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Europa

Nach dem Urteil gegen Ratko Mladić: Wer sind die Sieger, wer die Verlierer?

Keno Verseck
Journalist

geb. 1967 in Rostock, freiberuflicher Journalist mit Schwerpunkt Mittel- und Südosteuropa.

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Keno VerseckDonnerstag, 23.11.2017

Lebenslänglich. Ratko Mladić hat in Den Haag das erwartbare und nach den Maßstäben demokratisch-rechtsstaatlicher Verhältnisse einzig akzeptable Urteil für Verbrechen bekommen, für die es kein angemessenes und gerechtes Urteil geben kann. Mit diesem letzten erstinstanzlichen Urteil geht auch die Arbeit des Internationalen Strafgerichtes für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) zuende (nächste Woche verkündet das ICTY noch ein letztes Berufungsurteil). Viele Fragen bleiben, über die in den ehemaligen jugoslawischen Republiken nicht über Jahre, sondern noch über Jahrzehnte erbittert gestritten werden wird. Nicht nur: Hat das ICTY gerechte Urteile gefällt, wie lautet seine Bilanz und was ist sein Beitrag zur Aufarbeitung der Kriegsvergangenheit? Sondern vor allem: Gibt es eindeutige Opfer, eindeutige Täter der Kriege im ehemaligen Jugoslawien, wer sind die Sieger, wer die Verlierer? Der hierzulande eher wenig bekannte bosnische, in Belgrad lebende und vor allem in Serbien populäre Schriftsteller, Essayist und Journalist Muharem Bazdulj beantwortet diese und andere Fragen in einem Interview der FAZ mit großer Differenziertheit und dabei in bewunderswerter Kürze. Manche seiner Beobachtungen sind lakonisch und zugleich unerhört schmerzhaft:

Was mich immer wieder verblüfft: Die meisten Opfer der jugoslawischen Kriege scheinen es natürlicher zu finden, sich mit den Tätern des eigenen als mit den Opfern des anderen Volkes zu identifizieren. Als wenn sie den Bruder im eigenen Volk leichter erkennen als den Bruder im Leiden.

Nach dem Urteil gegen Ratko Mladić: Wer sind die Sieger, wer die Verlierer?

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Kommentare 5
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 7 Jahren

    Der Prozess war wichtig für die Wahrheitsfindung, das Urteil ist gerecht. Aber: Da die Prozesse insgesamt eine einseitige antiserbische Komponente hatten, wird der Opfermythos fortgeschrieben werden.
    Das ist schlecht für den Westbalkan, aber auch für das gesamte Europa. Wahrscheinlich wird Südosteuropa, wirtschaftlich schwach, politisch uneinig, nicht zum sprichwörtlichen Pulverfass (was es höchst selten war) mutieren, aber zu einer gefährlichen Lunte.

    1. Keno Verseck
      Keno Verseck · vor 7 Jahren

      Hallo Achim, danke für Deinen Kommentar. Was würdest Du als Argument für die einseitige antiserbische Komponente des ICTY anführen? So besagt es auch die offizielle serbische Sichtweise, die sich im Wesentlichen auf Zahlen stützt, also wieviele Serben, Kroaten etc. angeklagt/verurteilt/freigesprochen wurden. Ich kann das so nicht erkennen. Die jugoslawische Volksarmee bzw. ihre serbischen Nachfolger haben mit Abstand die meisten Verbrechen begangen, daher erklärt sich die höhere Zahl der Anklagen. Anderseits gab es skandalöse Freisprüche für alle Seiten: Serben, Kroaten, Bosnier und Kosovo-Albaner. Insgesamt denke ich bedarf es einer großangelegten zukünftigen Forschungsarbeit, die nüchtern und sachlich herausarbeitet, in welchem Maße der ICTY politisch gehandelt hat oder beeinflusst war, warum es zu skandalösen Fehlurteilen kam, wo der ICTY Fehler begangen hat und ob es tatsächlich eine verstärkt antiserbische Komponente gab. Nochmals: Bis jetzt ist das m.E. lediglich ein für das offizielle Serbien bequemer, aber nicht belegter Vorwurf.

