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Europa

Gibt es die cancel culture wirklich?

Stefanie Stocker
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Stefanie StockerSonntag, 16.06.2024

Veröffentlicht von miriconosci am 20.12.2023

CANCEL CULTURE  DEBATTE  in Italien - TEIL 1

Was genau ist die cancel culture und wer "cancelt" wirklich etwas? Eine alte Angst in einem neuen Gewand, die nicht nur in Italien für eine lebhafte Debatte sorgt - eine Annäherung.

Eine Maßnahme der Lega verpflichtet das Kulturministerium, Leitlinien gegen die "cancel culture" zu verfassen. Aber gibt es das Phänomen, von dem alle reden, wirklich? Und was ist es?

Stoppt #cancelculture. Ein notwendiger Akt, um unser künstlerisches und kulturelles Erbe vor dem gefährlichen Abdriften derer zu bewahren, die es auszulöschen versuchen, um die Geschichte nach ihrem Gutdünken umzuschreiben.

Mit diesem Satz verkündete Minister Matteo Salvini (Politiker der Lega und stellvertretender Ministerpräsident im Kabinett Meloni) am 30. November auf X die Genehmigung der Maßnahme zur Verabschiedung von Leitlinien durch das Kulturministerium, um "die historische Authentizität von Büchern, Filmen und Liedern auch in ihrer Originalfassung" zu bewahren. Dies ist nur eine von vielen Ankündigungen, die in den letzten Monaten von Politikern, Journalisten und Intellektuellen gemacht wurde.

Dieses Mal sollte das Kulturministerium in Kürze mit der Ausarbeitung von Leitlinien beginnen, um die gefährliche "cancel culture" einzuschränken. Einige Tage später, am 16. Dezember, machte Kulturminister Gennaro SangIuliano auf der "Atreju-Kirmes" der Fratelli d'Italia deutlich, dass er eine ähnliche Notwendigkeit sieht: "Lasst uns eine freie Kultur aufbauen gegen die Diktatur der politischen Korrektheit und der mit dem Finger winkenden Lehrer", twitterte er unter dem Beifall anderer Parlamentarier der Mehrheitspartei.

Aber ist das wirklich eine Priorität? Gibt es wirklich eine "Diktatur" der politischen Korrektheit und eine "cancel culture", die Lieder, Filme und Bücher so sehr bedroht, dass eine staatliche Maßnahme notwendig ist?

Die Abfolge der ministeriellen Verlautbarungen gibt uns die Gelegenheit, einen Prozess zu beleuchten, der sich immer mehr zuspitzt - aber nicht aus der Perspektive, die die oben genannten Minister gerne hätten. Aber fangen wir von vorne an.

Eine Anschuldigung und ihre Geschichte

Der Begriff "cancel culture" ist rein angelsächsisch und hat eine lange Geschichte, die Sie hier zusammengefasst finden. Die Definition ist nicht eindeutig, aber es sei darauf hingewiesen, dass mit "cancel culture" weniger jene Maßnahmen gemeint sind, die zu Änderungen oder Kürzungen im Kulturbereich führen, und die Salvini verängstigen, sondern vielmehr der Druck von unten, der durch Boykotte oder Massenproteste ausgeübt wird, sodass als umstritten geltende Autoren nicht an Veranstaltungen teilnehmen oder bestimmte Werke nicht verbreitet werden. 

In jedem Fall handelt es sich um ein typisch amerikanisches Phänomen, das von der konservativen Rechten befeuert wird. 

In Italien handelt es sich lediglich um einen importierten Ausdruck, der sich jedoch seit Juni 2020, nach dem Abriss der Statue von Edward Colston in Bristol, England, auch im übrigen Europa überraschend erfolgreich durchgesetzt hat. Das Ereignis wurde von der italienischen Öffentlichkeit sehr emotional und besorgt wahrgenommen, da es mehr oder weniger zeitgleich mit dem Abriss mehrerer Statuen von Christoph Kolumbus in den Vereinigten Staaten nach dem Mord an George Floyd stattfand.

