sehr berechtigt.

      Danke für den Link zum Artikel der FES. Nach meinen Informationen und Berichten ukrainischer Flüchtlinge selbst beschreibt er die Situation allgemein korrekt.

      Einige weitere Hinweise und Gedanken:

      1) Der prozentuale Anteil an der Gesamtbevölkerung ist sicher die wesentliche Angabe. Hier noch die aktuellen absoluten Zahlen: https://ec.europa.eu/e...

      Hinzu kommt, dass ja Deutschland wirtschaftlich viel stärker ist, als die osteuropäischen Länder mit dem höchsten Anteil.
      Hohe absolute Zahlen werden zumeist in der Belastungsdebatte herangezogen. Wobei sich aus einer geringeren Arbeitsmarktintegration tatsächlich auch höhere finanzielle Lasten ergeben. Jedoch sind Auswirkungen auf Wohnungsmarkt und Gesundheitswesen – wie bspw. ellenlange Wartezeiten auf psychologische Therapien – so und so zu verzeichnen. Probleme sind aber nicht Flüchtlingswellen geschuldet, sondern hausgemacht.

      Ein wichtiges Muster ist erkennbar:
      Slawische Länder und Baltikum mit hohem Anteil russischsprachiger Bevölkerung waren anziehender als Rumänien und Ungarn.

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 12 Monaten

      @Lutz Müller Warum sollte der prozentuale Anteil der wichtigste Angabe für die Wanderungsgründe sein? Die Ukrainer u.a. wählen doch ihr Zielland nicht danach, alle Länder proportional gleich zu belasten? Sie entscheiden sich für ein Land nach ihren Präferenzen und Annahmen. Egal wieviele Bürger dieses Land hat. Und die meisten gehen nach Deutschland.

    6. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 12 Monaten

      @Laura L 2) Ein wichtiger Pull-Faktor waren bereits vor dem Überfall im Februar 2022 in den Aufnahmeländern lebende ukrainische Bürger‘innen. https://ec.europa.eu/e...

      Die wichtigste Ursache vermute ich in Flüchtlingsbewegungen nach dem faktischen Kriegsausbruch 2014 und aufgrund der sich verschlimmernden wirtschaftlichen Lage, habe aber dazu nicht recherchiert.

      Auf D bezogen greift dieser Faktor zusätzlich durch die Immigration vor allem in den 1990ern – Spätaussiedler („Russland-Deutsche“) und jüdische Flüchtlinge aus der Ex-Sowjetunion, die per se deutsche Bürger wurden oder die Staatsbürgerschaft nach Wartezeit erhielten.

    7. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 12 Monaten · bearbeitet vor 12 Monaten

      @Laura L 3) Der FES-Artikel wertet einige Aussagen der Studie von BAMF, IAB, SOEP und BIB kritisch. Ich denke, berechtigt – bei drei Institutionen handelt es sich um Bundeseinrichtungen. Dennoch: Es ist wahrscheinlich die umfassendste, auf einer repräsentativen Befragung basierende Studie, veröffentlicht im Dezember 2022: https://www.diw.de/doc... – 15 Seiten, Bedeutung der Abkürzungen siehe Einleitung; FReDA steht für familiendemografisches Panel beim BIB.

      Ergebnisse einer zweiten Befragung Anfang 2023 wurden im Juli publiziert: https://www.diw.de/de/... - Studie ist auf Pressemitteilung unten verlinkt.

      Natürlich sind Antworten auf Befragungen subjektiv gefärbt. Anders aber als etwa bei den Arbeitsagenturen haben Befragte einer wissenschaftlichen Studie keine Sanktionen zu befürchten. Auf den Ämtern hingegen ist durchaus denkbar, dass bestimmte Arbeitsangebote nicht angenommen werden können, weil sie zur konkreten Belastungssituation der Geflüchteten nicht passen. Immerhin sind laut den o. a. Eurostat-Daten ein Drittel Kinder.
      In D waren, die ersten Kriegsmonate 2022 ausgenommen, knapp unter 30 % Kinder - hier auch die Geschlechter- und Altersgruppenaufteilung einschl. Ü60: https://www.destatis.d... .

