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Volk und Wirtschaft

Kompetenz und Inkompetenz der Diktatoren im "Wirtschaftskrieg"

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSonntag, 23.10.2022
Die Welt scheint sich in einem politischen und vor allem wirtschaftlichen Wettlauf zu befinden - zwischen Demokratien und Diktaturen. Es werden Wetten geschlossen, wer aus dem Systemkampf als Sieger hervorgehen wird - China oder die USA? Wobei einiges darauf hindeutet, dass die liberalen Demokratien zurückfallen.
Fast schon Verzückung lösen asiatische Wachstumsdiktaturen aus, die wie in China lange Zeit die hohen Erwartungen an das Wirtschaftswachstum beinahe auf die Kommastelle genau erfüllten. Demgegenüber suhlen sich manche westliche Schwarzseher in Schilderungen, wie kurzsichtig und verblendet demokratische Politiker seien. Dies lässt sich nicht immer von der Hand weisen. Das jüngste Beispiel ist das Regierungschaos im Vereinigten Königreich, das sich gerne als Mutterland einer modernen Demokratie sieht.
Und auf der anderen Seite scheinen sich die prognostizierten Wachstumseinbrüche infolge der westlichen Sanktionen in Russland nur sehr verzögert einzustellen. Die autokratischen Strukturen waren wirtschaftlich gut vorbereitet und agieren zumindest finanzpolitisch geschickt. In dem Artikel plädiert der NZZ-Wirtschaftsredakteur Gerald Hosp jedoch für einen langfristigen und differenzierten Blick auf den Systemkampf. Nicht nur weil es Diktaturen besser gelingt ihre Wirtschaftsleistungen zu schönen als Demokratien mit oppositionellen Medien. So zeigen Studien mit alternativen Methoden bei der Abschätzung etwa des BIP, dass es Autokratien im Vergleich mit Demokratien gelingt, ihr jährliches Wirtschaftswachstum um gut ein Drittel zu übertreiben.

Aber die eigentliche alte und immer wieder diskutierte Frage bleibt, 
wie wirtschaftlich erfolgreich undemokratische Länder sind. In der ökonomischen Literatur stellte vor wenigen Jahren eine einflussreiche Studie fest, dass Demokratie einen positiven Effekt auf die Wirtschaftsleistung pro Kopf habe. Diese Frage bleibt heiss diskutiert, weil Ursache und Wirkung nicht so klar sind. Führt Demokratie zu mehr Wachstum oder umgekehrt? Singapur und China sind Beispiele für eine – zumindest lange Zeit – erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung mit der «harten Hand».

Aber noch viel mehr undemokratische Regime scheitern am Wirtschaftswachstum.

Hingegen sind die meisten reichen Staaten Demokratien – ausgenommen diejenigen, deren Wohlstand auf Bodenschätzen beruht. Demokratisch regierte Länder investieren mehr in die Ausbildung der Bevölkerung und in das Gesundheitswesen. Sie sind besser darin, für wirtschaftliche Stabilität zu sorgen. Autoritäre Regime aber führen häufig zu einem wirtschaftlichen und politischen System, das fragil ist.
Wobei sich in der jüngeren Zeit die Anzeichen zu häufen scheinen, dass auch wohlhabende sozialstaatliche Demokratien schnell ins Schlingern kommen können. Etwa wenn das Wachstum von Produktivität und Wohlstand sinkt und Krisen wie Corona oder der Ukrainekonflikt dazukommen. Es bleibt spannend.

Denn auch in Russland und China lässt das Wachstum nach. Putins frühere Erfolge basierten auf steigenden Rohstoffpreisen. Das ist seit zehn Jahren vorbei, die russische Wirtschaft stagniert. Auch China hatte eine lange Periode des schnellen Wirtschaftswachstums hinter sich, als Xi Jinping die Macht übernahm, was sich seit einiger Zeit abgekühlt hat.

Und offensichtlich fehlt die Kompetenz, dies umzukehren. Die Diktatoren schieben das, besessen vom Wahn der Gewissheit und der eigenen Unfehlbarkeit, auf das Wirken innerer und äußerer Feinde aus dem Westen. Und so simuliert der "moderne" Autokratentypus Kompetenz:
Statt Angst und Schrecken zu verbreiten, manipuliert dieser die Information, indem das Schweigen der Elite gekauft, zensiert und Propaganda verbreitet wird.
Auch wenn er nicht wirklich auf Angst und Schrecken verzichten kann. Das ganze, wie der Artikel weiter zeigt, mit fatalen Folgen. Wirklich lesenswert …..

