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Europa

Über die Schwierigkeiten, eine Union zu werden

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlDienstag, 01.06.2021
Das Werden der Europäischen Union spielt sich nicht so sehr in den Hauptstädten ab, auch wenn da die Entscheidungen fallen. Eine Union ist überall oder gar nicht, könnte man sagen. Aber die Union kann auch nicht überall alle Probleme lösen. Wer kennt z. B. schon Zittau oder Turow? In Turow liegt ein polnisches Braunkohlerevier und das
steht gerade im Mittelpunkt eines Rechtsstreits zwischen Tschechien und Polen vor dem EuGH. Die Betriebsgenehmigung war 2020 ausgelaufen und wurde von den polnischen Behörden bis 2026 verlängert, ohne eine reguläre Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Das ist deshalb besonders pikant, weil die besagte Umwelt, für die der Tagebau verträglich ist oder nicht, ganz überwiegend – siehe Karte – nicht in Polen liegt, sondern in Deutschland und Tschechien.

Im Grunde eine typische Konfliktsituation: Die einen fürchten um ihre Arbeitsplätze, die anderen in Zittau haben Angst vor der drohenden Absenkung ihrer Innenstadt und die Tschechen vor dem sinkenden Grundwasserspiegel. Strom und Wärme benötigen alle. Insofern würde ich nicht sagen, dass die Grenzen "perverse Institutionen" sind. Solche Konflikte werden auch innerhalb von Staaten oft jahrelang nicht gelöst. Und für Konflikte zwischen Staaten gäbe es das Völkerrecht oder Investitionsschutzabkommen. Trotzdem stimmt in diesem Fall natürlich:

Wie gut, dass die beteiligten Staaten allesamt dem gleichen supranationalen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts angehören. Der Europäischen Union nämlich. Die ist einst gegründet worden als Bindung der Mitgliedstaaten, sich nicht länger jeweils auf Kosten des anderen zu bereichern. Als rechtliche Bindung, überwacht von der Kommission und einklag- und durchsetzbar vor dem Europäischen Gerichtshof.

Sollte man jedenfalls denken. Nur das es mit der Durchsetzbarkeit in der EU offensichtlich nicht so weit her ist. Zwar hat Tschechien im Februar 2021 Klage gegen Polen eingereicht. Solche Klagen unter Mitgliedsstaaten sind extrem selten. 

Tschechien beantragte eine einstweilige Anordnung und bekam sie: Die Vizepräsidentin des EuGH s Rosario Silva de Lapuerta ordnete letzten Freitag an, den Braunkohleabbau in Turów bis zum Erlass des Urteils zu stoppen. Allein: die Bagger baggern unterdessen weiter, als wenn nichts wäre. Die polnische Regierung denkt nicht daran, die Regelungsanordnung der EuGH-Vizepräsidentin zu befolgen. Stattdessen verhandelt sie mit der tschechischen Regierung, ob die sich nicht vielleicht mit Geld überzeugen lässt, ihre Klage zurückzuziehen.

Gerade was Polen (und Ungarn) betrifft, ist eine solche Weigerung nicht neu oder einmalig. Wir erinnern uns an die Weigerung der PiS-Regierung, den Holzeinschlag im Urwald von Bialowieza zu stoppen. Was dann vom EuGH durch saftige Strafzahlungen erzwungen wurde. Schließlich ist die EU eine Rechtsgemeinschaft. Der Gerichtshof war damit die einzige Institution innerhalb der Union, die bei klaren Rechtsverstößen wirksame (Geld-)Strafen erlassen konnte. Im Falle der Politik des „illiberalen“ Regimes in Ungarn und den Versuchen der polnischen Regierung, ihre Richter zu kontrollieren, mit der viele andere Mitgliedsstaaten nicht einverstanden sind, funktioniert das nicht so einfach:

Eine politische Meinungsverschiedenheit reicht jedoch nicht aus, um die Einstellung regelmäßiger Haushaltstransfers an einen Mitgliedstaat zu rechtfertigen. 

Gerade die Kürzung normaler Haushaltstransfers an Mitgliedstaaten, die von einer Mehrheit der anderen Mitglieder beschuldigt werden, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu verletzen, ist bisher fast unmöglich.

Die bestehenden Verträge sehen einfach keine stärkeren Mechanismen vor, um einen Mitgliedstaat zu „bestrafen“, der nach Ansicht der anderen von den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit abweicht.

Nun hat sich die EU eine Rechtsgrundlage geschaffen, um Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit durch gezielte Reduzierungen bei der Verteilung von Transfermitteln sanktionieren zu können. Kommission und Mitgliedstaaten hätten damit die Möglichkeit, die 672 Mrd. € Corona-Aufbauhilfen gezielt zu nutzen. Polen erwartet da beispielsweise ca. 23,9 Mrd. € nicht rückzahlbarer Zuschüsse. Man könnte in den Konflikt gehen.
Aber der Rat beschließt dazu flugs eine Erklärung, wonach die Kommission mit dem Sanktionieren keinesfalls anfängt, bevor nicht a) der EuGH den ganzen Mechanismus gutgeheißen und b) die Kommission sich dazu Richtlinien erarbeitet hat. 
Nichts ist offenbar einfach in der Union, Klartext schon gar nicht.
Über die Schwierigkeiten, eine Union zu werden

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