      Die Grafik mit dem Wanderungssaldo zeigt außerdem, dass 2023 durch Rückkehr von Flüchtlingen die Immigration fast ausgeglichen wurde. Wäre das deutsche Bürgergeld wirklich so attraktiv, könnte eine größere Einwanderung erwartet werden – z.B. auch aus PL oder den NL mit problematischen Arbeitsbedingungen, die die FES benennt.
      Ergänzung (nach Thomas‘ Hinweis): Geschildert werden Fälle ukrainischer Erwerbstätiger, nicht die Arbeitsbedingungen in diesen Ländern allgemein.

    8. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 12 Monaten · bearbeitet vor 12 Monaten

      @Lutz Müller "EU-Bürger haben in Deutschland erst nach fünf-jährigem Aufenthalt Anspruch auf Sozialleistungen, sofern sie weder in Deutschland arbeiten, noch durch einen ehemaligen sozialversicherungspflichtigen Job Ansprüche aus der Sozialversicherung geltend machen können.

      Werden EU-Bürger in Deutschland arbeitslos, haben Sie Anspruch auf Arbeitslosengeld I, sofern sie für zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt waren."

      https://hartz4widerspr...

      Das ist also eine völlig andere Situation als bei den Ukrainern und anderen Asylbewerbern und besagt nichts über die Attraktivität des Bürgergeldes für Polen oder Niederländer im Vergleich mit außereuropäischen Gruppen. Mir ist auch unklar, warum das Bürgergeld für Ukrainer oder gar für Ukrainerinnen mit Kindern als ein Bestandteil der Motivation unattraktiv sein sollte? Wenn es so wäre, Bürgergeld also nicht wirklich attraktiv ist, dann könnte man es doch auch streichen - oder?

    9. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 12 Monaten · bearbeitet vor 12 Monaten

      @Thomas Wahl In meinem Kommentar geht es nicht um Migration von Polen oder Niederländern, sondern von ukrainischen Flüchtlingen, die D als Ziel wählen anstelle PL oder NL wegen möglicherweise besserer Leistungen und Arbeitschancen.
      Natürlich spielt der (potentielle) Verdienst eine Rolle beim Streben nach hohem Lebensstandard. Auch die Höhe von Sozialleistungen kann entscheidend sein, wenn es darum geht, aus der Not noch etwas abzweigen zu können für in der Heimat zurückgebliebene Angehörige.

      Könnte man das Bürgergeld auch streichen? Sicher nicht, es soll ja das Existenzminimum abdecken. Man könnte es durch andere Leistungen ersetzen, aber darum ging es doch in diesem piq nicht, oder?

      „Ukrainer und andere Asylbewerber“ – sie gehören nach den aktuellen gesetzlichen Regelungen nicht zusammen. Zum vorläufigen Schutzstatus für ukrainische Flüchtlinge in PL - https://euaa.europa.eu...
      In D:
      https://euaa.europa.eu...

      Was also sind die Gründe dafür, dass sich die absoluten Zahlen im kleineren PL mit denen von D in ihrer Größenordnung angleichen, wo doch allein schon die Unterbringung in PL viel problematischer sein dürfte?
      Wichtig sind die Nähe zur Heimat, aber auch Netzwerke – wie aus Komm. 2) hervorgeht, lebten in PL bereits 2021 sehr viele Ukrainer’innen.

      Und klar – die Relation zur Bevölkerungszahl ist von Bedeutung für die Fähigkeit einer Gesellschaft zu sozialen Hilfsleistungen, übrigens genauso wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit für potentielle Militärhilfe.

    10. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 12 Monaten

      @Lutz Müller Du schriebst: "Wäre das deutsche Bürgergeld wirklich so attraktiv, könnte eine größere Einwanderung erwartet werden – z.B. auch aus PL oder den NL mit problematischen Arbeitsbedingungen, die die FES benennt."

