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Europa

Migration und die Politik im Norden Europas

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlFreitag, 12.05.2023

Skandinavien und hier insbesondere Schweden und Dänemark waren lange Zeit bevorzugte europäische Ziele für Migranten. Schweden sah sich früher selbst als „humanitäre Supermacht“. Das hat sich dramatisch verändert – die skandinavischen Länder vollzogen einen harten Kurswechsel in ihrer Asyl-Politik:
Die Rangliste des dänischen Ministeriums für Einwanderung und Integration bezieht sich auf die Zahl der Asylanträge im Verhältnis zur Bevölkerung zwischen 2008 und 2022. Deutschland konnte sich seit Beginn der Migrationskrise 2015 unter den Top 10 der Statistik halten. Dagegen ist Schweden von Platz 2 im Jahr 2015 auf Platz 16 im Jahr 2022 und Dänemark von Platz 9 im Jahr 2015 auf Platz 19 im Jahr 2022 zurückgefallen, wobei zu beachten ist, dass die Liste nicht berücksichtigt, wie viele Asylsuchende tatsächlich aufgenommen werden und welchen Schutzstatus sie erhalten.

In Dänemark setzte sich die bürgerliche Regierung von Lars Løkke Rasmussen sogar über das Schengen-Abkommen der EU hinweg und führte 2016  Grenz-Kontrollen an der deutsch-dänischen Grenze ein. 

Das umstrittene „Schmuckgesetz“ erlaubt es den Behörden bis heute, Asylsuchenden Wertsachen ab einem Wert von umgerechnet rund 1340 Euro abzunehmen - in Deutschland undenkbar.

2019 gewann der Linksblock um die dänischen Sozialdemokraten die Wahl. Der Grund, die Partei von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen warb mit harten Positionen in der Migrationspolitik und zog damit Wählerstimmen von den Rechten ab. Damit verfolgt das links regierte Dänemark weiter eine eigene strikte Migrationspolitik – unabhängig von den Entscheidungen und Entwicklungen in der EU.

Mit der Migrationskrise 2015 änderte auch Schweden seinen Kurs. Mit 163.000 registrierten Asylanträgen – mehr als je zuvor – nahm Schweden in diesem Jahr (bezogen auf die Einwohnerzahl) mehr Flüchtlinge und Migranten auf als jedes andere EU-Land.

Die Belastungsgrenzen des Landes wurden sichtbar und widersprachen dem langjährigen Ideal, Schutzbedürftigen bedingungslos Zuflucht zu gewähren. Die Regierung sah sich schließlich gezwungen, die Notbremse zu ziehen und verschärfte erstmals ihre Asylpolitik.

Das Thema Migration hat also das politische Klima in Schweden verändert: Die rechtspopulistische Partei Schwedendemokraten (Sverigepartiet) konnte in den letzten Jahren durch ihr asylkritisches Programm und eine zunehmende öffentliche Diskussion über Einwanderung und Integration an Einfluss zulegen. Insbesondere die Bandenkriminalität in den Ballungszentren und die Folgen einer gescheiterten Integration sind zunehmend Themen in den Medien und der politischen Debatte.

Bei der Wahl am 11. September 2022 wurden die Schwedendemokraten mit 20,5 % der Stimmen zweitstärkste Kraft und errangen 73 von 349 Abgeordnetenmandate. Zwar reichte das nicht für ein eigenes Kabinett. Mit ihrer Unterstützung konnte aber ein Mitte-Rechts-Bündnis die Regierung übernehmen. Im Gegenzug erhielten die Schwedendemokraten starken Einfluss auf die Migrationspolitik des Landes. Dies führte auch zu einer Verschärfung der Asylpolitik und einer restriktiveren Haltung gegenüber Migration und Integration. Dass eine rechtspopulistische Partei maßgeblich die Regierung mit gestaltet, markiert einen tiefgreifenden Wandel in der politischen Landschaft Schwedens.

Und nun wird auch in Finnland eine Partei, die sich als patriotisch sowie EU-skeptisch bezeichnet und sich als opponierende Kraft gegen das „Establishment“ sieht, zweitstärkste Kraft bei der Parlamentswahl. 2019 erhielt die Finnenpartei, mit ihrer Chefin Riikka Purra, knapp 17,5 Prozent der Stimmen, dieses Jahr 20,1 Prozent. Nur die Konservativen waren etwas stärker und landeten bei der Parlamentswahl im April knapp auf dem ersten Platz. Sie holten mit 48 Sitzen 2 Mandate mehr als die Finnenpartei. 

Seit letzter Woche verhandeln die beiden Parteien mit den Christlichdemokraten und der Schwedischen Volkspartei, die bei der Wahl jeweils gut 4 Prozent der Stimmanteile erhielten. Neben wirtschaftlichen Fragen und der EU-Politik – die Finnenpartei steht der Union kritisch gegenüber – spielt vor allem die Migration eine Schlüsselrolle bei den Verhandlungen.