Kompetenz und Inkompetenz der Diktatoren im "Wirtschaftskrieg"

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Kommentare 17
  1. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor 2 Jahren

    "Hingegen sind die meisten reichen Staaten Demokratien – ausgenommen diejenigen, deren Wohlstand auf Bodenschätzen beruht."
    Eine weitgehend zutreffende Aussage, aber verabsolutieren kann man sie nicht. Norwegen zeigt, dass es anders geht.
    Der größte Treiber für Autokratien in rohstoffreichen Ländern ist, dass die Bodenschätze und umso mehr der Zugang zu ihnen begrenzt oder leicht zu begrenzen sind. Das Gros des Produktionswerts der extraktiven Industrie ist ein Geschenk der Natur. Es wird zu Staatseinnahmen oder Gewinnen der begünstigten Unternehmen transferiert, ohne dass für diesen Wertbestandteil Arbeit investiert wurde. Abgesehen von den Machtkämpfen dahinter macht es die Herrscher "faul", in Ausbildung und industrielle Entwicklung zu investieren.
    Bei Interesse an weitergehenden Zusammenhängen mit dem BIP kann ich auf meinen www.piqd.de/users/nnn.... verweisen.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      War Norwegen nicht schon eine Demokratie und auch wohlhabend als die Gasvorkommen entdeckt wurden? Andererseits hat auch Deutschland seinen Wohlstand mit heimischer Kohle und Eisenerz aufgebaut. Ja, nichts ist absolut zu sehen. Wohlstand und Rohstoffe macht sicher auch nicht nur die Autokraten "faul" …..

    2. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

      @Thomas Wahl Norwegen war sicher schon eine Demokratie, als sich in den 1970er Jahren die Erdölförderung entwickelte. Aber auch wohlhabend?

      Noch 1985 betrug der norwegische Pro-Kopf-Endverbrauch des BIP nur etwa zwei Drittel des Niveaus der Bundesrepublik und war dem von Schweden und Finnland in etwa vergleichbar: https://unstats.un.org...
      Ein rasanter Aufschwung fand danach statt, der das BIP 2021 auf das 32fache des Jahres 1970 steigerte, die Verbraucherpreise betrugen das 9fache: https://www.ssb.no/en
      Bemerkenswert an Norwegen finde ich, dass sich die Gesellschaft langfristig auf Zeiten vorbereitet, in denen keine Einnahmen aus den Energieexporten mehr fließen werden. Der Staatliche Pensionsfonds Oljefondet hat einen Wert von umgerechnet 1 Bill. Euro: https://de.wikipedia.o...

      Macht das den Unterschied, und können wir daraus lernen?
      Über Oljefondet schrieb übrigens Joseph Stiglitz in einer Kolumne der freien Tageszeitung Echo Baku im autokratischen Aserbaidschan.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      @Lutz Müller Mit 2/3 des Bundesdeutschen Wohlstandes war Norwegen sicher erste Welt. Wie auch immer. Die Frage wie Wohlstand, Kapitalismus und Demokratie entstanden (warum gerade in Europa) wird ja in der Wissenschaft immer noch heiß diskutiert. War es der Geist des Protestantismus? Waren es geografische Faktoren, die besondere Geschichte der freien Städte mit ihrem Bürgertum? Sicher war es ein komplexer Prozess aus kulturellen, wirtschaftlichen und geografischen Faktoren, der in diese spezifischen politisch-wirtschaftlichen Strukturen mündete. Eigentlich war die Dominanz dieses kleinen, zersplitterten Europas in der Neuzeit nicht zu erwarten ….. China war im ausgehenden Mittelalter da ein wahrscheinlicherer Kandidat.

  2. Michael Praschma
    Michael Praschma · vor 2 Jahren

    Das Thema ist ja grundsätzlich spannend. Allerdings: Ist es vor dem Hintergrund der Klimakrise nicht obsolet, ausgerechnet und immer noch das Wirtschaftswachstum (mit Beonung auf "Wachstum") als Kennziffer heranzuziehen?

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

      Die Klimakrise ist ohne Wirtschaftswachstum gar nicht lösbar. Der Umbau unserer energetischen Infrastrukturen, der Aufbau moderner Infrastrukturen in armen Ländern ist ein beispielloses Wachstumsprogramm mit gigantischem Ressourcenverbrauch. Das in den Industrieländern mit sinkendem Wachstum zu versuchen wird die Demokratien in die Knie zwingen, der Rechtstrend ginge weiter.ich kenne keine Demokratie, die sinkende Verteilungsspielräume aushalten würde.