In Wirklichkeit hatte die Colston-Affäre eine rein lokale Bedeutung und Entwicklung: Sie stand im Zusammenhang mit einigen offensichtlichen Versäumnissen der Verwaltung. In ganz Westeuropa wurde seither keine andere Statue mehr während einer Demonstration abgerissen. Auch in den Vereinigten Staaten wird seit Jahren über Statuen von Christoph Kolumbus diskutiert, die vor allem in den 1930er Jahren aufgestellt wurden, als der Seemann zu einem Instrument und Symbol der weißen Vorherrschaft wurde. Die italienische Öffentlichkeit, die mit dieser Debatte nicht vertraut war und erst recht nicht mit den Verbrechen, die Christoph Kolumbus zu seinen Lebzeiten begangen hatte - und die schon damals als schwerwiegend galten - empfand die Angelegenheit als einen Angriff auf die Geschichte. Dies war nicht der Fall: In beiden sehr unterschiedlichen Situationen hat der Abriss eine lebhafte Debatte ausgelöst, das Bewusstsein der Bürger für die Geschichte dieser Statuen und historischen Figuren gestärkt und die Öffentlichkeit dazu gebracht, historische Persönlichkeiten wahrzunehmen, die in der Tat aus der Geschichte entfernt worden waren.

Doch einige Wochen später geschah es - wiederum in den USA - dass 150 mehr oder weniger berühmte Intellektuelle, nicht alle von ihnen konservativ, mit einem inzwischen bekannten offenen Brief im Harper's Magazine das Konzept der "cancel culture" auf globaler und italienischer Ebene legitimierten. Kurz gesagt, sie äußerten sich besorgt über die mögliche Einschränkung der öffentlichen Debatte, sowohl durch Trumps repressive Regierung als auch durch das vermehrt auftretende "public shaming" ("öffentliches Anprangern/Beschämen"), das ihrer Meinung nach zu Ausgrenzungen durch eine zunehmend intolerantere Gesellschaft führt.

Wie die Google-Trends-Suchanfragen und die systematische Verwendung des Begriffs in der italienischen Debatte zeigen, ist der Ausdruck "cancel culture" seither allgemein gebräuchlich geworden. Allerdings waren es nicht die Aktivisten und Aktivistinnen, die den Begriff legitimierten und eine Änderung des Narrativs, des öffentlichen Raums oder der verwendeten Worte forderten; sie sprachen nie von einer "cancel culture". Vielmehr war es eine Gruppe einflussreicher Personen, die sich durch diese neu aufkommende Sensibilität in ihrer beruflichen Freiheit eingeschränkt fühlte. Wir werden gleich darauf zurückkommen.

Seit der Begriff "cancel culture" in Mode gekommen ist, wurde er oft mit dem Begriff "politische Korrektheit" überlagert und so zu einer noch schärferen und abwertenderen Formel.

In Italien wurde er vor allem verwendet, um die guten, altmodischen Umgangsformen gegen die moderne und gefährliche "politische Korrektheit" zu verteidigen, d. h. gegen die Forderung der Öffentlichkeit anders zu kommunizieren. Zum Beispiel bei der Aufführung der Komiker Pio und Amedeo im Jahr 2021: beide weiße cis-hetero Männer, die ihr Recht einforderten, beleidigende Worte zur Beschreibung schwarzer oder homosexueller Menschen verwenden zu dürfen, was sofort mit einem Tweet des ebenfalls weißen cis-hetero Matteo Salvini verteidigt wurde, der befand: "Wer den Mut zum Lachen hat, ist Herr der Welt".

