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Volk und Wirtschaft

Milliardengrab – Feature über unkalkulierbare Kosten der Atomkraft

Susanne Franzmeyer
Piqer für Radio Features
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Susanne FranzmeyerSamstag, 11.06.2022

Während in Deutschland zwar inzwischen beschlossen wurde, bis Ende 2022 aus der Atomkraft auszusteigen, setzen andere Länder wie Frankreich weiter auf Atomenergie. Sie gilt als "sauber" – zumindest fürs Klima – und als billig. Atomkraft – für viele gilt sie als Zeichen des Fortschritts, sie wird und wurde staatlich gefördert oder befindet sich überhaupt in Staatsbesitz. Was auch bedeutet, dass anfallende Kosten für die Pflege alter Anlagen oder die Atommüllentsorgung fortlaufend durch Steuergelder finanziert werden. Dass die Rechnung nicht aufgeht, ist Atomkraftgegnern wohl längst klar, aber Tom Schimmeck hat in seinem ARD-Radiofeature "Milliardengrab Atomkraft" einmal genauer nachgerechnet und legt erschreckende Zahlen auf den Tisch. Er schaut dabei auf die Geschichte der Atomkraft und wirft auch einen Blick auf andere Länder und Entwicklungstendenzen.

"Die DDR war der viertgrößte Uranproduzent der Welt. Von 1946 bis 1990 wurden hier 216.350 t Uran produziert und in die Sowjetunion geliefert."

Nicht zu unterschätzen sind in erster Linie die Kosten der nachhaltigen Betreuung atomarer Umweltsünden und Katastrophenfälle. Auch der Mensch wurde verheizt, so auch beim Uranabbau bei der "Wismut" in Ronneburg.

"Die Bergleute in meinem Alter, da sind die meisten weg. Wir wollen jetzt im Juni uns wieder treffen. Mal gucken, wer noch kommt."

"Den Leuten hier waren diese Schlammteiche nie geheuer. Auch nicht der Staub, der über die Dörfer trieb. Es gab Gerüchte über Fehlgeburten. Frank Langes Eltern schufteten beide bei der Wismut, starben beide an Krebs."

Seit der Wende werde nun saniert, von der Wismut GmbH, einem Unternehmen des Bundes zur Stilllegung, Sanierung und Rekultivierung von Urangewinnungs- und Uranaufbereitungsbetrieben in Sachsen und Thüringen.

"Kosten bis 2021: 6,9 Mrd. € – gut 600.000€ Tag für Tag. Geschätzte Gesamtkosten: Über 9 Mrd. Mindestens. Eine Ewigkeitsaufgabe, sagt Hans-Dieter Barth, Chemiker und Aktivist. (...) Bis mindestens 2050 geht die Sanierung weiter, sagt Barth."

Im Grunde habe man immer nur draufgezahlt, das ergebe ein Blick auf die Zahlen der Wismut, sagt einer der Fachkundigen. Und Erich Honecker, so heißt es im Feature, habe nach seinem Sturz sogar behauptet, die enormen Kosten der Wismut seien ein Hauptgrund für das Scheitern der DDR gewesen. Doch in der Bundesrepublik sieht es nicht besser aus, auch, wenn es zunächst schwer zu sein scheint, überhaupt konkrete Kosten zu kalkulieren:

"Ende 2021 versuchte der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages eine wirklich komplexe Rechenaufgabe zu lösen. Was hat uns die Atomenergie gekostet? Was wird sie uns noch kosten? Und wer zahlt? Befund: Die Quellenlage sei eher 'heterogen'. Die Begriffe 'verschwommen'. Eindeutige Ergebnisse 'nicht zu ermitteln'. Am Schwierigsten: die Prognosen. Das Umweltbundesamt teilt mit: 'verlässliche Werte für die Folgekosten' seien 'äußerst schwierig zu ermitteln'. Nukleare Projekte neigen auch finanziell dazu, nukleare Kettenreaktionen in Gang zu setzen."

In Frankreich setzt eine Atom-Lobby sich erfolgreich für die Aufwertung der Atomkraft ein. Es gibt dort einen regelrechten Atom-Klüngel. Christine Fassert wurde nach zehn Jahren Mitarbeit aus dem IRSN, dem 'Institut de radioprotection et de sûreté nucléaire', entlassen, nachdem sie aufwändig in Fukushima geforscht hatte und kritische Fragen stellte. Offenbar ein absolutes "no go" in der Branche. Dort hält man zusammen – oder man fliegt raus.

