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Literatur

FRAUENWELTHERRSCHAFT

Quelle: PRIVAT

FRAUENWELTHERRSCHAFT

SABINE SCHOLL
Autorin
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SABINE SCHOLLMontag, 18.06.2018

Eines Tages – wir befinden uns in einer männlich dominierten Welt – entdecken und erwecken Frauen in ihren Körpern eine elektrische Kraft, mit der sie sich gegen Gewalt, Missbrauch und Unterdrückung wehren. Sie beginnen die Machtverhältnisse zu ändern, zuerst in den Familien und in der lokalen Politik. Eine Gruppe von Frauen in einem Nonnenkloster gestaltet den Wechsel auf spiritueller Ebene. Der Schwerpunkt der christlichen Religion verschiebt sich vom männlichen Gott auf die Muttergottes. Ein Ausgleich soll geschaffen werden, nicht eine Verdrängung des Männlichen.

Entscheidend für diesen Wandel ist auch eine geheimnisvolle Stimme, die der auserwählten Eve Anweisungen gibt. Eve trifft schließlich auf die stärkste Kriegerin Roxy, mit der zusammen sie die Herrschaft der Frauen etablieren will. „Die Gabe“ erreicht sogar extrem patriarchalisch regierte Länder, wie Saudi-Arabien oder einen sowjetischen Nachfolgestaat. Frauen erheben sich, kämpfen gemeinsam für Gerechtigkeit. Getötet wird anfangs nur aus Notwendigkeit, nicht aus Lust an der Gewalt.

Schritt für Schritt also scheinen in Naomi Aldermans Roman feministische Wunschvorstellungen erfüllt zu werden. Trotz der einfachen Sprache macht es durchaus Spaß, als Leserin an der umgekehrten Welt teilzunehmen.

Dann rüsten aber die Männer auf, wehren sich mit Gummizeug und stärkeren Waffen gegen die elektrischen Schläge. Es gibt Krieg, auch Sex wird jetzt gefährlich, denn wenn Frauen sich erregen, tritt die elektrische Kraft unkontrolliert hervor. Berauscht von ihrer Kraft vögeln sie die Sexpartner zu Tode.

Das neue Weltbild wird sogar in die Frühgeschichte der Menschheit rückprojiziert, Zeichnungen anthropologischer Fundstücke sind in den Text gestreut, die auf archaische Körperpraktiken verweisen, so etwa die Beschneidung des männlichen Lustorgans, der in der Realität außerhalb des Romans die Klitorisbeschneidung entspräche. Hier stellt sich bei der bloßen Vorstellung, dass es so etwas gäbe, ziemlicher Grusel ein. Und lesend wird man gewahr, dass man sich anscheinend an das Wissen um tatsächliche – an Frauen begangene – Grausamkeiten längst gewöhnt hat.

In der Folge wird „Die Gabe“ immer kriegerischer. Demütigung und Ausgrenzung von Männern nehmen überhand. Sie verlieren ihre Bürgerrechte, müssen einen weiblichen Vormund haben, um in der Außenwelt zu agieren, sozusagen die geschlechterverkehrte Version saudi-arabischer Verhältnisse. Das ist etwas enttäuschend, weil vorhersehbar und schade, dass es keine dritte Denkmöglichkeit gibt.

Andererseits ruft die Lektüre eigenartige Reaktionen hervor. Offenbar wundere ich mich über Frauen einschränkende Maßnahmen nicht mehr. Betrifft diese Praxis jedoch Männer, spüre ich als weibliche Leserin Mitleid. Dann wieder erinnere ich mich daran, dass es von männlicher Seite ja bislang ohne Widerrede akzeptiert wurde, wenn Menschen, die Partnerinnen sein könnten, ständig in die Position von Minderbewerteten gezwungen werden. Mein Miterleben bleibt also ambivalent. Und das ist – trotz der etwas groben Mittel, die die Autorin anwendet – dann doch ein erstaunlicher Effekt.

Das Geschehen bettet sie in eine Rahmenerzählung, die vorgibt, dass der Roman von einem Mann verfasst wurde. So werden zusätzlich ungleiche Geschlechterverhältnisse im Literaturbetrieb gespiegelt, indem eine maternalistische Verlegerin die männliche Perspektive des Erzählers anmahnt und als problematisch bezeichnet. Sie rät ihm, das Buch unter weiblichem Pseudonym zu veröffentlichen, damit es besser verkäuflich wird.

Alles in allem ist die Lektüre des Romans, dessen englischsprachiger Titel übrigens als Spiel zwischen den Bedeutungen Macht und Strom „The Power“ lautet, ein spannendes Denkexperiment, das die Autorin gut nachvollziehbar inszeniert. Als Patin wird in der Danksagung noch die Meisterin der feministischen Science Fiction Margret Atwood genannt.

Naomi Alderman: Die Gabe, Heyne-Verlag, München 2018

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