Dies gilt auch für die Petition aus dem Jahr 2022 gegen die Verwendung des "Schwa (ə)" (Das umgekehrte "e" nennt sich „Schwa“ und wird wie ein kurzes "ä" ausgesprochen. Wörter wie "professorə" entsprechen dem Deutschen "Professor:in". Das "Schwa" schließt auch nicht-binäre Menschen ein).

Universitätsprofessoren und anerkannte Intellektuelle warnten mit der Petition: „Lo schwa? No grazie. Pro lingua nostra“ („Das Schwa (ə)? Nein danke. Für unsere Sprache“)  vor dem "Vorschlag einer Minderheit, die den Anspruch erhebt, einer ganzen Gemeinschaft von Sprechern und Schriftstellern ihr Recht aufzuzwingen".

Aber auch Künstler und Intellektuelle wie Carlo Verdone, Luca Barbareschi, Alessandro Barbero, Michele Serra und viele andere haben das "Schwa" oft verwendet.

Es liegt auf der Hand, dass die Unterzeichner des Briefes gegen das "Schwa", die Unterzeichner des Briefes an Harper's und alle anderen genannten Personen neben ihrer öffentlichen Präsenz noch andere Privilegien genießen, die die Mehrheit der Menschen, an die sie sich wenden, nicht hat. Außerdem wurde in den letzten Jahren nie geklärt, inwiefern die Aufforderung, bestimmte Begriffe kritisch zu verwenden oder die italienische Sprache weiterzuentwickeln, eine "Annullierung" und keine Debatte sei - auch aufgrund der Instrumentalisierung von Fällen, in denen eine Annullierung tatsächlich stattgefunden hat: immer in den USA, versteht sich.

Wer löscht wirklich etwas aus?

Seit 2020 sind in italienischen Zeitungen eine Reihe von Fällen angeblicher "cancel-culture" aufgetaucht. Um es klar zu sagen: In den italienischen Zeitungen gab es eine gewaltige polemische Entgleisung, die auf nichts weiter beruhte als auf der Kritik an einem Disneyland-Park, in der lediglich der nicht einvernehmliche Kuss des Prinzen an Schneewittchen kommentiert wurde, und die aber in panischen Schlagzeilen gipfelte.

Es gibt aber auch Fälle, in denen wirklich etwas passiert ist, wie der Fall der amerikanischen Lehrerin, die von der Tallahassee Classical School in Florida entlassen wurde, weil sie den Schülern den David von Michelangelo gezeigt hatte. Oder die Streichung einiger als beleidigend empfundener Wörter in Roald Dahl’s Büchern. Oder einige Disclaimer, die zu Beginn von „Vom Winde verweht“ eingefügt wurden (z.B.: "ein Film voller offen rassistischer Anspielungen, die das italienische Publikum nur teilweise verstehen kann"), um dem Publikum zu helfen, den historischen und kulturellen Kontext zu verstehen, in dem der Film gedreht wurde. Oder eine lange Reihe von Disney-Entscheidungen: Arielle, gespielt von einer afroamerikanischen Schauspielerin, Schneewittchen und die sieben Zwerge ohne Zwerge. Aber in all diesen Fällen sind es nicht die Aktivisten und Aktivistinnen, die "canceln": es ist der Markt.

Um keine Kunden zu verlieren, greifen Unternehmen wie Disney, Verlage, die öffentliche Schule, in der die entlassene Lehrerin arbeitete, lieber auf eine Abänderung als auf eine Erklärung zurück. Das hat es schon immer gegeben, und in unserem Eurozentrismus haben wir es kaum bemerkt. Um das Produkt besser zu verkaufen, inszenierte Disney 1970 eine chinesische Katze, die mit Stäbchen Klavier spielte. 2022 zog Disney es vor, einfach auf den „Fehler“ hinzuweisen anstatt den Kontext zu erklären, in dem das Produkt geschaffen wurde; wiederum um das Produkt besser zu verkaufen (in diesem Fall, um es weiter verkaufen zu können).