'In Frankreich kommen die Eliten aus den großen Ingenieurschulen. Der typische Mitarbeiter der Nuklearindustrie hat bestimmt Polytechnik studiert, dann die École des Mines besucht. Das Korps dieser Schule formt Ingenieure, die unter sich bleiben und einander fördern. Das führt zweifellos zu einer Homogenisierung des Denkens.' Wer Argumente kritischer Experten auch nur erwäge, gelte als Feind. 'Man fliegt sofort raus. Ich galt prompt als Anti-Atomkraft-Aktivistin.'

In Deutschland wurde unter der CDU-Regierung eine atomare Entsorgungssünde durchgesetzt.

"Morsleben bietet Anfang der 90-er die schnelle, schmutzige Chance, Atommüll aus dem Westen loszuwerden. 'Man hatte plötzlich die Möglichkeit, die Zwischenlager in den verschiedenen Kraftwerken leerzuräumen und hatte eine in dem Wortsinne billige Entsorgung gefunden. (...) Insgesamt bis '98 übrigens mehr Abfälle als in der ganzen DDR-Zeit dort reingekommen sind. (...) Zuständig: Bundesumweltministerin Angela Merkel. (...) 2001 stürzt der erste tausende Tonnen schwere Gesteinsbrocken von der Grubendecke. Bis heute arbeitet man daran, Morsleben zu stabilisieren, zu verfüllen und zu verschließen – so gut es geht. Kosten bis 2020: ca. 1,45 Mrd. €."

Doch die Vergangenheit lehrt die Menschheit offenbar nicht genug. Immer noch scheint Atomkraft für viele eine sinnvolle, klimaneutrale und kostengünstige Art der Energiegewinnung zu sein. Dass allein bei der Planung und dem Bau von Atomkraftwerken die Kosten jeweils den einst gesteckten Rahmen sprengen, scheint keinen zu interessieren.

"'Heute verkauft man Powerpoint-Reaktoren. Da ist ja das Design nicht mal genehmigt.' Das neue Versprechen lautet: Diesmal wird es klein und einfach, schneller und billiger."

Hyman Rickover, Admiral der US Navy und 'Vater der Atommarine' drückte allerdings bereits 1953 aus, was bis heute offenbar nicht an Gültigkeit verloren hat, als er 'akademische' von 'tatsächlichen' Reaktoren unterschied:

Ein 'akademischer' Reaktor hat fast immer die folgenden grundlegenden Eigenschaften: 1. Er ist einfach 2. Er ist klein 3. Er ist billig 4. Er ist leicht 5. Er kann rasch gebaut werden 6. Er ist sehr flexibel in der Anwendung 7. Es ist nur sehr wenig Entwicklungsaufwand erforderlich, denn es werden handelsübliche Komponenten verwendet. 8. Der Reaktor befindet sich in der Planungsphase. Er wird noch nicht gebaut. Ein 'tatsächlicher' Reaktor hingegen zeichnet sich durch die folgenden Merkmale aus: 1. Er ist im Bau 2. Er ist im Rückstand 3. Er erfordert einen immensen Entwicklungsaufwand für scheinbar triviale Dinge 4. Er ist sehr teuer 5. Es dauert sehr lange, ihn zu bauen, weil es bei der Entwicklung technische Probleme gibt 6. Er ist groß 7. Er ist schwer 8. Er ist kompliziert.

Ein sehr hörenswertes Feature, ansprechend und stimmungsvoll inszeniert.

Milliardengrab – Feature über unkalkulierbare Kosten der Atomkraft

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Kommentare 8
  1. Florian Blümm
    Florian Blümm · vor mehr als 2 Jahre

    So eine seichte "Doku" kann man über jede Energiequelle machen. Man ersetze Wismut zum Beispiel mit den "erneuerbaren" Giftseen in der inneren Mongolei.

    So lange wir Energie nutzen wollen, sollten wir die Umweltschäden von Energiequellen über den Lebenszyklus miteinander vergleichen. Dann stellt man fest, dass Kernkraft mindestens so nachhaltig ist wie Wasserkraft, Wind und Solar.

    Hier eine aktuelle Lebenszyklus-Analyse vom wissenschaftlichen Dienst der EU im Rahmen der EU-Taxonomie:
    https://ec.europa.eu/i...

    Hier ein weiterer aktueller Vergleich der Wirtschaftskommission für Europa:
    https://unece.org/site...

  2. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre

    Die Wismut AG ist nun wirklich kein gutes Beispiel gegen die Zukunft mit Kernkraft. Das Uran ging vorrangig in die Atombomben und weniger in die AKW. Und das im Ostblock Menschenleben, Ökologie und Nachhaltigkeit überall nur eine geringe Rolle spielte ist auch bekannt.

