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Wie gefährlich ist die Wahlrechtsreform der Ampel-Regierung?

Jürgen Klute
Theologe, Publizist und Politiker
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Jürgen KluteSamstag, 18.03.2023

Gestern hat piqer Dirk Liesemer hier auf einen brillanten Kommentar von Stefan Niggemeier auf „Übermedien“ hingewiesen: Der Bundestag muss ganz dringend verkleinert werden! Wirklich?.

Anna Lehmann und Tobias Schulze haben in der taz detailliert dargelegt, dass die Ampel-Regierung es bei der Begründung der gestern beschlossenen Wahlrechtsreform mit der Wahrheit nicht so genau genommen hat – deutlicher gesagt, dass die Bundesregierung Lügen verbreitet: Ampel gegen Sachverstand.

Pascal Beucker – ebenfalls taz – hat die Wahlrechtsreform aus politischer Perspektive zerpflückt: "Machtpolitische Selbstherrlichkeit".

Und nun hat auch Maximilian Steinbeis, Gründer und Chefredakteur des Verfassungsblogs, das Reformpaket kritisch unter die Lupe genommen. Sein Urteil ist vernichtend.

Steinbeis richtet den Fokus seiner Kritik nicht auf die Frage, ob die beschlossene Wahlrechtsreform verfassungsgemäß ist oder nicht. Vielmehr hat Steinbeis den Fokus auf Prozesse zur Aushöhlung von Rechtsstaat und liberaler Demokratie in anderen Staaten während der letzten Jahrzehnte gerichtet und kommt von daher zu seiner vernichtenden Kritik an dem, was die Ampel-Regierung mit der Wahlrechtsreform durchgezogen und möglicherweise angestoßen hat. Steinbeis wörtlich:

„Wenn man sich umschaut in der Welt, dann fällt auf, wie oft die feindliche Übernahme der liberalen demokratischen Verfassung von rechts nicht etwa mit einer feindlichen Übernahme von rechts angefangen hat, sondern erst einmal mit dem lautstarken Wehklagen von rechts über eine feindliche Übernahme von links. Wenn es der Rechten gelingt, das plausibel zu machen, schrumpfen die Möglichkeiten der Linken, sich diskursiv zur Wehr zu setzen, dramatisch.“

Er zeigt an mehreren Beispielen auf, wie solche Prozesse in der Vergangenheit abgelaufen sind und skizziert wie die CDU/CSU das Einfallstor für solche Prozesse, dass die Ampelregierung nun unwiderruflich auch für die bundesrepublikanische Demokratie geöffnet hat, für sich zukünftig nutzen könnte, um die Bundesrepublik erneut in Richtung einer autoritären Demokratie zu drängen.

Steinbeis zeigt aber auch Möglichkeiten auf, wie solche Aushöhlungsprozesse von Rechtsstaat und Demokratie durch regulative Vorkehrungen vermieden werden könnten, ist aber zugleich skeptisch, ob solche Vorkehrungen nach der aktuellen Wahlrechtsreform noch durchsetzbar sind.

Nach der Lektüre dieses Artikels von Steinbeis fragt man sich, was die Ampel-Regierung dazu gebracht hat, dass sie dieses Einfallstor für einen Abbauprozess der liberalen Demokratie und des Rechtsstaates aufgestoßen hat.

Wie gefährlich ist die Wahlrechtsreform der Ampel-Regierung?

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Kommentare 10
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    Jetzt mal unabhängig davon ob und wie sinnvoll diese Wahlrechtsänderung nun ist - finde ich doch die Argumentation ziemlich auffallend und nun ja frech: die Linken sind also schuld an der Aushöhlung der Demokratie weil sie den Rechten Vorwände liefern?

  2. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor mehr als ein Jahr

    Wenn man sich so generell die Kommentierung zur Reform anschaut – ob nun vom Grünen Ralf Fücks im DLF oder die Meinungen in der SZ, die ja auch nicht gerade konservativ ist –, dann kann man gespannt sein, wie es weitergeht. Ihr Bild hat die Koalition mit dieser Reform ganz schön ruiniert.

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor mehr als ein Jahr

      Hier zum Interview mit Fücks https://www.deutschlan...