Ein weiteres Beispiel: 2023 spielt eine Schauspielerin afrikanischer Abstammung, Adele James, Kleopatra, um den Geschmack des amerikanischen Publikums zu treffen (dank der Zeitungen, die für Kontroversen sorgen, mit kostenloser Publicity inklusive).1963 hingegen spielt Liz Taylor Kleopatra, die der ägyptischen Königin überhaupt nicht ähnelte. Hannibal ähnelte höchstwahrscheinlich nicht Denzel Washington, aber er ähnelte auch nicht Victor Mature, der ihn 1959 spielt. Es ist einfach so, dass wir an bestimmte Arten der "Auslöschung" durch den Markt gewöhnt sind: wenn wir nie bemerkt haben, dass fiktionale Charaktere immer von kaukasischen europäischen Schauspielerinnen und Schauspielern gespielt wurden, ist es für viele von uns etwas befremdlich, wenn wir sie plötzlich von anderen Ethnien gespielt sehen. Aber auch das ist nichts Neues.

Wer wirklich auslöscht und zerstört - und zwar schon immer - ist die jeweils etablierte Macht.

Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine wurden Dutzende von Statuen aus der Sowjet-Ära abgerissen und "russischsprachige" Autoren und Bücher verboten, so wie es in ähnlicher Weise zig-fach in allen ehemaligen Sowjetländern seit dem Fall der UdSSR geschah.

Die Macht, die das Sagen hat, kümmert sich nicht darum, was Geschichte ist.

Die Taliban in Afghanistan haben die Buddha-Statuen in Bamiyan zerstört: Sie haben sie in die Luft gejagt. Der neue italienische Nationalstaat hat ganze Stadtviertel beseitigt, um Platz für seine neue Hauptstadt Rom zu schaffen. Das Britische Museum in London erzählt auf seinen Tafeln nicht, wie und warum diese Objekte nach London kamen. Es gibt Hunderte von Beispielen. Jedes Regime (im weitesten Sinne auch das demokratische) ist bestrebt, das auszulöschen, was ihm nicht passt: In Alba wurde 2022 das Reiterstandbild von General Giuseppe Govone von einem Platz entfernt und durch ein 12 Meter hohes Mädchen namens Alba ersetzt, das Michele Ferrero (ehemaliger ital. Unternehmer und Eigentümer des Süßwarenherstellers Ferrero) feiert. Es waren keine Aktivisten und Aktivistinnen, die diese Veränderung wollten: es war die Macht, in diesem Fall die wirtschaftliche, in den meisten anderen Fällen die politische.

Doch niemand verwendet den Ausdruck "cancel culture", wenn es darum geht, ganze Teile der italienischen Geschichte oder das Leben einer historischen Figur aus dem Gedächtnis zu löschen. Dies ist der Fall bei Christoph Kolumbus, der bereits zu Lebzeiten für Verbrechen verurteilt wurde, die schon damals als schwerwiegend galten, und der vom italienischen Nationalstaat mythologisiert wurde; bei General Luigi Cadorna, von dem man weiß, dass er für das Leben der Soldaten nicht viel übrig hatte und eine Verleumdungskampagne gegen die Gefangenen der Zwölften Isonzoschlacht führte, die zu Unrecht beschuldigt wurden, feige und unfähig zu sein und "die Schande der Kapitulation der Ehre und dem Tod vorziehen"; und bei vielen weiteren.

Das ist auch der Fall bei der "Auslöschung" jahrzehntelanger Verbrechen der Italiener und des faschistischen Regimes an den slawischen Gemeinschaften im Nordosten, die den Nährboden für die Verbrechen der Tito-Partisanen bildete (nicht alle waren Slawen, aber auch das wird gestrichen), und an die der italienische Staat heute mit einer eigenen Feier erinnert. Oder aber es handelt sich um weibliche Persönlichkeiten, deren historischer, kultureller und wissenschaftlicher Beitrag im Laufe der Jahrhunderte so weit heruntergespielt wurde, dass er der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist: die Beispiele allein in Italien sind vielfältig.

