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Europa

Europa soll die Sprache der Macht lernen

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlFreitag, 12.11.2021
Josep Borrell ist seit dem 1. Dezember 2019 Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik in der Kommission von der Leyen. Seit einiger Zeit arbeitet er an einem Konzept für die EU-Verteidigungspolitik - immer in Kooperation mit den Verteidigungs- und Außenministern der Mitgliedstaaten. Jetzt liegt nach zwei Jahren Arbeit ein Ergebnis dieser Beratungen vor. Die Intention laut Borrell:
 Europa soll die Sprache der Macht lernen, es muss sich im Spiel der Großmächte behaupten können, um seine vitalen Interessen zu verteidigen. „In einer Welt, in der alles in eine Waffe verwandelt werden kann, reicht es nicht aus, so zu tun, als könnten wir bloß eine Soft Power sein“, sagt er im Gespräch. Er bringt den Ansatz auf diese griffige Formel: „Uns gefällt die Welt von Kant, aber wir werden uns darauf einstellen, in der Welt von Hobbes zu leben.“ Also nicht in der Welt des kategorischen Imperativs und der aus allgemeiner Vernunft abgeleiteten Ordnung, sondern in einer anarchischen Welt, in der der „Kampf aller gegen alle“ die Normalität darstellt.
Dieser Ansatz deutet auf eine nüchterne und realistischere Sicht der beteiligten Europäer hin. Wie die jüngeren Ereignisse in der Ukraine, in Belarus, aber auch in Syrien oder Afghanistan zeigen:
"Unser wirtschaftlicher Raum wird immer mehr infrage gestellt, unser strategischer Handlungsspielraum wird mehr und mehr eingeengt und unser politischer Raum wird immer mehr degradiert." ….. Es geht … um eine höhere Widerstandsfähigkeit gegen neue Gefahren, um neue Partnerschaften, um größere militärische Fähigkeiten und um ein besseres Krisenmanagement. 
Ein zentraler Vorschlag des Außenbeauftragten ist eine „Rapid Deployment Capacity“, also eine schnelle Eingreiftruppe von „bis zu 5000 Soldaten“, die bis 2025 einsatzfähig sein sollte. Dazu sollen die kleineren gemeinsamen Battle Groups, die es schon seit Jahren gibt (und die nie eingesetzt wurden), "substanziell modifiziert“ werden. Es geht also nicht um große stehende europäische Einheiten. Das würde zu stark die NATO-Strukturen konterkarieren, möglicherweise eine direkte Konkurrenz darstellen. Stattdessen spricht man
von einem „modularen Aufbau“ – eine Truppe soll erst für konkrete Einsätze zusammengestellt werden. Dafür müssen die Staaten vor allem „strategische Ermöglicher“ schaffen, ohne die Kampfeinheiten nicht entsandt werden können: etwa für den weiten Lufttransport, Aufklärung und Rettungseinsätze im Gefecht.
Zwei Beispiele werden genannt: Stabilisierungseinsätze in umkämpften Umgebungen (wie etwa in Mali) oder Evakuierungseinsätze (wie etwa in Kabul). Dazu kommen zahlreiche weitere Vorschläge.
  • Das Satellitenzentrum der EU und seine Aufklärungsfähigkeit soll gestärkt werden
  • Gegen Cyberangriffe soll es schnelle Eingreifteams, inkl. der Fähigkeit zu Gegenangriffen zur „Abschreckung“ geben.
  • Der Weltraum soll stärker als Raum der Kriegsführung und Verteidigung in den Fokus rücken.
Die Führung soll bis 2025 an das im Aufbau befindliche militärische EU-Hauptquartier übergehen, das bis dahin neben den Ausbildungsmissionen zwei kleinere oder eine mittlere Kampfeinsätze leiten könne. Wohlgemerkt: nicht einen großen Einsatz, denn die territoriale Verteidigung Europas etwa gegen einen Angriff Russlands soll weiterhin Sache der NATO bleiben. Es würde die EU auch heillos überfordern.
Um die gewöhnlich endlos lange dauernden politischen Entscheidungsprozesse zu beschleunigen wird vorgeschlagen, den Artikel 44 des EU-Vertrags zu nutzen. Das würde den Mitgliedstaaten ermöglichen, eine Koalition der Willigen mit einem Einsatz zu betrauen.
De facto nehmen heute ohnehin nie alle Staaten teil, trotzdem können sie über jedes Detail mitentscheiden. …. Nach Artikel 44 müsste nur die Grundsatzentscheidung für eine Mission einstimmig erfolgen, die weitere operative Planung läge dagegen allein bei den tatsächlichen Teilnehmern.
Eine wirksame, reale gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik der EU wäre sicher sinnvoll. Ob der politische Wille in den Mitgliedsstaaten da ist, es mit einem ersten kleinen Schritt hin zu europäischen Verteidigungsstrukturen zu versuchen, wir werden sehen.

Der Artikel steht leider hinter der Bezahlschranke – einen relativ preiswerten Zugang findet man bei Blendle.

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Kommentare 4
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor 3 Jahren

    Die Welt von Hobbes wäre also die realistische Sicht ?
    dem widerspreche ich. Alle gegen alle - das hat es 1. nie gegeben und 2. gibt es auch jetzt nicht. Einige Staaten spielen Wolf einige sind es (=wobei dieser Vergl natürlich den realen Wölfen unrecht tut aber egal).
    Belarus könnte ohne Putin kaum was tun und Polen zb wäre ohne die EU nix (großes). die Mehrheit der Staaten hält sich im großen und ganzen an Völkerrecht und Verträge, achten auf ihr Image etc. Das ist nicht Hobbes...
    Aber ok: EU muss ...mit den Wölfen heulen können.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      Natürlich ist Hobbes Naturzustand, in dem Alle gegen Alle kämpfen eine nicht realistische Annahme. Er nutzt diesen Urzustand ja nur um die Notwendigkeit von Staaten zu begründen. Also wir leben heute nicht im Urzustand, das hat Hobbes auch nicht behauptet. Aber die Egoismen zw. Staaten (und zw. Menschen) sind da aber durch Kräfteverhältnisse und Verträge gebändigt (oder nicht). Und sie sind eben unterschiedlich ausgeprägt. Belorus könnte sehr wohl was ohne Putin tun, wenn es gelassen wird. Polen war übrigens viele Jahrhunderte ein Opfer dieser Machtkämpfe. Verträge sind im Zweifel Schall und Rauch. Wo sind denn die vertraglich garantierten Sicherheitsgarantien Rußlands gegenüber der Ukraine? Ein Vertrag, abgeschlossen nach dem die Ukrainer ihre Atomwaffen abgegeben hatten. Das ist Hobbes …..

  2. Bernhard Mosolf
    Bernhard Mosolf · vor 3 Jahren

    "einen relativ preiswerten Zugang findet man bei Blendle." - kann es diesen Hinweis bitte öfter geben? Guter Journalismus muss bezahlt werden, aber ich möchte doch nicht gleich ein Abo abschliessen, wenn ein Artikel mich interessiert.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 3 Jahren

      Ich geb mir Mühe, jedenfalls wenn ich kostenpflichtige Artikel empfehle. Aber Blendle hat leider auch nicht alles im Programm.

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