Die Pläne der beiden starken Parteien sind bei der Migrationsfrage keinesfalls deckungsgleich:

Die Finnenpartei strebt eine striktere Begrenzung vor allem der erwerbsbedingten aussereuropäischen Migration an. Ausnahmen sollen nach ihrem Willen nur für Hochqualifizierte gelten. Auch die Aufnahme von Flüchtlingen und den Familiennachzug will sie erschweren. Für die Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen hingegen sprach sich Purra im Wahlkampf dezidiert aus. Die Konservativen setzen auf mehr Migration, um Finnlands demografische Schieflage abzumildern. 2022 verzeichnete das Land die niedrigste Geburtenrate der vergangenen 150 Jahre, während die Zahl der Verstorbenen so hoch lag wie letztmals im Zweiten Weltkrieg.

Damit geraten die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und der finnische Wohlstand in Gefahr. Eigentlich brauchte das Land laut einer Studie des wirtschaftsnahen finnischen Forschungsinstituts ETLA 

eine jährliche Nettozuwanderung von 44 000 Personen, um die Zahl der arbeitsfähigen Erwachsenen langfristig zu stabilisieren. Demnach müsste sich die Immigration fast verdreifachen. Dies würde sich positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken und die Finanzierung des Wohlfahrtsstaats sichern.

Auch die geltenden Regeln bei der Einwanderung müssten entbürokratisiert und vereinfacht werden. Den Finnen ist die Problemlage durchaus klar. Bei aktuellen Umfragen stimmen 55 Prozent ganz oder teilweise der Aussage zu, dass einerseits wegen der Demographie Einwanderung erleichtert werden muss – so viele wie noch nie seit Beginn der Erhebungen vor 25 Jahren. Selbst unter den Anhängern der Finnenpartei befürworteten 60 Prozent zumindest die erleichterte Einwanderung von Qualifizierten. 
Gleichzeitig gaben fast 40 Prozent der Befragten an, dass die Nachteile der Immigration derzeit die Vorteile überwögen. Etwa ebenso viele sind der Ansicht, dass derzeit hauptsächlich Geringqualifizierte einwanderten. Fast zwei Drittel beklagten sich über die öffentliche Debatte: Probleme in Zusammenhang mit Migration würden nicht offen diskutiert.
Ein Stimmungsbild, wie man es wohl auch in Deutschland finden könnte. Eine andere Migrationspolitik scheint gefordert und wie man in Skandinavien sehen kann, auch möglich. Und wer als Politiker zu spät kommt, den bestraft (in Demokratien) der Wähler.

Migration und die Politik im Norden Europas

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Kommentare 6
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

    Diese Migrationspolitik führt ja leider auch in eine Sackgasse.

    Am Beispiel Yahya Hassan kann man sehen, wie schwer eine Integration in Dänemark ist.
    https://www.piqd.de/fl...
    https://www.piqd.de/fl...

    Heute erscheint im Hause Suhrkamp ein Buch zum Thema, das ich u. a. am 23. Juni vorstelle:
    https://www.suhrkamp.d...

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      Integration ist überall schwer. Offenbar schon zw. Ost- und Westdeutschland. Das ist ja das Problem. Es kann sicher nicht um eine totale Abschottung gehen. Das ist auch klar. Europa braucht Zuwanderung und berechtigtes Asyl sollte man auch gewähren. Und sicher, die Abschottung verändert das Land aber auch die Zuwanderung, besonders die grenzenlos ungesteuerte. Also muß man pragmatische Wege suchen ……

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Klar, man muss pragmatische Wege suchen. Allerdings gab es vor 9 Jahren, 2014, die Schlagzeile, dass erstmals soviel Menschen auf der Flucht sind wie am Ende des 2. Weltkrieges. Selbst wenn man bedenkt, dass die Menschheit größer geworden sind, ist eine Verdoppelung von 2014 bis 2022 auf über 100 Millionen erschreckend. Und alle mir bekannten Prognosen gehen von einem weiteren steilen Anstieg aus.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Achim Engelberg Ja. Ich kann mir nicht realistisch vorstellen, dass dies mit offenen Grenzen in EU zu bewältigen wäre. Auch wenn nicht alle hier her wollen. Wenn die Länder in Afrika ihre Armut nicht bewältigen können, das wird blutig ….. Von den Großmachts- und "Expansionsspielen" Chinas ganz abgesehen.

    4. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Offene Grenzen funktionieren nicht, aber seit geraumer Zeit weiß niemand, wie man die extreme Zunahme stoppen kann.

      Momentan scheint nur ein Einwanderungsgesetz möglich zu sein. Und selbst das ist schwierig.

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Achim Engelberg Gesetze werden das nicht stoppen, vermute ich.

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