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Volk und Wirtschaft

Grünes BIP: Aufstieg, Fall und Neuanfang

Lutz Müller
Diplomökonom

Geboren 1956. Längste Schulzeit in Döbeln/Sachsen. Statistikstudium in Odessa. Tätigkeiten für verschiedene statistische Institutionen im In- und Ausland, Schwerpunkt Wirtschaftsstatistik und Beratung im Transformationsprozess. Un-Ruhestand in Berlin.
Kontakt: [email protected]

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Lutz MüllerMittwoch, 12.10.2022

Jürgen Klutes aufschlussreicher PIQ „Mit den Flüssen trocknet auch die Wirtschaft aus“ präsentiert das Einmaleins des Wirtschaftens im Einklang mit der Umwelt. Der empfohlene Artikel von Ulrike Fokken knüpft an Ereignisse dieses Sommers an und zieht konsequente Schlüsse, was zu tun ist. Das Wichtigste in aller Kürze:

  • Die Ökologie muss den Primat vor der Ökonomie bekommen.
  • Ökosysteme sind hochkomplex, wir wissen darüber viel zu wenig.
  • Das vorhandene Wissen muss umgehend in praktisches Handeln umgesetzt werden.

Für die Organisation der Wirtschaft sowie Entscheidungen in der Umwelt- und Wirtschaftspolitik sind aussagekräftige Daten unumgänglich.

Bis heute bleibt das Bruttoinlandsprodukt (BIP, oder englisch GDP) der wichtigste Indikator zur Messung der Wirtschaftsleistung (nicht, wie manchmal fälschlicherweise dargestellt, der Wohlfahrt oder des – materiellen – Wohlstands, obwohl hier eine Korrelation besteht). Es spiegelt den Wert der im Inland produzierten Güter und Dienstleistungen wider.

Die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen haben sich über Jahrzehnte als ein Kontensystem von Einkommen, ihrer Verwendung und Verteilung herausgebildet. Erfasst werden – vereinfacht ausgedrückt – Transaktionen zwischen den Akteuren Unternehmen, private Haushalte und Staat. Unsere Umwelt, der Planet Erde, bleibt dabei außen vor. Genauer gesagt, die Entnahmen von Naturressourcen gehen mit ihrem monetären Wert in die Produktion ein. Ein separater Ausweis dieser Ströme in den Konten der traditionellen VGR fand hingegen nicht statt.

Dieser Mangel wurde schon Anfang der 1990er Jahre erkannt und das Konzept eines grünen BIP entwickelt. Nunmehr wurden die verbrauchten Ressourcen bewertet. Dem Ansatz folgend, dass für ihren Ersatz und die Behebung von Umweltschäden entsprechende Aufwendungen erforderlich sind, konnten sie vom BIP subtrahiert werden. Das in mehreren Ländern vorgenommene Experiment mit diesen neuen Rechnungen scheiterte an der Politik, der die statistischen Ergebnisse offensichtlich zu niedrig erschienen.

Abgesehen davon ist es nicht möglich, komplexe Zusammenhänge mit einem komplexen Indikator darzustellen. Dies gilt auch für andere Bewertungssysteme wie Rankings oder Indikatoren, die bspw. von der OECD oder der Europäischen Kommission (TPI) entwickelt wurden.

Der aktuelle Stand der Umweltökonomischen Gesamtrechnungen fand nach meinen Recherchen in der deutschen Wirtschaftspresse kaum eine Reflexion. Ich empfehle daher einen kompakten und allgemeinverständlichen Abriss führender UN-Statistiker über die Entwicklungen des „System of Environmental-Economic Accounting“ (SEEA) als VGR-Satellitensystem. Der Beitrag wurde von Stefan Schweinfest, Alessandra Alfieri, Jessica Ying Chan und Bram Edens verfasst und erschien vor einem Jahr auf der Schweizer Plattform Die Volkswirtschaft. Unter den Quellenangaben ist auch ein Verweis auf die berühmten Ökonomen Joseph Stiglitz, Amartya Sen und Jean-Paul Fitoussi; zwei von ihnen, Stiglitz und Sen, sind Wirtschaftsnobelpreisträger. Der Beitrag gibt folgenden Ausblick:

  • „Der Klimawandel schreitet fort, und die Biodiversität nimmt ab. Die politischen Entscheidungsträger brauchen deshalb dringend eine Methode für eine evidenzbasierte Politik in Sachen Klima und Biodiversität, die das Wirtschaftswachstum nicht gefährdet.“

Also doch ein „Weiter so“?

Einen ersten Überblick über die Komplexität der für Deutschland vorhandenen Daten gibt eine Webseite des Statistischen Bundesamtes. Sie können die Basis für tiefgehende umweltökonomische Forschung und die Entwicklung neuer strategischer Konzepte bilden. Die nächste Frage ist: Wird die Politik die Wissenschaft erhören? Hat sie den Mut und die Kraft, die richtigen regulatorischen Rahmenbedingungen in ihrer Komplexität und in allen Details zu setzen?

Aus Erfahrungen der Vergangenheit habe ich da so meine Zweifel.
DIW-Energieexpertin Prof. Claudia Kemfert erklärte bereits vor Jahren, die Pipeline NordStream2 sei energiewirtschaftlich unnötig und unrentabel, die bestehenden Kapazitäten ausreichend. CDU und SPD ignorierten diese Erkenntnis. Am 9. Februar 2022 brachte es Frau Kemfert auf den Punkt: Deutschland hat sich durch diesen „Elefanten im Raum" erpressbar gemacht und geopolitisch ins Abseits manövriert...

Grünes BIP: Aufstieg, Fall und Neuanfang

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Kommentare 2
  1. Jürgen Klute
    Jürgen Klute · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

    Danke für die Ergänzung zu meinem piq. Die Artikel passen sehr gut zusammen. Ich teile allerdings deine Skepsis gegenüber der Bereitschaft und Fähigkeit (es ist nach meiner Beobachtung beides) der Politik, aus den wissenschaftlichen Einsichten Konsequenzen zu ziehen.

    1. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 2 Jahren

      Danke für dein Feedback. Was wir bis dato haben, sind Appelle kluger Köpfe und der Aufschrei von Aktivist*innen. Und wir haben die Macht der Wirtschaft über die Politik, den globalen Wettlauf starker Volkswirtschaften und die Gewohnheiten der Massen. Das alles lässt sich nur mit sehr viel Überzeugungsarbeit und einem breiten gesellschaftlichen und internationalen Konsens ändern.

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