    2. Michael Praschma
      Michael Praschma · vor 2 Jahren

      @Thomas Wahl Die Klimakrise ist ohne Investitionen (!) nicht lösbar, da bin ich dabei. Ich kann mir allerdings schwer vorstellen, dass diese Investitionen auch nur theoretisch das Ausmaß an Wachstum – bzw. Schrumpfung – erreichen können, das zugleich unbedingt erforderlich ist, um aus der Fossilwirtschaft und (nur zum Beispiel) der energieintensiven Logisitk der Globalisierung auszusteigen.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      @Michael Praschma Was wir brauchen ist doch ein Schrumpfen der CO2-Intensität und das global. Aber jedes Windrad, jeder Speicher, jedes Solarpanel ist material und energieintensiv. Jede Dämmung von Häusern schluckt Material. Jedes Recycling braucht Energie. Jede Infrastruktur in der ärmeren Welt benötigt Ressourcen usw. usw. Und auch der Hunger ist noch nicht besiegt. Der Aufbau von Sozialstaaten dort wird nicht ohne gehen. Und ein Zurückdrehen der Globalisierung würde noch teurer, wenn jede Nation wieder in kleinen Stückzahlen für den Eigenbedarf produziert.Ich denke, wir haben da einen offenen komplexen Prozess vor uns, bei dem so einfache Grundsätze wie "kein Wachstum" nicht weiterhelfen. Zumal Wachstum alles mögliche beinhalten kann.

    4. Michael Praschma
      Michael Praschma · vor 2 Jahren

      @Thomas Wahl Ich verlinke hier mal einfach einen von zahlreichen Beiträgen, die meine Position untermauern – im Bewusstsein, dass es wohl deutlich mehr diametral entgegengesetzte Stellungnahmen gibt.
      https://www.moment.at/...

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

      @Michael Praschma Natürlich gibt es zahlreiche Beiträge die diese Positionen teilen. Ob diese dadurch untermauert werden ist die Frage. Die reale Geschichte ist eine ganz andere Sache. Ich kenne keine komplexe Gesellschaft, die sich mit einer stagnierenden Wirtschaft positiv entwickelt hat.

      Auch hier wird übrigens Wachstum allein als Wachstum von Naturverbrauch und Rohstoffen verstanden. Wachstum ist ein "Kofferbegriff", hinter dem sich alles mögliche verbergen kann. Natürlich können nicht alle Faktoren ständig weiter wachsen. Das ist klar. Der CO2-Ausstoß etwa muß sicher runter. Aber der Energieverbrauch? Das BIP wächst z.B. auch wenn Dienstleistungen wie Gesundheitsleistungen, Forschung oder Bildung wachsen. Der Anteil der Arbeiten in diesen Branchen wächst beständig. Auch das Recycling, das Reparieren ermöglicht Wirtschaftswachstum. Eine Gesellschaft, die nicht wächst kann nichts Neues anfangen. Bzw. nur auf Kosten von Altem. Aber dieses Verfahren ist begrenzt. Zumal das Neue meist Kostenintensiver ist. Aber nicht zwangsläufig materialintensiver.

      Wie erkennt man Unternehmen, die "allein" wegen Profit existieren. Wenn man Produktion wieder nach Österreich zurückholen will, dann wächst automatisch das BIP. Schon wegen der höheren Löhne und der sehr kleinen Stückzahlen. Und was ist mit der begrenzten Arbeitskräftepotentialen. Österreich, auch Deutschland, wären gar nicht in der Lage die komplette Produktpalette für wichtige Bedarfe selbst zu produzieren (Die DDR läßt grüßen. Man hat es versucht.). Was also soll wegfallen an Produkten? Wer setzt das durch? Wie will man das den Wählern nahe bringen?

    6. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 2 Jahren

      @Thomas Wahl Gutes Wachstum (für kulturellen und geistigen Reichtum und eine soziale Gesellschaft) vs. schlechtes Wachstum (für rein materiellen Wohlstand) - das wäre wirklich eine perfekte Abgrenzung. Die existierenden Nachhaltigkeitsziele sind für eine derartige Betrachtung ziemlich verschwommen.

      Dass aber nach Relokation von Produktion automatisch das BIP steigt, sehe ich nicht. Wenn gewohnte preiswerte Gebrauchsgüter nicht mehr am Markt sind, werden die teureren erwartungsgemäß weniger oder nicht mehr gekauft. Das schmälert den Gewinn und am Ende vielleicht auch den Arbeitslohn.

