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Kurator'in für: Europa Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953
Studium der Elektrotechnik und Elektronik
Forschung / Lehre auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Innovationstheorie
Entwicklung von Forschungsprogrammen im IKT-Sektor für verschiedene Bundesministerien und Begleitung der Programme und Projekte - darunter Smart Energy, Elektromobilität, netzbasiertes Lernen, Industrie 4.0
Nun im Un-Ruhestand
Jürgen Kaube greift ein Thema auf, das mich auch bewegt - der häufige Gebrauch von wenigen, meist einfach vernetzten politischen Kampfbegriffen zur Erklärung von Wirtschaft und Gesellschaft in unseren Medien aber auch in täglichen Diskussionen. Was natürlich nicht die Welt erklärt sondern eher die Weltsicht der Schreibenden oder der Diskutanten. Ein Merkmal dieser Begriffe, die wir heute zur Beschreibung unserer Gesellschaft bevorzugen:
Sie stammen oft nicht nur aus vergangenen Zeiten. Es sind auch viele Begriffe darunter, die einst mehr als politische Waffe denn als wissenschaftliches Instrument eingesetzt wurden. Nehmen wir “Technokratie” und folgen wir dem angloamerikanischen Wirtschaftshistoriker Harold James aus Princeton, der gerade ein gedankenanregendes “Glossar der Globalisierung” vorgelegt hat.
Darin wird die Geschichte und der aktuelle Gebrauch zentraler politischer Kampfbegriffe analysiert. Der Technokratie-Begriff hat darin einen konkreten Erfinder,
den amerikanischen Ingenieur William H. Smyth. In einem 1919 publizierten Aufsatz forderte er eine Befreiung der Wirtschaftspolitik aus demokratischen Fesseln. Denn Demokratie, so der Ingenieur, führe doch nur zur Herrschaft der “unintelligenten” Mehrheit. Demgegenüber sollte allein auf der Grundlage von technischer und wissenschaftlicher Erkenntnis entschieden werden, was gut für die Nation sei. Smyth hielt offenbar, wie immer noch viele, die Wissenschaft für eine Angelegenheit, die stets zu eindeutigen Empfehlungen führt.
Das war auch eine Idee, die aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges entstand. Kriege vereinfachen scheinbar die Gesellschaften. Sie erscheinen einfach steuer- und planbar. So wurde im Zweiten Weltkrieg der Begriff “Big Science” geboten,
um den engen Kontakt zwischen Forschung und politischer Planung zu beschreiben. Harold James notiert, in den Jahren 1944 und 1945 sei das Budget des “Manhattan Project”, das die Atombombe hervorbrachte, größer gewesen als das des Verteidigungsministeriums. Gleichzeitig stiegen Disziplinen wie Ökonomie und Soziologie auf. 1945 wählte der Philosoph Karl Popper für seinen Vorschlag, an die Stelle großer Ideale als Taktgeber der Politik nun schrittweise und begrenzte Reformen zu setzen, den Begriff “social engineering”.
Hier haben wir eine weitere Eigenschaft vieler dieser scheinbar klar analytischen Begriffe, die verwendet werden, um unsere Gesellschaft zu beschreiben. Sie können und werden normativ gesetzt, mit positiver oder negativer Konnotation. Wenn das Wort erklingt, weiß eigentlich jeder, worauf das zielt. Und jeder glaubt damit die Gesellschaft verstanden zu haben. Man kann vermuten, diese Begriffe werden erfunden, um einen “Krieg der Worte” zu führen. Der "kalte Krieg" läßt grüßen.
Niemand würde sich heute selbst als Technokraten titulieren. Oder nehmen wir das Wort „Populismus".
Bei James folgt auf das Kapitel über Technokratie insofern schlüssig das über die entgegengesetzte Illusion: Populismus. Die Ersten, die sich Populisten nannten, waren amerikanische Bauern, die gegen die Ostküste und die Industriegesellschaft protestierten. Hier wird ein Begriff von Demokratie gegen die Technokratie aufgeboten, der sich aus den Träumen einer umfassenden politischen Beteiligung aller an allem nährt sowie an der Vorstellung einer Willensübertragung zwischen Regierten und Regierenden.Wer will heute schon ein Populist sein? Auch der Begriff “Neoliberalismus” zeigt nach James klar wie ungeeignet einfache "farbige" Begriffe zur Charakterisierung komplexer Gesellschaften sind. Heute haben alle, denen man eine Schuld an den wirtschaftlichen und sozialen Problemen der Welt gibt einen Namen - Neoliberale. Einfach und klar - aber sicher falsch.
Die Konsumenten und Wähler wiederum, die sowohl am Klimawandel wie an den Finanzkrisen ihren Anteil haben, werden nie als neoliberal angeklagt. Im Krieg der Worte spielen, wie in jedem, Wahrheiten nur eine untergeordnete Rolle.Wähler können nicht schuldig sein? Was natürlich ein schräges Bild auf die Demokratie wirft. Zwar soll das Volk der Souverän sein. Als unser grundlegendes demokratisches Prinzip gilt, das im Staat die oberste Gewalt (= Souveränität) vom Volk ausgeht. Das ist im Grundgesetz verankert [Art. 20 GG] und wird durch Wahlen realisiert, in denen das Volk direkt oder indirekt seine Regierung, seine Gesetzgeber und seine Richter selbst bestimmt. Aber was ist das für eine Demokratie, in der der Souverän nur als ein unschuldiger, gar geistig beschränkter (?) und von den Neoliberalen manipulierter Akteur gesehen wird?
Quelle: Jürgen Kaube blogs.faz.net
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Hier auf Piqd hatten wir im letzten oder vorletzten Jahr schon mal die Debatte, dass „Neoliberal“ ein völlig hohler Kampfbegriff ist. Wir sind eben unserer Zeit voraus :-)
Von Wolfgang Streeck ist soeben übrigens ein schöner Artikel erschienen, in dem er zeigen will, wie Angela Merkel es geschafft hat, Populismus und Technokratie (die eigentlich entgegengesetzte Begriffe sind) zu einem „Technopoulismus“ vereint hat:
https://www.lrb.co.uk/...
Ufff