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Volk und Wirtschaft

Die Globalisierung überholt die reichen Staaten

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSamstag, 09.07.2022
Gegenwärtig zeichnen sich offenbar gewaltige Verschiebungen in den wirtschaftlichen und politischen Gewichten zwischen der westlichen Welt und dem globalen Rest ab. An der Oberfläche erscheint das bei den Warenströmen, den wachsenden Abhängigkeiten des Westens von Zulieferungen und letztlich auch an den sich verändernden politischen und militärischen Kräfteverhältnissen.
Patrick Bernau zeigt mit einer der wichtigsten Grafiken der neueren Ökonomie, dem sogenannten Elefanten-Chart, dass sich schon seit längerem im Hintergrund die Einkommensverhältnisse verschieben.

Man sieht in der vom Ökonomen Branko Milanovic errechneten und gestalteten Darstellung, wie sich zwischen 1998 und 2008 global das kumulierte Realeinkommen pro Kopf der Menschen (in den verschiedenen Einkommensgruppen) weltweit entwickelt hatte. 
Erst kam der große Buckel: Er zeigte, dass die ärmeren zwei Drittel der Menschen ihre Einkommen enorm gesteigert hatten. Dann kam das tiefe Tal, die Unter- und Mittelschicht der reichen Staaten, deren Einkommen praktisch stagnierten. Vorne stieg die Kurve wieder an, sie erinnerte an einen Rüssel: Die Reichsten der Welt gewannen ungefähr genauso viel wie die Ärmeren.
Interessant nun die aktuelle Version die Milanovic für 2008 - 2018 berechnet hat. Sie zeigt - das Ende des Elefanten:
Between 2008 and 2018, incomes of the globally poor have increased in percentage terms much more than the incomes of the globally rich. The global Gini has gone down.
Die Grafiken verdeutlichen wie im Brennglas, woher viele Probleme der Welt kommen:
die Unzufriedenheit in den reichen Staaten, die zur Wahl von Donald Trump und zur Brexit-Abstimmung führte. Der unglaubliche Aufstieg Chinas und anderer asiatischer Länder, der Millionen Menschen aus der Armut führte. Die Angst vieler Menschen im Westen, ihren Arbeitsplatz nach Asien zu verlieren. Und die wachsende Ungleichheit in vielen westlichen entwickelten Staaten.
Milanowic ist mit diesen Kurven berühmt geworden. Er gilt dabei als genauer Rechner und penibler Rechercheur, was man von einem anderen weltberühmten Ungleichheitsforscher, nämlich Thomas Piketty, nicht immer sagen kann. Der hatte in seinem bekannten Werk "Das Kapital im 21. Jahrhundert" zeigen wollen, dass historisch die Kapitalrenditen fast immer über dem Wirtschaftswachstum liegen und damit die Reichen zwangsläufig immer reicher werden als die Armen. 
Wie er aber seine Zahlen zusammengetragen hat, dafür ist er von Historikern heftig kritisiert worden. Zu oft peile er einfach über den Daumen, so dass die Zahlen seiner These entsprächen. 
Trotzdem wird er von Milanovic verteidigt, der Piketty bescheinigt, er arbeite als Wissenschaftler und nicht als Aktivist. Der Erfolg des populären wissenschaftlichen Werkes sei völlig überraschend gekommen. Er bezeichnete das Buch als „einen Wendepunkt in der ökonomischen Literatur". 
Die Elefantengrafik hat Piketty mit seinen Koautoren schon mal neu berechnet, mit besseren Daten als denen von Milanović, wie er findet – und prompt sieht es bei Piketty so aus, als gewönnen die Reichen viel mehr und die Armen weniger. In seinem jüngsten Buch, gerade in Frankreich erschienen, fordert Piketty eine extreme Besteuerung großer Vermögen und ein Staatserbe von 120.000 Euro zum 25. Geburtstag für jeden.
Daran sieht man ganz gut, wie die Absichten und die Vorschläge der Wissenschaftler (unbewußt oder nicht) ihre Analysen "lenken". Milanovićs Einschätzungen und Vorschläge sind daher auch andere. Nicht die Ungleichheiten an sich sind das eigentliche Problem, sondern das liegt da, wo sie negative Konsequenzen haben, etwa dass
arme Kinder weniger Chancen haben … oder dass die Reichen sich mit ihrem Geld politische Macht kaufen können – ein Problem, das es in China umgekehrt gibt, wie er anmerkt: Dort wird allzu oft aus politischer Macht wirtschaftlicher Wohlstand.
Was seine Vorschläge wohl mehrheitsfähiger und realistischer macht als die von Piketty. 

Die Globalisierung überholt die reichen Staaten

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