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Volk und Wirtschaft

Deutschlands Kotau vor China

Project Syndicate
The World's Opinion Page
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Project SyndicateDonnerstag, 11.11.2021

Wir veröffentlichen regelmäßig Übersetzungen ausgewählter Meinungsstücke von Project Syndicate. Diese sind zunächst als Service-piqs exklusiv für unsere Mitglieder zugänglich.

Deutschland ist zu stark abhängig von seinen Exporten nach China, als dass eine härtere Linie gegenüber der erschreckenden Menschenrechtsbilanz des kommunistischen Regimes eingeschlagen werden könnte. Auch unter Sozialdemokrat Olaf Scholz, dem wahrscheinlich zukünftigen Bundeskanzler, ist es unwahrscheinlich, dass sich Deutschlands eher autoritär-freundlicher, politischer Kurs gegenüber China ändert.

Melvyn B. Krauss ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften an der New York University.

Kotau: "Mit Kotau (chinesisch 叩頭 / 叩头, Pinyin kòutóu, auch 磕頭 / 磕头, kētóu – „Kopf stoßen“) bezeichnet man den ehrerbietigen Gruß im Kaiserreich China." (Wikipedia, Anmerkung der piqd-Redaktion)

STANFORD – Grüne und Freie Demokraten, die Königsmacher der künftigen deutschen Drei-Parteien-Regierung, sprechen sich dafür aus, China für seine Menschenrechtsverstöße in Xinjiang und das brutale Vorgehen in Hongkong stärker zur Rechenschaft zu ziehen. Trotzdem wird sich die regimefreundliche Chinapolitik des Landes sehr wahrscheinlich auch dann nicht ändern, wenn der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Olaf Scholz die scheidende Kanzlerin Angela Merkel beerbt hat.

Deutschland ist schlicht zu abhängig von Exporten nach China, um die verheerende Menschenrechtslage des Landes ernsthaft anzuprangern. Eines von drei deutschen Autos wird in China gekauft. 2019 setzte Volkswagen fast 40 % aller Fahrzeuge und Mercedes-Benz rund 700.000 Pkw in dem Land um. Selbst in ihrer eigenen CDU kritisieren viele, Merkel habe zu wenig getan, um zu verhindern, dass deutsche Exporte, Arbeitsplätze und Einkommen so sehr von China abhängen.

Ein altes Sprichwort sagt: Schuldest du der Bank eine Million, gehörst du der Bank, schuldest du ihr eine Milliarde, gehört sie dir. Analog könnte man sagen, die deutsche Außenpolitik "gehöre" China, weil die deutsche Wirtschaft so exportabhängig ist. Deutschland exportiert, und alle, die vom chinesischen Regime verfolgt werden, müssen dafür zahlen.

Ironischerweise schadet Deutschlands versöhnliche Chinapolitik aber auch der deutschen Wirtschaft, weil sie Ressourcen, die in den von Merkel vernachlässigten Bereichen der staatlichen Investitionen, digitalen Technologien und Umweltschutz produktiver eingesetzt werden könnten, im Exportsektor bindet. Für Wettbewerb und Wohlstand im 21. Jahrhundert braucht Deutschland eine hoch technologische, digitale und grüne Wirtschaft. Ihre pro-chinesische Politik folgt dagegen einem veralteten merkantilistischen Modell. Die Grünen haben die Nachteile der Rolle Deutschlands als "Exportweltmeister" längst erkannt. Scholz jedoch setzt Berichten zufolge ebenfalls auf enge wirtschaftliche Beziehungen zu China und wird vermutlich gemeinsam mit den starken deutschen Gewerkschaften und traditionellen Unternehmerinteressen für den Status quo werben.