Kurz gesagt, die "Auslöschung" ist bereits im Gange, sie ist strukturell und sie erfolgt von oben: aus den Schulbüchern, auf den Straßen, auf den Plätzen. Wir befinden uns inmitten einer mythischen Kristallisation einer problematischen Vergangenheit, oder zumindest in einem Versuch dessen: Für Cadorna wurde erst vor einem Monat eine große Zeremonie organisiert, um den Start der Restaurierungsarbeiten an seinem faschistischen Mausoleum in Pallanza einzuweihen. In Genua wurde die Restaurierung des Denkmals für die gefallenen Soldaten der Republik Salò, die mit Nazideutschland kollaboriert hatten, mit großem Aufwand finanziert. Das missbräuchliche Mausoleum des Hierarchen und Kriegsverbrechers Rodolfo Graziani in Affile aus dem Jahr 2012, das seine Kriegsverbrechen offensichtlich "auslöscht", wird von denselben Leuten verteidigt, die von "cancel culture" sprechen.

Und all dies geschieht, weil der Begriff "cancel culture" auf rein instrumentalisierte Weise in die öffentliche Debatte eingebracht wurde, um gegen diejenigen eingesetzt zu werden, die von unten Veränderungen, Aktualisierungen, Forschung, Entwicklung fordern, und zwar von jenen, die stattdessen von oben freie Hand haben wollen, um alle bestehenden Abschaffungen aufrechtzuerhalten: und wenn nötig neue zuzulassen. Es ist leicht zu erkennen, dass diejenigen, die über das Fehlen von Meinungsfreiheit und die Verfolgung von Mehrheiten klagen, oft über eine enorme Sichtbarkeit verfügen und mitunter die Möglichkeit haben rund um die Uhr im TV zu sprechen, wie im jüngsten Fall von Generalmajor Vannacci. Ein Knüppel, der gegen jeden eingesetzt wird, der versucht, von unten Zweifel zu äußern oder Forderungen zu stellen.

Wer entscheidet, was zu feiern ist?

Wenn wir zu dem eingangs zitierten Tweet von Minister Salvini zurückkehren, wird deutlich, dass seine Perspektive voreingenommen ist und umgedreht werden müsste. Minister, Senatoren, Generäle, Universitätsprofessoren und Mitglieder der herrschenden Klasse mögen sich als "Winstons" darstellen, die sich heldenhaft als Orwellsche Metapher gegen die Umschreibung der Geschichte durch den bösen "big brother" in der Regierung wehren. Aber das ist unmöglich, denn sie sind an der Macht und in der Regierung. Die historische Authentizität, die Salvini nach eigenen Angaben bewahren will, erinnert an den Mythos der Ursprünge, an die Reinheit einer verlorenen Vergangenheit, und ist ein Gemeinplatz der konservativen Propaganda. Es ist sehr beunruhigend, dass ausgerechnet diese Regierung sich anmaßt, diese angebliche Authentizität zu verteidigen.

Die "cancel culture", wie sie in den Medien dargestellt wird, existiert nur in der rechten Propaganda. Sie ist die Anklage gegen einen imaginären Feind innerhalb einer vereinfachten Opposition, in der nur Konservative und Progressive existieren. Aber die Macht, selektiv zu löschen und zu bewahren, liegt bei der Macht im Allgemeinen und nicht bei einem bestimmten sozialen oder ideologischen Block. Zensur ist nur dann eine Zensur, wenn sie von einer sozialen Gruppe zum Nachteil einer anderen, weniger mächtigen Gruppe ausgeübt wird: "canceln" können nur jene, die beizeiten die Macht dazu haben.