    Was Moorsleben betrifft, dort werden "schwach- und mittelradioaktive Abfälle endgelagert. Rund 60 Prozent der derzeit endgelagerten Abfallmenge werden nach der Wiedervereinigung unter Tage gebracht. Diese Abfälle beinhalten 40 Prozent der eingelagerten Radioaktivität. Der radioaktive Abfall stammt überwiegend aus dem Betrieb von Kernkraftwerken sowie aus der Stilllegung kerntechnischer Anlagen. Typische Abfälle sind eingedampfte und verfestigte radioaktive Flüssigkeiten, Filter, Metallschrott, Papier, Laborabfälle, Bauschutt, Schlämme oder Mischabfälle." So richtig gefährlichen Atommüll lagert man anders - in Castor-Behältern.

    "Die gesamte Radioaktivität im Endlager Morsleben entspricht derzeit etwa einem 2.000stel des radioaktiven Inhalts eines Castor-Behälters (Typ V/19 – 96er Bauart bei typischer Beladung)."

    https://www.bge.de/de/...

    1. Susanna Sandvoss
      Susanna Sandvoss · vor mehr als 2 Jahre

      Das ändert aber nichts an den horrenden Kosten, oder? Und den "nicht so gefährlichen" Atommüll hätte ich auch nicht gern in meiner Nähe.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre · bearbeitet vor mehr als 2 Jahre

      @Susanna Sandvoss Nun, wenn man die Systemkosten der Energiesysteme mit sehr hohen Anteilen von Wind- und Solarenergie nimmt, dann sind die vergleichbar hoch. Ist eigentlich bekannt. Wenn man nur die Kosten für die Energie nimmt, wenn sie aus dem Windrad kommt, dann ist das irreführend.

      Windräder möchte man auch nicht gern in seiner Nähe. Ökologisch sind die auch nicht gerade. Die Systeme sind eine riesige Materialschlacht mit teuren und begrenzten Rohstoffen, viel Naturverbrauch (in Städten stehen sie ja nicht) und viel Energie. Schlechter EROI. ….. Irgendeinen Tod muß man sterben. Es gibt keine Vorteile ohne Nachteile.

    3. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor mehr als 2 Jahre

      @Thomas Wahl Windräder sind nicht ökologisch - ich muss lachen! Natürlich wird für die Produktion auch Energie verbraucht leider werden auch zt umweltschädliche Stoffe verwendet: ABER. Aber das mit Kohle oder Gas und dann sogar mit Atomkraft zu vergleichen ist irre. sorry aber ich ertrage ein Windrad in meiner Nähe weitaus lieber!
      wenn ein Windrad "umfällt", ist es nicht nett. Aber alle selbst die kleinsten Unfälle mit einem Atomreaktor sind lebensgefährlich. Das sagt eigentlich schon alles.
      Und wie der Artikel zeigt ist diese Energie auch noch richtig teuer.
      was auch gern vergessen wird dass die nötigen Brennstäbe auch zgrT aus Russland kommen müssten...

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre

      @Cornelia Gliem Also von Kohle und Gas als Vergleich wurde nicht gesprochen. Es ging um Kernenergie. Und da schneiden Wind und Sonne als Gesamtsystem nicht so gut ab. Das kann man wissen, wenn man ohne Vorurteile recherchiert. Der EROI ist nicht so gut und die Kosten hoch. Wie wir an unseren Strompreisen sehen. Das der Strom unmittelbar aus dem Solarpanel, wenn die Sonne denn scheint, billig ist, besagt nichts über die Systemkosten und damit nichts über den Endpreis. Und so ist es auch mit dem gewaltigen Material- und Naturverbrauch. Eigentlich sollte sich der Mensch ja aus der Natur zurückziehen und diese nicht in eine Energieerzeugungsanlage umbauen.

      https://energy.glex.no...

      Welche kleineren Unfälle mit Atomkraft waren den lebensgefährlich? In Fukushima ist jedenfalls keiner gestorben, evtl. einer. Und die Brennstäbe müssen nicht zwangsweise aus Rußland kommen. Genau so wenig wie Solarpanels oder Windräder nicht aus China. Auch Gas hätten wir in Europa für den Übergang genug.

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre

      @Cornelia Gliem "First, we see that there are massive differences between sources. At the bottom of the chart we find nuclear energy. It is the most land-efficient source: per unit of electricity it needs 27-times less land compared to coal; 18-times less than hydropower plants; and 34-times less than solar PV.2

      Second, we see that there are large differences within a single energy technology. This is shown by the wide range from the minimum to the maximum land footprint. This shows that land use depends a lot on how the technology is postgresed, and the local context."

      https://ourworldindata...

  3. Berthold Kaufmann
    Berthold Kaufmann · vor mehr als 2 Jahre

    Klaus Traube hätte hier auch zitiert werden können.... er ist auch 'rausgeflogen', aus dem deutschen AK Klüngel.... als er kritische Fragen stellte

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