    7. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      @Lutz Müller Ich glaube nicht, das es da eine perfekte Abgrenzung geben kann. Auch die geistig Tätigen benötigen materiellen Wohlstand, Essen und Wohnung etc..
      Wenn gewohnte Gebrauchsgüter nicht mehr genügend und preiswert am Markt sind, dann entsteht erst mal ein Schwarzmarkt. Und dann Unzufriedenheit mit der Politik. Es werden ja in der lokalen Produktion alle Güter teurer, da mit der kleineren Stückzahl die Kosten pro Stück steigen, die Produktivität sinkt. Auch das konnte man klassisch in der DDR beobachten.

      Sowas wie Produktlenkung und Verknappung ist in der Regel nur diktatorisch durchsetzbar. Wir landen also fast zwangsläufig in einer Zwangsgesellschaft mit Mangelverwaltung. In der die Strukturen, die den Mangel verwalten und die Produktion regulieren große Macht haben. Die Folge - Korruption etc.. Wie hieß es in der DDR - "Aus unseren Betrieben ist noch viel mehr heraus zu holen". Und letztendlich führt das ganze zu Verschwendung ….

    8. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 2 Jahren

      @Thomas Wahl Apropos, vielen Dank für Silicon Saxony. Dazu gibt es sicher auch noch einiges zu ergänzen, bin noch nicht dazu gekommen.
      Mit Verschwendung in der DDR gehe ich nicht generell mit, obwohl es sie auch gab. Eher sehe ich damals größtmögliche Sparsamkeit wegen Knappheit. Bspw. kam aus Kostengründen das Binnenschiff vor der Eisenbahn und die vor dem LKW. Just-in-time delivery musste warten. An CO2 und Ruß wurde nicht gespart. Mit dem geistigen Potential war es bestimmt ein Verlust"geschäft".

      Und heute? Wie wäre es mit weniger Neoliberalismus gerade in Krisenzeiten??? Privaten Ökostrom in die Netze? Etc. Die Betreiber haben eine riesige Marktmacht. Es geht ja nicht um allgemeine Produktlenkung, sondern um sinnvolle Regulierung der Verteilungsmechanismen für Allgemeingüter.

    9. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      @Lutz Müller Die Knappheit hat ja in der DDR letztendlich zur Verschwendung geführt. Jeder hatte sein Ersatzteillager im Keller, jeder Betrieb sein Vorratslager für den Notfall und für den Tausch. Den Neoliberalismus halte ich weitgehend für ein ideologisches Phantom.
      https://www.piqd.de/us...

      Kann eine sinnvolle Regulierung der Verteilmechanismen letztendlich nicht nur eine Selbstorganisation sein - nach optimierenden Grundsätzen? Ob dabei jeder ein wenig Ökostrom für sich und die anderen produzieren sollte? Das führt wahrscheinlich letztendlich zu einem riesigen Berg an Elektroschrott. Nur nicht zu einem verläßlichen Gesamtsystem. Und wechselt dabei nicht die Marktmacht von den Stromproduzenten zu den Herstellern der Panels und Windmühlen? Z.B. nach China. Denn bezahlbar wird das ganze nur, wenn man die in riesigen Stückzahlen produziert, mit viel Energie. In China?

    10. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      @Lutz Müller Was "silicon saxony" betrifft, das Thema hängt mir schon seit den 80er Jahren an. Wir haben damals an der Humboldt Uni versucht die Innovationsstrategie der DDR im Bereich Mikroelektronik zu analysieren. Viele Zahlen gab es ja nicht. Aber ich bin damals durch die FuE-Abteilungen gefahren und wir haben zumindest geredet. Die Frage war u.a., ob es Sinn macht, im Land auch noch eine GaAs-Elektronik aufzubauen.

      Nach der Wende hab ich dann im BMBF gelandet und hab an Förderkonzepten mit gearbeitet. Besonders für Dresden und Jena. Ich denke, einiges davon war ganz hilfreich.

    11. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

      @Michael Praschma Hier einer von vielen Beiträgen, die meine Position vertreten: (Teil1) "„Degrowth“, die Abkehr vom Wirtschaftswachstum, soll das Klima retten. Doch ohne Wachstum keine technologische Innovation …."
      "Terzi: Der Kapitalismus ist nicht die Ursache für die ökologische Krise. Die Natur wurde lange Zeit für grenzenlos gehalten. Das ist nicht überraschend. Den größten Teil unserer Geschichte war unsere Spezies Kräften und Ereignissen ausgeliefert, die wir kaum verstanden, seien es Überschwemmungen, Dürren, Hungersnöte oder Seuchen. Es ging immer darum zu überleben. Heute ist etwas anderes wichtig. Um den Planeten zu retten, müssen wir umdenken. Wir müssen die Orte identifizieren, an denen menschliches Handlen die Natur übermäßig schädigt und wir die Grenzen des Planeten überschreiten. Darum müssen wir uns kümmern. In dieser Hinsicht ist es von entscheidender Bedeutung, die Verbrennung fossiler Brennstoffe und die Produktion von Treibhausgasen einzustellen.

