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Kurator'in für: Europa Volk und Wirtschaft
Jahrgang 1953
Studium der Elektrotechnik und Elektronik
Forschung / Lehre auf dem Gebiet der Wissenschafts- und Innovationstheorie
Entwicklung von Forschungsprogrammen im IKT-Sektor für verschiedene Bundesministerien und Begleitung der Programme und Projekte - darunter Smart Energy, Elektromobilität, netzbasiertes Lernen, Industrie 4.0
Nun im Un-Ruhestand
Über Tschechien weiß man nicht viel und man hört normalerweise auch wenig in den Medien. Schon vor Jahren zogen deutschen Medien ihre Korrespondenten aus Prag ab und berichten aus Wien oder Warschau.
Tschechien hingegen ist klein und stark nach innen gerichtet. Prag hat weniger Kraft und kaum Willen, die Politik der EU zu gestalten, sucht in Brüssel vor allem seine Nischen, und hat seit der Teilung der Tschechoslowakei 1993 keine Grenze zur Ukraine mehr. Hinzu kommt das alte Gesetz der Medien: Blood sells. In Tschechien fließt jedoch kein Blut. Kein Bürgerkrieg wie auf dem Balkan in den 1990er Jahren, keine Annexion und keine hybride Intervention. Auch die politischen Kämpfe werden nicht mit der gleichen Härte wie in Polen und Ungarn ausgetragen.Da erweckte jüngst schon ein Schloss, das Ministerpräsident Andrej Babiš 2009 über eine Briefkastenfirma kaufte, große Aufmerksamkeit. Ein eigentlich politisch unspektakulärer, wirtschaftlich relativ entwickelter Partner mit demokratischen Traditionen? Insofern ist ein Gespräch mit den Experten Kai-Olaf Lang (Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit) und Volker Weichsel (Redakteur von OSTEUROPA) über Politik und Gesellschaft in Tschechien hoch interessant.
Das kann man offensichtlich unterschiedlich sehen. So meint K.-O. Lang:
Ob es sich um ein Bollwerk handelt, sieht man erst dann, wenn es gilt, eine Offensive abzuwehren. In der Tschechischen Republik gab es bislang keinen Ansturm auf die liberale Demokratie. Es gab bislang keine vitale Gruppierung, die zielgerichtet Staat, Wirtschaft und Gesellschaft von Grund auf umgestalten wollte.
Sein Gesprächspartner V. Weichsel meint hingegen:
Das würde ich schärfer formulieren: Ein Bollwerk sieht anders aus. Der Ministerpräsident Andrej Babiš: ein Großunternehmer, der mit den Mitteln seines Konzerns eine ihm ergebene Partei geschaffen hat, um seine wirtschaftlichen Interessen ganz ohne zwischengeschaltete Lobbyisten direkt zu befördern. Der zwei Tageszeitungen gekauft hat und wegen Korruption im Konflikt mit der Europäischen Kommission und der tschechischen Justiz liegt.
Man sieht, auch hier keine "ideale" Demokratie. Wie überall gibt es starke wirtschaftliche und politische Interessen, die in die staatlichen Prozesse hineinwirken (können), was für "Nachtransformationssituationen" nicht ungewöhnlich ist.
Derlei Interessengruppen und quasi-oligarchische Akteure sind nicht so bedeutsam wie in der Slowakei, wo Finanzgruppen und Unternehmer mit politischen Parteien verquickt waren (oder sind) oder Klientelismus und Bestechung große Teile der Staatsverwaltung durchzogen. Sie haben in der Tschechischen Republik aber ein höheres Gewicht als etwa in Polen. Andrej Babiš ist nur ein Beispiel. Diese Akteure haben nicht den Staat gekapert, aber sie haben auf nationaler wie auch auf regionaler oder lokaler Ebene Netzwerke etabliert, die dafür sorgen, dass ihre Interessen gewahrt werden.
Also, bedingt durch die in Polen und Ungarn historisch unterschiedliche politische Kultur gibt es in Tschechien z. Zt. keine machtvoll organisierte politische Kraft, die es schafft, legislative und exekutive Macht zu dominieren und die Judikative zu steuern. Die Gesellschaft ist weniger politisiert und nicht so gespalten.
Die PiS und der Fidesz führen einen kalten Bürgerkrieg gegen ihre politischen Konkurrenten, die sie als Kommunisten und Verräter der Nation diffamieren. Ministerpräsident Babiš führt seit 2017 eine Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten, die bis vor kurzem von der Kommunistischen Partei geduldet wurde – unvorstellbar in Polen und Ungarn.
Jedoch lassen auch in Tschechien die Bindekräfte der traditionellen Parteien, die schon seit der Wende von 1992 präsent sind, nach.
Während sich die rechte Mitte noch behaupten kann, kämpfen Sozialdemokraten und Kommunisten ums Überleben. Im Grunde lassen sich Ent- und Restrukturierungstendenzen in zwei Bereichen beobachten: Die gemäßigte, europafreundliche Wählerschaft der Mitte hat mit der Piratenpartei und der „Bürgermeisterpartei“ STAN vorübergehend ein attraktives Angebot gefunden, bei den Piraten sind eher jüngere und städtische Schichten, bei der STAN eher der mittel- und kleinstädtische Bereich. Die EU- und westkritische Protestwählerschaft zerfasert zunehmend.
Souveränistische Töne gegenüber der EU hört man selten. Die Wahlen werden aber insgesamt spannend – nicht nur wegen der "Pandora-Papers".
Quelle: Kai-Olaf Lang, Volker Weichsel www.zeitschrift-osteuropa.de
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