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Literatur

Die Farbe des Heiligen

Quelle: M.Taussig: What Colour is the Sacred.

Die Farbe des Heiligen

Monika Rinck
Autorin
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Monika RinckFreitag, 05.02.2016

Das jeansblaue Kleid, die tintigen Finger, der blauviolette Punkt an der Unterlippe des vergifteten Kopisten, der Austausch, all die transportierten Stoffe, die Riten, die Tabus, das Singen obszöner Lieder, die bei der Gewinnung von blauer Farbe aus Indigo unabdingbar waren. Sie kreisen. Sie kreisten, so dass alles, was ultramarin war, bis 1830, als seine industrielle Produktion erfunden wurde, aus Afghanistan kam, afghanischer Lapislazuli.

„What Colour is the Sacred“, fragt der australische Anthropologe Michael Taussig und es scheint, dass die Farbe des Heiligen einem tiefen Blau nahekommt, es handele sich dabei um eine polymorph-magische Substanz, schreibt er. Die Begeisterung für Farben, so Goethe, sei etwas, das Menschen im Naturzustand befalle, darunter Frauen aus südeuropäischen Ländern, Wilde und Kinder. Der zivilisierte Mensch sehe davon ab. Dagegen aber die farbstarken, quasi kriegsbemalten Uniformen der Soldaten. Zurzeit der Napoleonischen Kriege wurden in der französischen Kolonie Haiti 1800 Sklavenplantagen zur Herstellung von Indigo unterhalten, 150 Tonnen Indigo für 600.000 Uniformen der Grande Armée. Es waren Farben und Stoffe, die mit Gewürzen im Dreieckshandel um Gold und Sklaven kreisten.

Gegen die bei der langwierigen Fertigung der Farbe entstehenden Gifte nütze ein Glas Milch, quasi farbtherapeutisches Antidot. Oder man stellte ein hartgekochtes Ei neben das Becken, in dem die Arbeiter bis zum Brustbein standen, mit Paddeln auf den Sud einschlugen, und als man es pellte, fand man ein tiefblaues Dotter vor. Auf Ibiza versuchte Walter Benjamin 1933 unter der Zuhilfenahme von Haschisch dem Sinn der Farben näherzukommen, die Farben wiederum kamen zu ihm wie Tiere, atmeten, sträubten sich und wälzten sich auf die andere Seite. Burroughs unternahm Farbgänge, so genannte Colorwalks, und erfreute sich in Kolumbien an den blaustichigen Halluzinationen, die ihm durch den Konsum von Yagé, einem halluzinogenen Pflanzensud aus der Liane Banisteriopsis caapi und Blättern des Kaffeestrauchgewächses Psychotria viridis beschert wurden. Und der polnische Sozialanthropologe Bronisław Kasper Malinowski verbrachte aufgrund einer Augenkrankheit seine Jugend in einem abgedunkelten Zimmer, in dem seine Mutter ihm, um seine Augen zu schützen, alles vorlas, was er wissen musste.

Damit will ich es einstweilen genug sein lassen. Zum Schluss: Das Buch „What Colour is the Sacred“ ist seinerseits ein Colorwalk, ein Herumstreifen – und ist ganz der Schreibweise des Nervensystems verpflichtet, die Michael Taussig der immerzu auf Weiterverwertung schielenden agrar-industriellen Schreibweise entgegensetzt. Das ist gut.

Michael Taussig: What Colour is the Sacred. University of Chicago Press. 2009.

Hier, das Inhaltsverzeichnis: bit.ly/20KVfZG

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