      WELT: Kann der Kapitalismus eine, wie Sie schreiben, „Kraft für das Gute“ werden?
      Terzi: Der Kapitalismus ist sicher nicht perfekt. Aber im Lauf der Geschichte ist es ihm gelungen, die Geschwindigkeit der Entwicklung und des Einsatzes technologischer Innovationen zu beschleunigen. Dieses System hat den Weg für die industrielle Revolution in Europa freigemacht und es erlaubt, den Lebensstandard der Völker zu verbessern. Heute brauchen wir Innovationen, um die Erderwärmung durch eine Dekarbonisierung der Wirtschaft zu begrenzen. Der grüne Übergang muss zu unserer obersten Priorität werden. Um dies zu erreichen, müssen wir Kohlenstoffsteuern nach Art des EU-Emissionshandelssystems (ETS) erhöhen, …
      WELT: Müsste nicht die Politik die Kontrolle übernehmen und verbindliche Normen für den Ausstoß von CO2 vorgeben?
      Terzi: Regierungen auf der ganzen Welt sind bemüht, drastische Ziele für die Senkung der CO2-Emissionen bis 2050 festzulegen, versehen mit Zwischenzielen für 2030 oder 2035. In der Europäischen Union sind diese Ziele verbindlich, und das ist positiv. Wir sind weit entfernt von dem „bla, bla, bla“, von dem Greta Thunberg sprach. Kohlenstoffsteuern, die einen starken Anreiz für Unternehmen bieten, Innovationen in Richtung grüner Lösungen voranzutreiben, sind ebenfalls entscheidend, um etwas zu bewegen. Zugleich aber sollte man nicht zu spezifisch mit Blick auf sektorale oder zeitliche Ziele sein. Kein Politiker ist in der Lage, das Tempo zu bestimmen, mit dem neue Technologien zur Begrenzung der globalen Erwärmung entwickelt und in großem Maßstab eingesetzt werden können.

      WELT: Kann der Kapitalismus wirklich mit dem Fortschritt der Menschheit und des Planeten vereinbar sein?
      Terzi: Die meisten Leute glauben ja, der Kapitalismus sei ein System, das gegen sie arbeitet. Aber das stimmt nicht. Nehmen wir zum Beispiel die Arbeitszeit. In den letzten 200 Jahren hat die industrielle Revolution zu einer beispiellosen Beschleunigung des Wirtschaftswachstums geführt, während die Arbeitszeit gleichzeitig stark gesunken ist, und zwar in vielen Bereichen. Damals gab es keine Antibiotika, Impfstoffe oder Schmerzmittel, was die Lebenserwartung erheblich verringerte. Die Kindersterblichkeit war endemisch. Was richtig ist: Die Innovationsfähigkeit konzentrierte sich auf diese dringenden Bedürfnisse – die Natur zu erhalten zählte nicht dazu. Das kehrt sich heute um. ….."
      https://www.welt.de/wi...

    12. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      @Michael Praschma Teil 2:
      "WELT: Warum sollte eine Abkehr vom Kapitalismus die Welt in eine Katastrophe führen?
      Terzi: Es kommt auf unsere kollektive Innovationsfähigkeit an. Und der Kapitalismus ist der effektivste Mechanismus, den wir haben, um Innovationen zu fördern und zu versuchen, die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels zu verhindern. Wir könnten mit diesem System brechen, ja. Das würde keine Katastrophe auslösen, jedenfalls nicht kurzfristig. Aber auf lange Sicht würde die Innovationsfähigkeit sinken, und extreme Wetterereignisse würden sich immer stärker ausprägen.
      WELT: Mit welchen Folgen?
      Terzi: Das würde zu einem Mangel führen. Es gäbe zu wenig Lebensmittel, Heizenergie und Strom für alle. Die Gesellschaft würde in kleine Gruppen zerfallen, die um ihr Überleben kämpfen. Das wissen wir aus der Geschichte vergangener Zivilisationen, die zusammengebrochen sind, wie der Geograf Jared Diamond berichtet. Das ist die Katastrophe, die ich verhindern möchte."

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