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Tino Hanekamp war Journalist und Musikjournalist, hat in Hamburg zwei Musikclubs gegründet (Weltbühne, Uebel & Gefährlich), einen Roman geschrieben (‚So was von da‘) und unlängst ein Buch über Nick Cave ('... über Nick Cave'). Er lebt im Süden Mexikos.
Der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der ZEIT, Theo Sommer, sorgt sich in einer Kolumne um die Verschandelung der deutschen Sprache im "Wahn der politischen Korrektheit". Aufhänger: Der Hamburger Verkehrsbund will das Wort ‚Schwarzfahren‘ nicht mehr verwenden, um Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht zu diskriminieren. Neuer Begriff: "Fahren ohne gültiges Ticket“. Ich finde Sommers Kolumne aus mehreren Gründen interessant.
* Theo Sommer dürfte mit diesem Text der Mehrheit der Deutschen aus der Seele sprechen. Die verstehen nämlich laut der jüngsten Allensbach Studie (Dirk Liesemer zum Thema) gar nicht, was das alles soll mit den ganzen neuen Unwörtern, dem Gendern und all dem Das-sagt/macht/darf-man-nicht-mehr. Und das dürfen gerade die Befürworter und Befürworterinnen dieser Entwicklungen nicht aus dem Blick verlieren. Stichwort Demokratie etc.
* Es wird immer gleich polemisch! So auch bei Sommer, der allen Ernstes fragt: "Müssen wir nun den Schwarzwald umbenennen?" Dabei weiß er natürlich, dass das Schwarz im Schwarzfahren negativ konnotiert ist (wenngleich natürlich nicht auf Hautfarben bezogen), das Schwarz im Schwarzwald aber nicht. Man möchte ihm zurufen: Nu mal bitte keine Panik machen!
* Die unterschiedlichen Erfahrungswelten. Sommer findet es schlimm, dass das Wort Schwarzfahren aus dem "Sprachschatz" gestrichen wird (Was ja noch abzuwarten wäre, ob das wirklich passiert.), zumal "nicht bekannt geworden" ist, "dass auch nur ein einziger sich beschwert hätte" — also ein Schwarzer über das Wort Schwarzfahren. Hat er Menschen mit dunkler Hautfarbe gefragt? Mir ist das mal passiert, vor knapp 20 Jahren. Mit Freunden in einer S-Bahn in Mainz, und ich – ganz in Schwarz – sage so aus Gag und blöd besoffen, guckt mal ich bin Schwarzfahrer, und ein Mann mit schwarzer Hautfarbe zuckt getroffen zusammen. Einen gibt’s schon mal! Mir tat es furchtbar leid, der Mann wollte meine Entschuldigung nicht hören, er wandte sich traurig ab. Die Frage ist vielleicht eher, ob einem diese Traurigkeit bei Menschen, die so ein Wort trifft, so wichtig ist, dass man deswegen den deutschen Sprachschatz modifizieren möchte. Aber dass es Leute trifft, davon kann man mal ausgehen. Im Zweifel selber kleine Umfrage starten.
* Es landet schnell alles in einem Topf. Sommer beklagt zum Beispiel auch, dass die Lufthansa die Anrede "Sehr geehrte Damen und Herren" abschaffen will. "Aus Rücksicht auf jene wenigen in einer Bevölkerung von 83 Millionen", so Sommer, "die sich als "divers" registriert haben – bis Ende September ganze 394 Erwachsene?" Und da hat er natürlich einen Punkt. Aber ist das nicht ein anderes Thema? Dass man Begriffe wie Zigeunersoße, Negerkuss und vielleicht auch Schwarzfahren überdenkt, weil sie diskriminierend sind oder im Falle des Schwarzfahrens sein können – ein Thema. Dass man gendert oder wie man gendert, um Frauen in der Sprache sichtbarer zu machen – anderes Thema. Und dass man eine Gruppe Menschen nicht mehr mit "meine Damen und Herren" anredet, weil sich ausgeschlossen fühlen könnte, wer keins von beidem ist – wieder anderes Thema. Müsste man das nicht anstrengenderweise alles einzeln behandeln? Muss es da nicht in jedem einzelnen Fall idealerweise eine Debatte zu geben, wie auch immer das funktionieren soll? Hilft es weiter, wenn wir uns in Sprachbewahrer und Sprachveränderer aufteilen? Ist die Sprache nicht immer im Wandel, wie schon von Humboldt sagte, den diesbezüglich auch Sommer zitiert, und ist das nicht immer ein langer Prozess? Das gilt natürlich vor allem für jene, die alles sofort ändern wollen und aus vollen Rohren auf die Bewahrer oder einfach nur Überrumpelten schießen. Letzteren gibt Theo Sommer hier eine Stimme. Auch die muss man hören.
