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Kurator'in für: Technologie und Gesellschaft Medien und Gesellschaft Klima und Wandel
Irgendwas mit Medien seit 1996, Typograph, Grafiker, Blogger. Ask me anything.
Während in Deutschland ein Gericht gerade einen Klima-Aktivisten der Letzten Generation zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilte, berechnete eine neue Studie die Anzahl der Toten in Europa, die Hitzewellen zum Opfer fielen, auf rund 50.000. Diese bedrückende Zahl ist laut Studie nur die zweithöchste im Berechnungszeitraum von 2015 bis 2023 und wird nur von den Sterbestatistiken des Jahres 2022 übertroffen.
Die Forscher von World Weather Attribution berechneten neulich die Wahrscheinlichkeit dieser tödlichen Hitzewellen jüngerer Zeit und kamen zu dem eindeutigen Ergebnis, dass die Hitzewellen im Rahmen der Erwartungen der IPCC-Klimaberichte liegen und ohne anthropogenen, also menschengemachten Klimawandel in den USA und Europa praktisch unmöglich und in China nur alle 250 Jahre auftreten würden. Unsere Klimawandel-gedopten Hitzewellen treten allerdings alle 15 Jahre in den USA, alle 10 Jahre in Europa und alle 5 Jahre in China auf. Ein Großteil der 50.000 Hitzetode aus dem Jahr 2023 und der 60.000 Hitzetode aus dem Jahr 2022 können demzufolge also direkt auf den menschengemachten Klimawandel zurückgeführt werden.
Die Forschungsorganisation World Weather Attribution wurde im Jahr 2014 von Friederike Otto gegründet, die auch als Leitautorin an den IPCC-Berichten beteiligt ist und die das noch junge Feld der Zuordnungsforschung maßgeblich mitbegründete. Die Zuordnungsforschung untersucht die Gründe für Extremwetterkatastrophen und von welchen Klimaveränderungen sie ausgelöst werden. Eine schwierige statistische Aufgabe, die oft an unzureichendem Datenmaterial grade aus dem globalen Süden scheitert. Was uns zum eigentlichen Pick bringt.
Jonathan Watts und Isabella Kaminski haben Friederike Otto für den englischen Guardian interviewt und schreiben in ihrem Text über das (eigentlich nicht) neue Phänomen der "Heat Inequality", also Hitzetode in ärmeren Ländern, die in Statistiken nicht auftauchen und deshalb das tatsächliche Ausmaß der bereits heute durch anthropogenen Klimawandel geforderten Todesopfer verzerren:
„Heatwaves are the deadliest type of extreme weather but they don’t leave a trail of destruction or striking images of devastation. They kill poor, lonely people in rich countries, and poor people working outdoors in developing countries“, said Otto, who is also a senior lecturer in climate science at the Grantham Institute of Imperial College London. „In the last 13 months, there will be thousands and thousands of stories of poor people dying in heat that will never be told.“
António Guterres, Generalsekretär der UN, warnte noch im Juli vor dem "rapiden Anstieg in Ausmaß, Intensität, Anzahl und Dauer von Extremhitze-Events", die Schätzungen zufolge "eine halbe Million Menschen pro Jahr töten (...), rund 30-mal mehr als tropische Wirbelstürme". Eine erschreckende Zahl, die noch erschreckender wird, wenn man sie in den Kontext der Attributionsforschung und den Aussagen von Friederike Otto setzt.
Die Pionierin der Attributionsforschung ist ebenfalls Autorin des hervorragenden Buches "Klimaungerechtigkeit: Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat", das ich jedem empfehlen möchte, vor allem wenn man (wie ich) den Klimawandel (bislang) primär als physikalisch-ökonomisches Problem betrachtet, das zuvorderst durch Politik, Gesetze und Engineering gelöst werden muss. Denn die unsichtbaren Hitzetode aus dem globalen Süden sind nur eine von vielen Facetten einer Klimagerechtigkeit, die Erleichterungen für die Anpassung ärmerer Länder an den Klimawandel fordert. Grade hinsichtlich der Tatsache, dass der Klimawandel nicht nur menschengemacht, sondern ganz konkret von Kolonialmächten und dem industrialisierten Westen in den zwei vergangenen Jahrhunderten erst auf den Weg gebracht wurde, sind solche Forderungen nach Ausgleichszahlungen für diese Anpassungen zwingend.
Denn die nächste Hitzewelle kommt bestimmt: Eine Projektion der bekannten Klimaforscherin Makiko H. Sato (aus diesem PDF) zeigt, dass die derzeit beginnende El Nina-Phase in den folgenden drei bis vier Jahren nur zu einer planetaren Abkühlung auf rund 1.4°C über dem vorindustriellen Zeitalter führen könnte -- mit einer folgenden El Nino-Phase die ganz sicher weit, weit darüber liegen wird. Das Abstract von Satos Paper schließt mit den Worten: "it will be clear that the world is passing through the 1.5°C ceiling, and is headed much higher".
Angesichts dieser Aussichten ist es eine Farce, Klimaaktivisten zu Jahren im Gefängnis zu verurteilen, während die Verantwortlichen wortwörtlich Geld und Öl auf Kosten der gesamten Menschheit verbrennen. Die tatsächliche drängende juristische Frage, die sich Rechtsphilosophen und Gerichte stellen müssen, ist nicht die nach der Hafthöhe harmloser Klimakleber, sondern im Sinne der Klimagerechtigkeit: "Climate Change Is Killing People. Could Fossil Fuel Companies Be Held Criminally Responsible?" Und sollte man Petro-States mit juristischen Mitteln dazu zwingen, die Adaption des globalen Südens an den Klimawandel zu finanzieren? Die Antwort einer Gesellschaft, die Klimagerechtigkeit zu ihren Werten zählt, kann in beiden Fällen nur "Ja" lauten.
Quelle: Jonathan Watts and Isabella Kaminski Bild: Guardian Design EN www.theguardian.com
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Danke.
Ergänzend zum Thema Umwelt-/Klimagerechtigkeit und Klimawandel zwei Picks mit weiteren Links: https://forum.eu/klima...
und hier das lange ZEIT-Gespräch mit Friederike Otto, in dem sie nicht nur die Attributionsforschung anschaulich erklärt, sondern auch das Grundproblem des Klimawandels benennt: die Zerstörung der Lebensgrundlagen armer Menschen. https://forum.eu/klima...
Nicht zuletzt noch ein hochinteressanter Artikel aus dem Standard (2023) über das Zusammenwirken der Erderwärmung mit den natürlichen Wetterphänomenen El Niño und La Niña:
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Innsbrucker Geologen fand in Ablagerungen aus Höhlen im Südosten Alaskas Hinweise auf den Einfluss des menschengemachten Klimawandels. Betont wird die Notwendigkeit weiterer Forschung. https://www.derstandar...
und Uni Innsbruck: https://www.uibk.ac.at...
Vielleicht mal das ganze Bild ins Auge fassen: "Cold-related deaths outnumber heat deaths in all countries"
https://ourworldindata...