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Literatur

Dieser Volkszähler

Dieser Volkszähler

Saša Stanišić
Mit slow erhitzten antiquarischen Stühlen jonglieren
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Saša StanišićDonnerstag, 31.08.2017

Ein Junge in einem entlegenen Bergdorf beobachtet, wie seine Mutter seinen Vater umbringt. Oder war es andersherum? Es war womöglich andersherum. Damit geht es los, gleich mit einer Verunsicherung, und das Verunsichertsein bleibt das Grundgefühl während der Lektüre. 

Jedenfalls ist die Mutter weg und der Vater noch da, und er wird wieder töten, Tiere werden es sein, der Junge wird ihn beobachten, und das ist ein verstörender doppelter Voyeurismus, dass der Sohn den Vater beim Mördersein beobachtet, und dass wir den Sohn beim Beobachten des Vatermörders beobachten, und die Verstörung ist das andere Grundgefühl während der Lektüre.

Der Vater ist Schlüsselmacher, die Menschen suchen ihn auf, wenn sie einen Schlüssel brauchen, er ist wohl gut in dem, was er tut, wobei nicht ganz klar wird, wofür seine Schlüssel gebraucht werden, so ist es bei Künstlern eben, man kann nur ahnen, was sie wollen, und was das, was sie erschaffen, bewirkt, glaubt aber immer zu wissen, ob sie es können, dieser hier also kann es, ein brutaler Mann, er wirft den ermordeten Hund in ein scheinbar bodenloses Loch, die "Abfallgrube", darin wohl endete auch die Mutter, vermutet der Junge, und Vermutungen und Unklarheiten und Ahnungen sind weitere Grunderfahrungen und Gefühle in dieser Lektüre. 

Niemals sieht der Junge denjenigen, der einen Schlüssel bestellt, ein zweites Mal. Etwas nicht sehen ist ein Grunderlebnis dieser Lektüre. 

Was der Junge sieht: Fledermäuse, die unter einer Brücke hausen und von den Kindern aus dem Dorf geangelt werden.

Das Haus einer alten Frau, in dem keine Möbel mehr sind, dafür ist es mit Geflügel vollgestopft, massenweise Geflügel, Küken, Hähne, größere Vögel.

Die Eidechse in einer Flasche, die zu groß ist, um durch den Flaschenhals hineingeraten sein zu können. 

Einen Dornbusch mit Beeren wie schwarzen Pupillen.

Den Vater, jeden Tag, denn der Junge muss weiter mit ihm leben, trotz der Anschuldigung, die er sogar dem Dorf gegenüber vorgebracht hat, dass der Vater also die Mutter auf dem Gewissen hat, aber das Dorf glaubt dem Vater, der behauptet, die Mutter sei abgehauen, den Vater muss also der Junge jeden Tag sehen, einen brutalen, herzlosen Mann, vor dem er Angst hat, existenzielle Angst, dem er Magie unterstellt, was für ein Druck, was für eine Hoffnungslosigkeit auch, denn es wird natürlich auch einen Fluchtversuch geben und der wird natürlich scheitern, und wie das so ist nach gescheiterten Fluchtversuchen, wenn man an den Ausgangsort, dem man entfliehen wollte, zurückkehrt: Alles ist noch mal schlimmer geworden, und dann klopft es eines Tages, Vater ist gerade nicht da, der Junge öffnet, und vor ihm steht 

dieser Volkszähler.

China Miéville heißt der Autor dieses Märchens, das verunsichert, ratlos macht und glücklich, die Übersetzung von Peter Toberg ist gut, irgendwann kauert der Junge am Rand der Abfallgrube, und was wird daraus emporklettern?

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