Quelle: Theo Sommer Bild: www.zeit.de www.zeit.de
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Ich finde es immer wieder bemerkenswert, wie vehement Viele reagieren, wenn ihnen angeblich jemand "Vorschriften" hinsichtlich des Umgangs mit der deutschen Sprache macht. Natürlich steckt hinter diesen überzogenen Reaktionen etwas ganz Anderes, zumal bspw der exzessive Gebrauch von Anglizismus kaum noch Proteste hervorruft.
ok. Mehr den konkreten Einzelfall sehen.
Aber generalisierend kann man festhalten dass es die Mehrheit normalerweise nicht stört, wenn nicht angesprochen als Damen-und-Herren (oder anderes Beispiel: werden gestört wenn nicht geraucht wird) -
aber es eben Minderheiten sehr wohl behelligt.
Zum erwähnten Anlass Schwarzfahren:
was mich an der Diskussion wundert ist, dass doch schon in vielen Öffentlichen Texten Jahrzehnte lang nicht mehr dieses ugs-Wort sondern so was wie Beförderungserschleichung verwendet wurde.
Eins ist mir jetzt klar geworden: Die Debatte zeigt, wie ungeheuer humorlos diese politische Korrektheit ist. Den Mächtigen hat Humor ja nie gefallen. Und Humor geht oft auf Kosten von jemand. Wenn wir den dann beruhigen: "Das war doch Spaß!" dann meinten wir schon immer: "Akzeptiere die Verletzung!" Also sind wir dünnhäutiger geworden? Ja, ich glaube schon.
Als die Anzahl der im Mittelmeer ertrunkenen Schwarzen jäh anstieg, entstand der Rat, den Ausdruck "Schwarzfahren" in Hamburg nicht mehr zu verwenden, das wäre nicht achtsam.
Eigentlich spannend, dass das funktioniert: Irgendein Aktivist hält einen Begriff für rassistisch, andere stimmen ihm zu, Linguisten widersprechen, bringen Gegenargumente, aber trotzdem folgen unsere Institutionen am Ende lieber einer kleinen aktivistischen Szene und ändern das Vokabular. Von dem Spruch, dass man der Wissenschaft folgen soll, bleibt in der Praxis nicht viel übrig.
wunderbarer piq...
auf twitter schlug schon jemand vor, eine Petition zu starten, dass der Schwarzwald umbenannt werden soll...nur um zu sehen, wie die Panikmacher explodieren.
Wobei so absurd ist es vielleicht auch nicht oder? Warum heißt er Schwarzwald? Weil er dunkel ist und den Menschen von daher unheimlich war? Dann wäre es doch recht nahe dran an der "Schwarzfahren-Sache".
Ich würde ja davon ausgehen, dass "Dunkelheit" und "Schwärze" und "Nacht" auf der ganzen Welt die Symbolwelt für das Schlechte, Böse und Gefährliche darstellen. Und ich würde annehmen, dass das daran liegt, dass wir in der Dunkelheit eben einen Kontrollverlust erleben, der uns Angst macht. Oder kommen die Geister irgendwo auf der Welt mittags um 12?
Und ja - die Antwort ist glaube ich tatsächlich die Generalisierung, bzw. eben das Abstand nehmen davon.
Ich verstehe schon, dass diese Themen und der neue Umgang damit irgendwie als Teil eines Komplexes wahrgenommen werden. Popt halt jetzt alles gemeinsam auf und die Debatten haben ja eben offensichtlich strukturelle Ähnlichkeit.
Aber wenn die einen eben darauf verzichten könnten, immer den einen Fall mit Verweis auf den anderen abzulehnen und wenn die anderen, darauf verzichten könnten, eben auf eine für alle und alles geltende Regel zu bestehen, dann wären wir da schlagartig weiter.
Es gibt natürlich, wie immer, Minimalforderungen. So kann ich das z.B. nicht diskutieren, mit jemandem, der da sowieso jede Dynamik ablehnt. Also dass Sprache sich ändern darf und dass es auch Sinn macht zu diskutieren wie, das muss schon gelten.
Genauso wenig Lust habe ich aber auf der anderen Seite, dass andere für mich entscheiden wollen, wie ich es in jedem Einzelfall zu machen habe.
"Leser*innen" z.B. will ich gendern, weil ich möchte, dass sich da alle angesprochen fühlen und es ja offensichtlich um eine Gruppe von Personen geht.
"Medienpartner" hingegen will ich nicht gendern - da geht es eher um Gruppen oder Unternehmen und der geschlechtliche Verweis ist wumpe.
...und so kann man doch herrlich über jeden Einzelfall diskutieren, sich einigen, damit umgehen, was lernen und es unterschiedlich lösen.