Was diejenigen beunruhigt, die von "cancel culture" sprechen, ist die Tatsache, dass historisch benachteiligte, ausgeschlossene oder ungebildete Gruppen mehr Macht als in der Vergangenheit erlangen, sodass vorherrschende Erzählungen in Frage gestellt werden. Dieses neue historische Phänomen sollte bei allen, die sich mit Geschichte und Kulturerbe befassen, Begeisterung hervorrufen: Zensur ist etwas anderes.

Es liegt an uns - den Menschen, die in diesen Machtverhältnissen benachteiligt sind - nein zu sagen! Lassen wir nicht zu, dass die Machthaber bestimmen, was von unserer Vergangenheit erinnert oder gefeiert werden soll und was nicht, denn das ist nur ein Vorwand, um Privilegien von Klasse, Rasse und Geschlecht zu bewahren, die bestimmte Gruppen innehaben. 

Gibt es die cancel culture wirklich?

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Kommentare 8
  1. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor 4 Monaten

    Zur (sehr langen) Geschichte der Cancel Culture hatte hierzulande Julian Nida-Rümelin ein vielbesprochenes Buch vorgelegt https://www.spektrum.d...

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 4 Monaten

    Guter Artikel, weil er Machtverhältnisse zeigt.

    Alle canceln oder manipulieren wie es früher hieß; allerdings sind einige mächtiger als andere.

    „Ein unmanipuliertes Schreiben, Filmen und Senden gibt es nicht. Die Frage ist daher nicht, ob die Medien manipuliert werden oder nicht, sondern wer sie manipuliert." (Enzensberger, Baukausten zu einer Theorie der Medien, 1970)

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 4 Monaten

      Ich finde, der Artikel raunt etwas von Macht, von Macht im Allgemeinen (was soll das sein? - kulturelle Macht, ökonomische Macht, politische Macht, alles eine Soße?), von uns, den Menschen, von bestimmten Gruppen … usw. usw.. Wirklich was über reale Machtverhältnisse sagt er nichts.

  3. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor 4 Monaten

    "In jedem Fall handelt es sich um ein typisch amerikanisches Phänomen, das zudem von der konservativen Rechten gefördert wird."

    Ist das so? Ich habe den Eindruck, dass dies von Amerika ausgegangen ist. Aber klar auch ein linkes Phänomen darstellt. Auch wenn man das dort nicht gern hört …..

    1. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 4 Monaten

      bin ich auch gerade drüber gestolpert...ich ahne einen Übersetzungsfehler...checke das.

    2. Marcus von Jordan
      Marcus von Jordan · vor 4 Monaten

      @Marcus von Jordan "...das von der konservativen Rechten befeuert wird."
      So muss es heißen... sry.
      (Italienisch ist erstaunlich schwierig für uns bis jetzt.)
      Obs so ist - kann man geteilter Meinung sein.

    3. Stefanie Stocker
      Stefanie Stocker · vor 4 Monaten

      Das ist richtig. Es ist klar ein linkes Phänomen.
      Die konservative Rechte trägt dazu bei, dass die cancel culture zu einem "stehenden Begriff" geworden ist - peraltro montato (mitunter "aufgebaut/befördert") dalla destra conservatrice - (so im Sinne der Autoren des Textes).
      Insofern - danke für den Hinweis.

    4. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor 4 Monaten

      @Stefanie Stocker Danke für den Pick.

      Eine Anmerkung zum Wikipedia-Artikel:
      Im Original ist der englischsprachige verlinkt: https://en.wikipedia.o...
      In der Übersetzung auf den deutschsprachigen zu verweisen, ist gut. Das sollte besser als zusätzliche Quelle erfolgen - die Versionen unterscheiden sich in Nuancen, bei manchen Artikeln gibt es auch inhaltliche Differenzen.

      Interessanterweise greift miriconosci nicht auf die italienische Wikipedia zurück (https://it.wikipedia.o...), dort erschien der Artikel noch einige Monate früher als in deutscher und englischer Sprache. Was könnte der Grund sein?

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