Seit der chinesische Präsident Xi Jinping immer aggressiver auftritt, zwingt der Kotau der deutschen Regierung vor China ihre Partner in der Europäischen Union dazu, sich zwischen der europäischen und der transatlantischen Einigkeit zu entscheiden – und riskiert damit auch ein Zerwürfnis innerhalb der EU. Die Mitgliedstaaten, die zum Wohle der europäischen Solidarität Deutschland unterstützen, ziehen womöglich den Zorn der USA auf sich, die unter Präsident Joe Biden alles daransetzen, China wirtschaftlich und geopolitisch zu übertrumpfen.

Ende 2020 beispielsweise entschied sich Frankreich für europäische Harmonie, als es entgegen den Wünschen des außenpolitischen Übergangsteams des gewählten Präsidenten Biden, Merkels geliebtes Investitionsabkommen zwischen der EU und China unterstützte (das vom Europäischen Parlament später blockiert wurde). Frankreich musste vielleicht bereits dafür bezahlen, dass ihm die Einheit Europas wichtiger war als das transatlantische Bündnis. Die USA, das Vereinigte Königreich und Australien haben inzwischen ihr neues Sicherheitsabkommen AUKUS vorgestellt, durch das Frankreich einen fast 100 Milliarden Dollar teuren Vertrag zur Lieferung konventionell angetriebener französischer U-Boote an Australien verloren hat. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian bezeichnete Australiens Entscheidung, das Abkommen mit Frankreich zu brechen und lieber im Rahmen von AUKUS atomar angetriebene U-Boote zu bestellen, als „Messerstich in den Rücken“. Die Angelegenheit hatte zwischenzeitlich zu schweren Verwerfungen zwischen Frankreich und den USA geführt, von denen vor allem China profitiert.

Inzwischen haben der französische Präsident Emmanuel Macron und Biden ihre Differenzen am letzten Abend des G20-Gipfels in Rom beigelegt. In einem persönlichen mea culpa nannte Biden die Art und Weise, in der das U-Boot-Abkommen zu AUKUS eingefädelt und präsentiert wurde "ungeschickt. Außerdem sagte Biden Macron Berichten zufolge unter vier Augen Unterstützung für eines seiner Lieblingsprojekte für mehr "strategische Autonomie" zu – unabhängige und gemeinsame europäische Streitkräfte, die das stabile Engagement Frankreichs (und Europas) in der NATO ergänzen.

Diese Wiederannäherung zwischen Frankreich und Amerika kommt zu einer Zeit, in der liberale Demokratien ihre Sicherheitsstrategie und die Rolle der NATO neu bewerten. Auf der einen Seite wirbt Macron für seine Vision der strategischen Autonomie, die inzwischen zumindest teilweise von den USA unterstützt wird. Auf der anderen Seite steht der Vorschlag zur Diskussion, das Mandat der NATO auf Asien auszudehnen.

Würde das Einsatzgebiet des Bündnisses tatsächlich ausgedehnt, liefe Deutschlands prochinesische Außenpolitik gegen die Interessen der NATO und Deutschland stünde unter institutionalisiertem Druck, diese Politik aufzugeben. Außerdem böte ein erweitertes NATO-Mandat Europa einen legitimen Grund, im Pazifik systematischer mit den USA und deren Verbündeten (Australien, Japan und Südkorea) und Partnern (vor allem Indien) in der Region zusammenzuarbeiten. Eine solche Integration würde womöglich sogar die Chance auf andere Waffenlieferungen eröffnen, vor allem an Länder, die nicht vorhaben, atomare Systeme zu kaufen oder ihre atomaren Fähigkeiten auf die strategische Abschreckung zu beschränken.

Deutschlands langjährige Speichelleckerei hat dazu beigetragen, dass China sich auch bei schweren Menschenrechtsverletzungen unantastbar fühlt. Sie hat Deutschlands Merkantilismus gestärkt und für Spannungen innerhalb des transatlantischen Bündnisses gesorgt. Aus all diesen Gründen braucht die deutsche Außenpolitik in der Nach-Merkel-Zeit eine neue Ausrichtung. Scholz und seine Koalitionspartner sollten diese Kurskorrektur schnellstmöglich einleiten.

Deutschlands Kotau vor China

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