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Technologie und Gesellschaft

Woran der deutsche Datenschutz schon immer krankte

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlFreitag, 22.01.2021

Das wird in der Corona-Krise überdeutlich. Während hunderte Mitarbeiter händisch versuchen die immer größer werdenden Ansteckungsnetze nach zu verfolgen bleibt die Corona-App unbrauchbar. Ursache, überzogener Datenschutz. Es wiederholt sich das Drama wie bei der Digitalen Signatur oder der Krankenakte. 

In demokratischen asiatischen Ländern wie in Südkorea und Taiwan werden aus Handydaten gewonnene Bewegungsprofile als wesentliches Instrument zur Kontaktverfolgung und Isolierung Infizierter genutzt. Aber auch das autoritär regierte China nutzt dieses Mittel, mit dem es vorher schon eine informationstechnische Überwachung der Bevölkerung betreibt. Aus Angst vor diesem Mißbrauch verzichten westliche Rechtsstaaten vorauseilend darauf diese Technologien zur effizienten Seuchenbekämpfung einzusetzen.

In Deutschland sind Vorstösse, effektive technische Instrumente für das gezielte Aufspüren der Infektionsketten zu nutzen, in der Öffentlichkeit sogleich mit Empörung zurückgewiesen worden, weil sie angeblich gegen «den Datenschutz» verstiessen, und die Politik versucht gar nicht erst, gegen diese Stimmung anzugehen. Man setzt auf die freiwillige Mitarbeit der gesamten Bevölkerung. Gravierende Eingriffe in die persönliche Freiheit, die Schliessung ganzer Wirtschaftszweige und die Stilllegung fast des gesamten Kulturbetriebs werden weitgehend geduldig hingenommen – doch die Sorge um die Daten wird zum Totschlagargument gegen technische Hilfsmittel.

Als ob es in Westeuropa ernsthaft die Gefahr einer totalen Überwachung durch die Regierungen gäbe. Und sollte wirklich in der Zukunft ein totalitäres Regime entstehen, dann wird es nicht diese App benötigen um einen digitalen "Großen Bruder" zu installieren. Überbordender Datenschutz und die «informationelle Selbstbestimmung» sind die Fetische, mit denen technischer Fortschritt und Sicherheit verhindert wurden und werden. 

Ursächlich für diese Entwicklung ist ein übertriebenes Sicherheitsdenken: Nach der herrschenden Lehre, die den Regelungen des deutschen und des europäischen Rechts zugrunde liegt, gilt jede Form des Umgangs mit Daten, die sich auf natürliche Personen beziehen, als «gefährlich», weil es fast immer möglich sei, die gespeicherten Angaben zum Nachteil der Betroffenen zu verwenden, also zu «missbrauchen». Diese «abstrakte Gefährdungsvermutung» beruht allein darauf, dass Missbrauch möglich ist; es wird nicht geprüft, wie wahrscheinlich er ist. In dieser Perspektive gibt es keine harmlosen Daten; selbst Speicherungen, die nach kurzer Zeit gelöscht werden, gelten als unzulässig.

Die Konsequenz ist die totale Verrechtlichung jeglicher Sammlung, Aufbewahrung und Anwendung personenbezogener Daten. Eine unendliche Flut einzelner gesetzlicher Regelungen ergoß sich über Nutzer und Bürger – "eine noch grössere Regelungsflut als das Steuerrecht, das bis dahin als weltweit grösstes Bürokratieprodukt galt". Nur eine reale Selbstbestimmung über die «eigenen» Daten ist immer noch nicht in Sicht. Und wird in einer wirklichen und digitalisierten Welt wohl auch so nicht kommen. 

In der "Welt" gelangen Julian Nida-Rümelin und Eric Hilgendorf zu ganz ähnlichen vernichtenden Bewertungen. Sie diskutieren eIn alternatives und wirksameres Modell der Corona-App, das positive Testergebnisse automatisiert erfaßt hätte um diese auf einen zentralen Server zu übertragen (auch ohne Einwilligung der Betroffenen). Diese wären dann mit den auf den Handys abgespeicherten für die Nutzer anonymen Kontakten abgeglichen worden. Damit wären aber für die Gesundheitsämter Kontaktpersonen effektiv erkennbar.
Dieses zu Beginn der Pandemie durchaus diskutierte Modell ..... wurde ohne tragfähige Argumente „aus Datenschutzgründen“ verworfen. Die dabei vorgebrachte Befürchtung, die Bundesregierung oder die Ministerpräsidenten würden heimlich planen oder zumindest billigend in Kauf nehmen, auf dem Wege einer zur Pandemiebekämpfung eingeführten wirksamen Nachverfolgung von Infektionsketten eine Art Überwachungsdiktatur aufzubauen, ist absurd. Sie erinnert fatal an die wirren Ideen von Corona-Leugnern, die bis heute der Meinung sind, die Pandemie sei eine Erfindung von Bill Gates, um heimlich Chips in unschuldige Menschen einpflanzen zu können. Die irrationale Angst vor angeblichen Datenschutzverstößen ging so weit, dass noch nicht einmal eindeutige und überprüfbare Daten darüber vorliegen, wer die Corona-Warn-App wofür benutzt und von wem sie überhaupt aktiviert wurde.