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 7 Jahre

      @Keno Verseck Hallo Keno,
      von der Anzahl der Verbrechen hast Du recht. Mir ging es auch weniger um die Prozesse im engeren Sinne, sondern um die weichen Faktoren (Berichterstattung, Wirkung).
      Nach meinen Beobachtungen geht dieser Vorwurf weit über das offizielle Serbien hinaus. Der kritische Dragan Velikic erzählte, dass vor seinen Lesungen in den 1990er Jahren immer hingewiesen worden sei, er wäre in Kroatien aufgewachsen. Erst schwieg er, schließlich sagte er, der Grund sei, sein Vater war ein kommunistischer Offizier der jugoslawischen Volksarmee. Seitdem wurde seine Kindheit in Kroatien nicht mehr erwähnt.
      Bei der Arbeit an diesem Buch http://www.suhrkamp.de...
      hörte ich vergleichbares auch von zufälligen Gesprächspartnern in Serbien.
      Ich fragte in meinem deutschen Umfeld (2006/7): Jeder kannte serbische Kriegsverbrechen, kein Fachfremder solche von anderen. Da beim Kosovokrieg 1999 eine Zustimmung der Bevölkerung gewünscht war, gab es eine antiserbische Stimmung, die nachwirkt.
      Viele, gefühlt alle, deutsch verstehenden Serben fragten, ob ich diese Doku kenne:
      https://www.youtube.co...

    3. Keno Verseck
      Keno Verseck · vor fast 7 Jahre

      @Achim Engelberg Hallo Achim, der Film, den Du erwähnst, war schon bei seiner Ausstrahlung umstritten. Er stützt eine zurechtgebogene These (der Kosovo-Krieg des Westens als antiserbische Strafaktion, legitimiert mit erfundenen Verbrechen an Kosovo-Albanern) auf sehr dünne angebliche Beweise. Die vermeintlich antiserbische Haltung der internationalen Gemeinschaft bzw. des Westens ist ein riesiges Thema, über das seit Jahrzehnten debattiert wird. Ich halte das, bei aller Komplexität, eher für einen Mythos. Vielleicht nur soviel: "Der Westen" hat in den Jugoslawien-Kriegen gegenüber Serbien bzw. Milosevic doch oft die Augen zugedrückt und macht es auch heute noch. Jahrelang wurden Karadzic und Mladic nicht ernsthaft gesucht, heute ist Vucic der wichtigste Partner Angela Merkels auf dem Westbalkan, und die Akteure des Berlin-Prozesses handeln in ihrer Westbalkan-Politik vielfach nicht danach, was sie selbst an rechtsstaatlichen und demokratischen Zielen für die Region vorgeben, sondern danach, was die Realpolitik gerade erfordert.

    4. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 7 Jahre

      @Keno Verseck Hallo Keno,
      in vielem bin ich einverstanden, aber
      umstritten wäre jeder Film zur ersten Kriegsbeteiligung deutscher Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen. Die Materialbasis bleibt, da wichtige Dokumente unter Verschluss sind, schwach. Ich erwähnte den Film im Zusammenhang einer weit über offizielle Kreise verbreiteten Meinung: den Serben ist Unrecht angetan worden. Sie suchen da nach Entlastungszeugen und da ich nun mal Deutscher bin, erwähnte man diesen Film. Möglicherweise hätte man - wenn ich Engländer gewesen wäre - den Literaturnobelpreisträger Harald Pinter genannt, der Freiheit für Milosevic forderte.
      Außerdem wandelte sich der Blick vieler Beobachter und Akteure:
      Zwischen der deutschen und französischen Diplomatie kam es nach der Anerkennung der Unabhängigkeit von Slowenien und Kroatien zu heftigen Auseinandersetzungen, so dass einige vermuten, der Rücktritt Genschers sei auch darin begründet.
      Beim Friedensabkommen in Dayton (Ohio) sah Clinton 1995 Milosevic als Garanten für einen Frieden. Wenige Jahre später war dieser der Schlächter auf dem Balkan.
      Schon in den Verfassungsänderungen Jugoslawiens kann man die serbische Frage erkennen...

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