  3. Markus Frank
    Markus Frank · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    Interessanter Artikel von Steinbeis. Zur lange ausgeübten Konvention, Wahlrecht möglichst im breiten Konsens zu ändern, schreibt er aber auch:

    "Diese Konvention hat bereits die schwarz-gelbe Koalition 2011 verletzt, als sie ihre Änderungen am Bundeswahlgesetz gegen den Widerstand der damaligen Oppositionsfraktionen durchdrückte. Die Große Koalition hat 2020 daraus einen Trend gemacht. Die Ampel hat ihr wohl jetzt den Rest gegeben. Eine Konvention, an die sich niemand mehr hält, ist tot. Ich sehe nicht, wie sie sich wieder zum Leben erwecken ließe."

    Das erweitert den Tenor des Artikels doch erheblich, dass die Ampel Unverzeihliches beginge. Und direkt nach dem zitierten Abschnitt schreibt Steinbeis folgenden Satz: "Das ist bereits für sich genommen ein großer verfassungskultureller Verlust, und die CSU trägt mit ihrer Blockadepolitik daran nicht die geringste Schuld." Diese Meinung kann ich gar nicht nachvollziehen. Die CSU saß doch sowohl bei den Änderungen 2011 als auch 2020 mit am Tisch und war Teil der Regierungsmehrheit, welche die Änderungen gegen die Opposition durchgesetzt hat. In meinen Augen war und ist die CSU mit ihrer Blockade immer noch hauptverantwortlich, dass das Wahlrecht weder 2011, 2020 noch heute konstruktiv mit einer breiten Mehrheit geändert werden konnte.

    1. Sven Sellmer
      Sven Sellmer · vor mehr als ein Jahr

      Er meint wohl: nicht die geringste Schuld = eine ziemlich große Schuld

  4. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

    Christoph Möllers, der die Bundesregierung beriet erklärt hier, warum er wenig Chancen für Klagen vor dem Verfassungsgericht sieht – und der Bundestag kleiner werden muss.
    https://www.spiegel.de...

    1. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor mehr als ein Jahr

      Ja, das habe ich heute Nachmittag auch gelesen. Überzeugend fand ich die Argumentation nicht. Und ich muss sagen, dass mir die Intervention von Stefan Niggemeier mehr und mehr einleuchtet. Man kann selbstverständlich dafür argumentieren, den Bundestag zu verkleinern. Ein "Muss" – also ein objektives Kriterium, dass jedem einleuchtend erscheinen muss – lässt sich dafür aber keineswegs konstruieren. Das Argument der Arbeitsfähigkeit, das Christoph Möller anführt, ist aus meiner Sicht schlicht Unsinn und verrät, dass er mit parlamentarischer Arbeit nicht vertraut ist. Ich war 5 fünf Jahre im Europäischen Parlament mit damals noch 751 MdEP und ich fand das EP sehr arbeits- und leistungsfähig. Die jetzt beschlossene Reduktion der Zahl der BT-Mitglieder ist ja auch willkürlich gesetzt und macht m.E. zur aktuellen Zahl keinen gravierenden Unterschied. Sachgründe für die jetzt immer noch beachtliche Größe des BT hat Möller m.E. keine benannt. Seine Sichtweise ist legitim aber sachlich nicht zwingend und politisch – wenn ich der Argumentation von Maximilian Steinbeis folge – brisant.

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

      @Jürgen Klute Christoph Möller erlebte ich als scharfen und scharfsinnigen Beobachter im Wissenschaftskolleg zu Berlin.

      Im Parlament kritisierten vor allem CSU und DIE LINKE die Grundmandatsklausel, deren Abschaffung gar nicht zwingend war.

      "Meiner Meinung nach wäre es verfassungsrechtlich möglich gewesen, die Grundmandatsklausel beizubehalten und politisch weniger riskant, diesen Einschnitt nicht vorzunehmen."

      Da stellt sich die Frage: Warum stimmte nach zehnjähriger (!) Debatte nicht eine Fraktion gegen die Verkleinerung des Parlaments?

  5. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor mehr als ein Jahr

    Guter Piq! Vielleicht hätten wir das Thema hier früher aufgreifen müssen…

    1. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor mehr als ein Jahr

      Danke. – Ja, das stimmt wohl. Ich muss aber gestehen, dass ich nicht damit gerechnet habe, dass der Bundestag sich einigt und dass die Regierung die Reform so massiv gegen die Opposition durchgesetzt hat. Das ist politisch einfach so unklug, wie es irgend sein kann.

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