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Literatur

Vom Nachleben Thomas Manns

Vom Nachleben Thomas Manns

Knud von Harbou
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Knud von HarbouDienstag, 12.01.2016

Eigentlich, sollte man denken, ist zu Thomas Mann alles gesagt worden. Akribisch wurde sein Leben, jeder Brief, jede Tagebuchaufzeichnung untersucht. Stolz begann sich die Germanistik zurückzulehnen nach Abertausenden von beschriebenen Seiten. Doch 1943 findet sich bei Mann im Zusammenhang mit seinem aktuellen Romanprojekt „Doktor Faustus“ der Hinweis, dass er „mit rechter Hand“ schreibe, „mit der linken unermüdlich Steine in Hitlers Fenster (werfe) … Aber die eine weiß, was die andere tut“. Offenkundig interessierte sich die Literaturwissenschaft nur für die rechte Hand, zu pfuideifelig erschien der hehren Mannologie die linke Körperhälfte. Denn mit den „Steinen“ waren die 59 Radiobotschaften an die „deutschen Hörer“ gemeint, die er zwischen 1940 und 1945 für die englische BBC verfasste.

Als Autor und Sprecher den Vorzug vor anderen prominenten deutschen Exilanten wie Albert Einstein, Marlene Dietrich nutzend, versuchte er mit einer politisch aufrüttelnden Argumentation, die Deutschen zu einer Auflehnung gegen das NS-System zu bewegen. Dabei scheute er vor keiner direkten Konfrontation mit Hitler zurück, genussvoll beleidigte er „den Führer“ als „dumme Kröte“, „lichtlose Lügenseele“, „blödsinniger Wüterich“. Hätte Thomas Mann gewusst, das immerhin 25 Prozent deutscher Radiohörer ihm heimlich zuhörten, wer weiß, wie weit er noch gegangen wäre. Obwohl seine expliziten Hinweise Ende September 1941 auf die Verfolgung und Ermordung der Juden bekannt waren, er die Bombardierung seiner Heimatstadt Lübeck als „göttliche Vergeltungsaktion“ akzeptierte – was ihm nach dem Krieg heftig vorgehalten wurde – er sich 1943 unmissverständlich zu einer Mitschuld des deutschen Volkes an den NS-Verbrechen bekannte, hielt man derlei keiner eigenen Untersuchung in der Mann-Forschung für wert. Noch in den neunziger Jahren tat man seine Botschaften als „Besserwisserei“, „Predigten“, „absolute Missgriffe“ ab, stempelte ihn als politisch dilettierenden Schriftsteller ab. Insofern teilte die Germanistik aus der Position einer ideologiefreien Ästhetik die Aversion, die Mann besonders nach dem Krieg entgegenschlug. Man war froh, sich diesen Nestbeschmutzer vom Hals zu halten. Eine jetzt erschienene Untersuchung räumt mit einer politischen Analyse seiner BBC-Rundfunkansprachen gründlich mit diesen Vorurteilen auf (Sonja Valentin: „Steine in Hitlers Fenster“. Thomas Manns Radiosendungen Deutsche Hörer! 1940 – 1945. Wallstein Verlag, Göttingen 2015) und lässt den Demokraten Mann überzeugend in einem anderen Licht erscheinen.


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Kommentare 1
  1. Frederik Fischer
    Frederik Fischer · vor fast 9 Jahre

    Ein ganz ausgezeichnetes piq-Debüt! Vielen lieben Dank!
    Wieso gibt es eigentlich Retro-Wellen für alles außer für Schimpfwörter? Ich plädiere für eine Rückkehr von "dumme Kröte", "lichtloser Lügenseele" und "blödsinnigem Wüterich" in den deutschen Sprachgebrauch!

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