    11. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 12 Monaten

      @Thomas Wahl Aus dem Zusammenhang ergibt sich eingangs des betreffenden Absatzes der Bezug zur flüchtlingsbezogenen Arbeitsintegration.
      Der Absatz endet so:
      "... Beklagt werden allerdings auch Schattenseiten. Der niederländische Menschenhandels-Beauftragte dokumentiert Fälle von sexueller und krimineller Ausbeutung und von Übervorteilung und Unterbezahlung und kritisiert, dass es zu wenig Transparenz gebe. In Polen gibt es viele Berichte über Ausbeutung und Unterbezahlung."

    12. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 12 Monaten

      @Lutz Müller Aber das gibt es doch überall. Auch in D.

    13. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 12 Monaten

      @Laura L 4) Wie der DLF-Artikel schreibt, erfolgt die Inflationsanpassung des Bürgergelds neuerdings schneller als bisher. Bei einer Inflationsrate im Jahresdurchschnitt 2022 von 10 % erhöhten sich die Verbraucherpreise für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke um 16 %. Dieser wesentliche Posten im Warenkorb Hilfebedürftiger wird also auch durch die Bürgergelderhöhung 2023 nicht kompensiert. https://www.destatis.d...

      Die vorliegenden Monatszahlen lassen auch für 2023 insgesamt eine Preisentwicklung bei Nahrungsmitteln und alkoholfreien Getränken in ähnlicher Dimension erwarten. https://www.destatis.d... Das Bürgergeld 2024 erhöht sich um 12 %.

      Zur genaueren Betrachtung müsste man in die Entscheidungsgrundlagen der Bürgergeldberechnung schauen.

      Thorsten Alsleben von der Denkfabrik INSM bringt nun in der ZEIT das Argument mit dem Grundfreibetrag ins Spiel. Richtig ist, dass auch dieser zur Sicherung des Existenzminimums bestimmt ist. Sein bloßer Vergleich mit der Bürgergelderhöhung hinkt jedoch:
      In der Rechnung müssen die Lohn- und Preisentwicklung berücksichtigt werden und auch, wie sich der Steuertarif ab dem ersten zu versteuernden Euro oberhalb des Freibetrags auf das Einkommen nach Steuern auswirkt. Wenn das WSI das so gerechnet hat – und das würde ich erst mal nicht anzweifeln, verstehe ich die Bemerkung im piq „oft versucht und oft mit anderen Zahlen konterkariert“ nicht.

      Dass es Mitnahmeeffekte – nicht nur bei ukrainischen Flüchtlingen – gibt, über die Alsleben spricht, ist bekannt. Verständlich auch, wenn die Antragsbürokratie Geringverdiener abstößt, da sie nur kleinere Aufstockungen zu erwarten haben. Das Gleiche trifft aber auch für Bürgergeldbezieher zu, sollte es mit dem Job nicht funktionieren. Das Beschäftigungsverhältnis sollte also möglichst nachhaltig sein.

    14. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 12 Monaten

      @Laura L 5) Was von der FES als Best practise anderer Länder angesprochen wird:
      Im Vergleich versagt D als Hochtechnologieland in der Digitalisierung der Verwaltung.
      Lasst uns doch erst mal das schaffen, es braucht dazu keine digitale Revolution.
      Bei vielen Bürgerdienstleistungen ist die Verwaltung überfordert, und dann kommen noch Flüchtlinge mit erhöhten Hilfebedürfnissen.

      Vergleichende Studien könnten offenlegen, wie sich wirksame Hilfeleistungen und Arbeitsaufnahmen verzögern und höhere Verwaltungskosten in D entstehen.

      In statistischen Fachtagungen habe ich u.a. mitbekommen, dass die Bevölkerung in den NL und skandinavischen Ländern ein höheres Grundvertrauen in ihre Staaten hat. Dadurch sind auch überbordender Datenschutz und Abschottung zwischen den Behörden kein Thema – alles ist machbar, wenn es die staatlichen Dienstleistungen für die Menschen vereinfacht.
      Und selbst fachbereichsübergreifende Analysen sind durch einfacheren Zugriff auf Register und Datenverknüpfungen leichter möglich.

