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Technologie und Gesellschaft

Wie die Zerrspiegel-Fabrik Social Media unsere Normen verändert

René Walter
Grafik-Designer, Blogger, Memetiker | goodinternet.substack.com

Irgendwas mit Medien seit 1996, Typograph, Grafiker, Blogger. Ask me anything.

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René WalterSamstag, 19.10.2024

Die Psychologen Claire E. Robertson, Kareena S. del Rosario und Jay J. Van Bavel veröffentlichten grade ein neues Paper darüber, wie die "Funhouse Mirror Factory" Social Media die Wahrnehmung sozialer Normen verändert.

Die Wissenschaftler fanden in ihren Studien, dass "während nur 3% der aktiven Accounts als toxisch deklariert werden können, diese 33% des gesamten Contents produzierten. Außerdem beginnen 74% aller Konflikte online in nur 1% aller Communitys, und 0,1% aller User teilen 80% an Desinformation." 

Das Paper fügt sich nahtlos in einer Reihe von wissenschaftlichen Untersuchungen zu den sogenannten "Superspreadern" von Desinformation. So waren etwa während der Corona-Pandemie grade einmal 12 Impfgegner -- das sogenannte "Desinformation Dozen" -- für rund zwei Drittel aller Desinformationskampagnen verantwortlich, und nur ein kleiner Zirkel einflussreicher rechter Accounts schaffte es vor vier Jahren erfolgreich, die Lüge von angeblichen Manipulationen der US-Wahl 2020 als Talking Point zu etablieren.

Die Folge: 

False norms emerge, in part, because social media is dominated by a small number of extreme people who post only their most extreme opinions, and do so at a very high volume–often posting dozens of times more than others, while more moderate or neutral opinions are practically invisible online.

Der Kulturwissenschaftler und Netzdenker Dr. Michael Seemann kommentiert das Paper in seinem unbedingt empfehlenswerten Newsletter, stimmt der Bestandsaufnahme insgesamt zu, stört sich aber zurecht an dem Begriff "False Norms": "Wieso sollten die auf Social Media eingeübten Normen 'fake' sein? Sie sind nicht 'fake' im Kontext der Leute, die so sprechen. Diese Normen mögen weit weniger weit verbreitet sein, als Menschen auf Social Media denken, aber was da wächst, ist real und setzt bereits ganz materielle Gewalt in die Welt."

Deshalb ist meine Textempfehlung zum Paper ein 7 Jahre alter Text im New Yorker darüber, wie sich soziale Normen verändern. Anhand vieler Beispiele, von Nazi-Graffito in Brooklyn bis zum Genozid in Ruanda, beschreibt der Artikel von Maria Konnikova, wie sich soziale Normen eben nicht einfach so durch soziale Magie und Schwarmverhalten ändern, sondern dass immer einige wenige autoritativ wahrgenommene Player maßgeblich zu einer Verschiebung gesellschaftlicher Normen beitragen. Und diese Normen sind immer real, ganz egal, ob sie zu gesellschaftlicher Solidarität und Emanzipation beitragen, oder eben schlimmstenfalls zu Gewalt und Pogromen führen. Oder dazu, dass rechte Politiker in den USA die Katastrophenhilfe nach zwei Hurricanes behindern, in dem sie haarsträubende Verschwörungstheorien streuen, was Barack Obama in einer Rede zum Anlass nimmt, eine einfache Frage zu stellen: "When did that become okay?"

"It became okay" als eine relativ kleine Anzahl rechter Superspreader seit rund zehn Jahren neue Normen innerhalb der konservativen Gemeinschaft etablierten, laut denen es schlichtweg "okay" ist, Desinformation als Mittel zum Zweck zu verbreiten, selbst wenn es Leben während Extremwettersituationen kostet oder Migranten in Springfield terrorisiert. Diese Normverschiebungen sind eine direkte Folge einer Aufmerksamkeitsökonomie, die extremistische Akteure mit Macht und Einfluss belohnt.

Wie die Zerrspiegel-Fabrik Social Media unsere Normen verändert

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