Man sieht, Verschwörungstheorien finden  sich überall ...

Woran der deutsche Datenschutz  schon immer krankte

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Kommentare 4
  1. Leopold Ploner
    Leopold Ploner · vor mehr als 3 Jahre

    Mal eine ganz naive Frage: Wenn die Apps in Taiwan oder Singapur so viele Daten liefern, dann müssten wir doch daraus etwas über die Ansteckungswege lernen können. Das sind ja hochentwickelte Industriestaaten, mit unserer Situation also durchaus vergleichbar. Wir scheinen ja noch ziemlich im Dunkeln zu tappen, wo sich die Leute eigentlich anstecken und wo man vordringlich mit Schutzmaßnahmen ansetzen muss.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 3 Jahre

      Wahrscheinlich ist das so. Obwohl, dort gab es sehr wenige Ansteckungen. Vermutlich hängen ja Ansteckungswege auch mit der jeweiligen Kultur zusammen. Macht die Übertragbarkeit auf andere Länder vielleicht schwierig? Wir sollten unsere Daten also vielleicht selbst erheben?

  2. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor fast 4 Jahre · bearbeitet vor fast 4 Jahre

    Der Ansatz, dass die Komplexität des Datenschutzes diesen ad absurdum führt, weil etwa jede'r schwachsinnig gleiche Cookiefragen reflexhaft mit "Ja" beantwortet oder gar automatisch beantworten lässt, nur um zu den Netzinhalten zu kommen, die sie/ihn interessieren, hat etwas für sich.
    Etwas weniger Datenschutzregelungen - und dafür eine stärkere Bestrafung bei Übertretungen - wäre vielleicht das bessere Modell.
    Was die deutsche Kontakt-Benachrichtigungs-App angeht, so bin ich hingegen nicht der Meinung, dass sie per se aus Datenschutzgründen nutzlos sei. Ihre Nutzlosigkeit entsteht vor Allem aus der mMn idiotischen Weigerung der Bevölkerungsmehrheit, die App bestimmungsgemäß einzusetzen, also aus einer Art verbohrten, auch etwas egozentrischen Dummheit. Leider wirft der Staat hier hilflos die Hände in die Luft und ruft: "Wenn die Leute nicht wollen, kann ich auch nichts machen." Aber dass sie nicht wollen liegt zum Gutteil an mangelndem Wissen und kursierenden Anti-App-Memen, und daran können wir mit regelmäßiger Aufklärung und Werbung sehr wohl etwas ändern. Menschen sind beeinflussbar, zum (in unserem Sinne) Guten, aber auch zum Schlechten, und wenn wir darauf verzichten, sie zu beeinflussen, tun es Andere, oder ihre eigene Trägheit.
    Des Weiteren kann die App durchaus auch unter Beachtung perfekten Datenschutzes noch erheblich verbessert werden.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 4 Jahre · bearbeitet vor fast 4 Jahre

      Sicher sind Menschen. beinflußbar - so oder so. Nur. haben wir in der Pandemie wenig Zeit. Im Lockdown arbeiten wir ja auch mit Geboten und Verboten und nicht mit Bitten doch Masken zu tragen etc.. Falsches Verhalten ist strafbewehrt.

      Die Möglichkeit, Ort und Person des Kontaktes zu bestimmen würde die Arbeit der Gesundheitsämter sehr effektiv machen. Und Zeit bringen sich mit anderen wichtigen Dingen zu beschäftigen. Genau wie die "automatische" Übernahme eines positiven Tests in die App. Und damit könnte der Kampf gegen die Pandemie revolutioniert werden. Südkorea und Taiwan haben das m.W. so gemacht. Jedes Leben zählt doch.

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