      Zu den unterschiedlichen Anteilen in der Beschäftigung ukrainischer Flüchtlinge in D und NL habe ich jetzt schnell keine Daten gefunden. Anknüpfend die von Eurostat erstellten Migrationsstatistiken zu Menschen mit ausländischem Geburtsort (Teil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund): https://ec.europa.eu/e...

      1,4 % der deutschen Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren sind in den letzten fünf Jahren bis 2022 eingewandert und hatten einen Geburtsort in anderen EU-Ländern, 3,3 % außerhalb der EU.
      Von Ersteren waren 78 % erwerbstätig, bei Letzteren waren es 57 %.

      Die entsprechenden Daten der NL:
      Bevölkerungsanteil 0,9 bzw. 2,0 %,
      darunter Erwerbstätige 84 bzw. 68 %.

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 12 Monaten

    Bettina Kohlrausch hat recht, entscheidend ist der Beitrag von Yasmin Fahimi:
    https://www.deutschlan...

    Aber es ist kein Feld für eine wichtige Diskussion. Die geht darum:
    https://www.zeit.de/wi...

    Hier habe ich noch keine Meinung, sondern plädiere für Versuche.

    1. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 12 Monaten

      Fratzschers Kolumne las ich auch.
      Hätte hier vielleicht darauf hingewiesen. Unter Berücksichtigung meines obigen Komm. 5) sehe ich das aber wenn überhaupt in fernerer Zukunft als realisierbar. Politik tut sich schwer, und es müsste erst wieder eine neue Behörde aus dem Boden gestampft werden. Auch die Debatten werden garantiert die ums Bürgergeld toppen.

      Modellversuche gibt es ja schon. Aktuell hier: https://www.mein-grund...
      Nicht repräsentativ. Hatte was dazu schon mal gelesen, zu Erkenntnissen aus Experimenten noch nichts. Auf der Website sind Berechnungen des DIW visualisiert: https://www.mein-grund...

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 12 Monaten

      Zu dem Zeitartikel von Fratscher gibt es nicht viel zu sagen. Man muß nur die Kommentare lesen.

      Wo er recht hat: Den wichtigsten Punkt der Kritiker kann die Studie jedoch nicht beantworten, nämlich mögliche Verhaltensänderungen. Wie viele Menschen würden sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen dafür entscheiden, nicht mehr oder sogar weniger zu arbeiten? Und was hieße das für dessen Finanzierbarkeit? Dies ist vielleicht die entscheidende Frage, die aber niemand in der Welt heute mit Verlässlichkeit beantworten kann. Die Kritiker haben recht, dass manche Menschen durch ein solches Grundeinkommen ihre bezahlte Arbeit reduzieren und sich andere Tätigkeiten im Privaten suchen werden – für sich persönlich oder für eine ehrenamtliche Tätigkeit, so wie viele Umfragen dies zeigen."

      Dabei hat er noch die Schwarzarbeit vergessen, die bei 50% Lohnsteuer ab dem ersten Euro enorm attraktiv wird. Und man kann die gesamtgesellschaftliche Wirkung eines BGE eben grundsätzlich nicht durch zeitlich und zahlenmäßig begrenzte Testprojekte probieren. Kein Mensch wird sich mit einem 2jährigen Grundeinkommen, dass in seiner Umgebung nur er bekommt, vergleichbar verhalten wie in einer Gesellschaft, in der das alle bekommen. Und man sich langfristig anschaut, wie andere reagieren und sich soziale Normen verändern. Bei so grundsätzlichen Fragen sollte man nur Schritte tun, die reversibel sind. Ob das in einer Gesellschaft, die bei Sozialausgaben fast nur eine Richtung kennt - mehr und höher - funktioniert?

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