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Technologie und Gesellschaft

Beautiful Lies: Nicholas Carr über Deepfakes und Wahrheit

René Walter
Grafik-Designer, Blogger, Memetiker | goodinternet.substack.com

Irgendwas mit Medien seit 1996, Typograph, Grafiker, Blogger. Ask me anything.

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René WalterDienstag, 07.12.2021

Nicholas "Is Google making us stupid" Carr schreibt in einem sehr schönen Review auf LA Review of Books über zwei Neuerscheinungen, die sich mit synthetischen Medien und Fake News auseinandersetzen. Im Review dringt er zum Kern des Problems unseres digitalen Zeitalters vor: Alleine die Manipulations-/Editierfähigkeit digitaler Inhalte genügt bereits, um die Wahrnehmung der Realität ins Wanken zu bringen und jede Information mit dem Verdacht der Fälschung zu belegen. Jeder Inhalt, jeder Tweet, jedes Bild erscheint "prä-real", eine Art perzeptive Quantenlogik, laut der jede digitale Information wahr sein kann oder auch nicht. Das Meme "Not sure if serious or trolling" bildet dieses Dilemma der digitalen Welt ab since 2011.

Für "The Book of Veles" reiste der Fotojournalist Jonas Bendiksen nach Mazedonien, um die Ortschaft zu fotografieren, in der eine Bande Jugendlicher weltweit Aufsehen erregte, weil sie die digitalen Möglichkeiten des Publishings dazu nutzten, um mit polarisierenden, gefälschten Nachrichten das linksliberale Establishment zur Weißglut zu bringen und damit jede Menge Geld zu verdienen. Aus den Bildern bastelte er dann mithilfe von 3D-Programmen und Photoshop gefälschte Fotografien und begleitete sie mit AI-generierten Texten über das Wesen von Wahrheit und Fotografie.

Carr zitiert in seinem Review Susan Sontags prägenden Essay "On Photography", in dem sie beschreibt, wie Fotografien einen gesellschaftlichen Konsens darüber herstellten, was real ist und was nicht, indem sie "Beweise" für Realität produzieren, völlig unabhängig von tatsächlichen Bildmanipulationen, die es natürlich gibt, seit es die Fotografie gibt.

Weiter beschreibt Carr, wie digitale Technologie und die Demokratisierung der Manipulationstechnologien (Foto-Retusche war bis vor 20 Jahren ein lernbarer Beruf mit hochspezialisierten Skills, heute ist es eine Kulturtechnik des Mainstreams) genau diesen gesellschaftlichen Konsens zerstören, in dem sie alle digitalen Inhalte unter Generalverdacht stellen und so zu einer Art informatorischen Uncanny Valley führen, in dem "nichts real und alles möglich" erscheint und in dem mit Verschwörungsphänomenen eine neue, digitale Form mythischer Fiktion erscheint, die Welt der berühmt-berüchtigten "alternative Facts".

Die Fotografie, ihrer realitätssichernden Funktion beraubt, wird im digitalen Zeitalter zu einem Äquivalent der Malerei, die fiktive Räume abbildet und eine Art Hyper-Realität "tieferer Wahrheiten" unabhängig von ihrem Realitätsgehalt erzeugt. Das einzige, was über die Gültigkeit dieser Wahrheiten entscheidet, ist der Glaube. Genau deshalb werden die sogenannten "Kulturkriege" mit aller Härte auf diesem "Schlachtfeld der Fiktionen" in den sozialen Medien geführt. 

Beautiful Lies: Nicholas Carr über Deepfakes und Wahrheit

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