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Kurator'in für: Europa Fundstücke Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953, geboren in Bünde/Westfalen. Nach dem Studium der evangelischen Theologie in Bielefeld und Marburg/Lahn ab 1989 Leiter des Industrie- und Sozialpfarramtes des Kirchenkreises Herne. Von 2007 bis 2009 Referent für Sozialethik an der Evangelischen Stadtakademie Bochum. Von 2009 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments (DIE LINKE). Mein persönliches Highlight im EP: Ich war Berichterstatter für die Zahlungskontenrichtlinie, die jedem legal in der EU lebenden Menschen das Recht auf ein Bankkonto garantiert. Seit 2014 freiberuflich tätig. Publizist. Diverse Buch-, Zeitungs- und Zeitschriften-Publikationen, seit Dezember 2016 Herausgeber des Europa.blog und seit Juni 2020 auch Herausgeber des "Ruhrpott Podcast".
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Auf einer abstrakten Ebene wird schon lange über ökonomische Umbrüche, wie zum Beispiel Energiewende und Verkehrswende, geschrieben. Das sind oft ausführliche und spannende Reportagen über das Morgen. Doch solche Texte haben oft einen Touch von Science-Fiction – sie berichten über etwas, das wohl frühestens übermorgen oder noch später passieren wird.
Der tatsächliche Anbruch technischer Umbrüche trifft auf uns dann eher in Form unscheinbarer medialer Berichterstattung. Drei solcher Berichte sind mir kürzlich aufgefallen, deren Bedeutung sich erst richtig erschließt, wenn sie im Zusammenhang gelesen werden.
Der erst Bericht ist der, den ich hier unmittelbar empfehle: ein Artikel der Süddeutschen Zeitung vom 16.02.2021 über die Modernisierung des Tankstellennetzes von ARAL. Der Artikel verweist zum einen darauf, dass ARAL in den Aufbau eines umfassenden Ladesäulen-Netzes an seinen Tankstellen investiert und zum anderen darauf, dass die Tankstellen aufgrund des absehbaren Endes der Verbrennungsmotoren zu Umschlagszentren für Endkunden umgebaut werden. Neben den bereits heute existierenden kleinen Supermärkten in Tankstellen sollen dann noch weitere Dienste angeboten werden. Bereits heute werden rund 60 Prozent der Umsätze mit anderen Gütern und Dienstleistungen erwirtschaftet als dem Verkauf von Benzin und Diesel.
Das ist alles nicht ganz neu. Aber es wird spannender, wenn man das taz-Interview mit dem Autoexperten, IG-Metaller und Sekretär des europäischen Betriebsrates von Ford, Hans Lawitzke im Hinterkopf hat. Es erschien am 22.01.2021 unter dem Titel "Wir sehen eine enorme Dynamik". Lawitzke vertritt in dem Interview die These, dass E-Mobilität sich allein schon aus ökonomischen Gründen durchsetzen wird als Alternative zum Verbrennungsmotor, da Elektromotoren einfacher und damit preisgünstiger zu produzieren sind und weil E-Autos wesentlich wartungsärmer sind als Autos mit Verbrennungsmotoren. Zudem prognostiziert er einen sehr viel schnelleren Umstieg auf E-Mobilität, als viele ihn sich vorstellen können. Er begründet das mit dem zunehmenden Ausbau einer Ladeinfrastruktur für E-Autos. Mittlerweile, so Lawitzke, sei eine sich selbst verstärkende und beschleunigende Dynamik in Gang gekommen, die den Umbruch stark vorantreiben dürfte. Mit den Aktivitäten von ARAL dürfte diese Dynamik einen weiteren Schwung erhalten (unbeachtet der Frage, ob ARAL selbst mit seinen Umbauplänen auf Dauer erfolgreich sein wird).
Weiter komplettiert wird dieses sich entwickelnde Zukunftsbild durch einen ebenfalls am 16.02.2021 erschienen Artikel im Spiegel: "Baukastensysteme für E-Fahrzeuge So könnte Apple ein iCar bauen". In diesem Artikel geht es eher um Entwicklungen hinter den Kulissen. Zum einen versucht Apple als IT-Unternehmen in den E-Mobilitätsmarkt einzusteigen. Zum anderen haben Zulieferer der klassischen Automobilkonzerne offenbar angefangen, Baukastensysteme für E-Fahrzeuge herzustellen, die die Basis ganz neuer Konkurrenten der klassischen Automobilproduzenten darzustellen scheinen. Mit ihnen könnte sich Apple gut arrangieren. Das würde dann tatsächlich eine Revolution des Automobilsektors auslösen, die keinen der alten Steine auf dem anderen ließe. Auch diese Entwicklungen passen zu dem, was Hans Lawitzke in seinem taz-Interview prognostizierte.
Laufen diese Entwicklungen in dem Tempo weiter, das sich aus den genannten drei Artikel herauslesen lässt, dann könnten wir bereits ab Mitte des laufenden Jahrzehnts mit sehr tief greifenden und heftigen Umbrüchen und Erschütterungen der noch verbliebenen traditionellen Großindustrie in der Bundesrepublik rechnen – also der Automobilindustrie einschließlich der weit nach Osteuropa hinein reichenden Zuliefererketten. Dieser wirtschaftliche Umbruch wird die gesamte Gesellschaft mitreißen. Da stellt sich dann die Frage, wie weit die Politik in der Bundesrepublik auf diese Entwicklungen eingestellt ist und ob sie diese überhaupt wahrnimmt.
Quelle: Benedikt Müller-Arnold www.sueddeutsche.de
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