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Europa

Eine kleine Stammeskunde der europäischen Klimabewegten

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
Zum Kurator'innen-Profil
Thomas WahlSonntag, 19.03.2023

Wenn man die Diskussion zur Klimaentwicklung in den europäischen Medien verfolgt, hat man oft den Eindruck, es ginge vor allem um den Kampf zwischen Klimaleugnern und Klimaaktivisten. Aber es ist eine verschwindend kleine Minderheit – in der Schweiz weniger als 10 Prozent der Bevölkerung – die bestreiten, dass die aktuelle Klimaerwärmung von den Menschen gemacht wird. Die damit auch leugnen, dass die Welt vor einem großen Problem steht.

Dabei gibt es inzwischen eine Vielzahl von Perspektiven auf die Klimakrise: linke und libertäre, wachstumskritische und technikaffine, optimistische und pessimistische. …. Heute setzen sich weite Teile der Gesellschaft mit der Klimafrage auseinander – und kommen dabei zu ganz unterschiedlichen Schlüssen.

Da ist der Versuch des NZZmagazin verdienstvoll, diese Strömungen für Europa einmal zu klassifizieren und als verschieden "Stämme" darzustellen. Das Magazin folgt damit anderen soziologischen Versuchen, diese unterschiedlichen Narrative zur Lösung der Klimakrise zu analysieren.

So charakterisierte die Studie «Global Warming’s Six Americas» der Universität Yale 2009 sechs Gruppen der amerikanischen Öffentlichkeit in ihrer Wahrnehmung des Klimawandels: 

die «Alarmierten», die «Beunruhigten», die «Vorsichtigen», die «Unbeteiligten», die «Zweifelnden» und die «Ablehnenden». Die Autoren wiederholten die Untersuchung regelmässig und stellten dabei fest, dass die Gruppe der «Alarmierten» ab 2018 sprunghaft grösser wurde – sie umfasst heute ein Drittel der Amerikanerinnen und Amerikaner.

Die NZZ findet eine etwas andere und wie ich meine komplexere Einteilung. Sie nennt sechs unterschiedliche Stämme:

  • Die Tech-Optimisten
  • Die Urbanistinnen
  • Globalisten
  • Die Umweltschützerinnen
  • Die Nostalgiker
  • Die Apokalyptikerinnen

Diese Stämme unterscheiden sich dadurch, an welche Problemlagen und Lösungswege sie jeweils glauben, was sie tun wollen und wer sie sind, woher sie kommen. 

Zum Beispiel meinen demnach die Tech-Optimisten, der Klimawandel ist ein Problem, das Menschen mit Innovationen lösen können: 

Sie glauben an den Fortschritt und sind überzeugt, dass der menschliche Geist immer neue, bahnbrechende Erfindungen hervorbringen wird. Folglich setzen die Vertreterinnen dieses Stamms weiterhin auf Wachstum und halten nichts davon, Verzicht oder Verhaltensänderungen zu fordern.

Was wollen Tech-Optimisten also tun? Grundsätzlich geht es ihnen darum Innovationen zu fördern, um den gewohnten Lebensstil aufrechtzuerhalten und auch für ärmere Nationen zugänglich zu machen: 

Fleisch aus dem Labor zum Beispiel, synthetisches Kerosin für Flugzeuge oder Tierfutter aus Insektenprotein. 

Viel wird davon abhängen, dass genügend Energie vorhanden ist - natürlich CO2-frei. Es geht darum,

Energie aus sauberen Quellen zu produzieren und zu speichern. Dazu zählen sie nebst Wind und Sonne auch Geothermie und Wasserstoff, manche sehen zudem in der Kernkraft eine grüne Energiequelle.

Woher kommen die Tech-Optimisten? Laut NZZ sind sie insbesondere im wachsenden Sektor von Climate-Tech-Unternehmen zu hause. Ein schnell wachsender Sektor, der immer mehr Investoren und Kapital anzieht und damit an Einfluß gewinnt.

Auch in der Politik hat der Stamm seine Vertreter, typischerweise stehen sie der FDP nahe, manche bewegen sich in Think-Tanks wie Avenir Suisse. Auf internationaler Ebene zählen Bill Gates oder Elon Musk zu den prominenten Repräsentanten.

Ich selbst sehe mich als eine Mischung aus den ersten drei Tribes. Wir brauchen saubere Energiequellen sowie -speicher. Quellen können nicht Sonne und Wind allein sein. Wir brauchen umweltschonende Lebensmittelproduktionen. Ob zu den technischen Lösungen auch direkte Eingriffe ins Klima gehören (zum Beispiel, die Atmosphäre so zu verändern, dass weniger Sonnenlicht die Erdoberfläche erreicht), da bin ich mir noch nicht sicher. Ich denke wie die Urbanisten auch, das ein gut Teil der Probleme sich aus der Urbanisierung ergeben und damit auch viele Lösungen an den urbanen Zentren ansetzen müssen. 

Bereits heute sind städtische Zentren für 70 Prozent des globalen CO2-Ausstosses und 80 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich; bis 2050 werden laut Prognosen fast drei Viertel aller Menschen in Städten leben. 

Klar ist auch, den Klimawandel kann man nicht allein national mit Technik bekämpfen. Da haben die Globalisten recht, es braucht eine weltweite Zusammenarbeit und einzelne Länder, die vorpreschen, sind zu klein, um etwas gegen den Klimawandel auszurichten. Wenn es nicht gelingen sollte, den CO2 Ausstoß global zu senken, dann braucht es m.E. andere, drastische Anpassungsstrategien in den Ländern, in Europa. Vielleicht werden dann auch großräumige Eingriffe in die Atmosphäre notwendig - also "Climate Engineering". Ich folge ebenfalls, den Globalisten bei dem Ziel "Wirtschaft, Wohlstand und Klimaschutz miteinander zu verbinden".
Eine kleine Stammeskunde der europäischen Klimabewegten

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