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Quelle: Schlafzimmer von Familie Marcos (c) "Zu Besuch bei Diktatoren"
Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er bis 2017 wöchentlich auftrat und neue Texte las. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch", "Der Wächter von Pankow"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle", "Zuckersand"), Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien", "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland"), eine "Gebrauchsanweisung fürs Laufen" und "Schmidt liest Proust", das Tagebuch eines Lektürejahrs. Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks", "Schmythologie" und "Paargespräche" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die deutsch-deutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". Zuletzt erschien der Roman "Ein Auftrag für Otto Kwant".
Das Beste, was man über Diktatoren sagen kann, ist, daß sie häufig keines natürlichen Todes sterben. Die Nachwelt beurteilt sie nach ihren Taten, aber ihr Geschmack ist meist nicht weniger grausam. Nach ihrem Sturz kommen häufig Bilder ihrer Residenzen in Umlauf, von denen Peter York, Autor von "Zu Besuch bei Diktatoren" (und laut Klappentext "Englands Stil-Guru Nummer eins") schreibt: "Die Aufnahmen sind großartig, allein sie würden eine Invasion rechtfertigen." Wenn man diese Räume sieht, schätzt man sich tatsächlich glücklich, kein Diktator sein zu müssen. York hat in seinem Buch das Wohnumfeld eines Dutzend Diktatoren vom mexikanischen Präsidenten Porfirio Díaz bis zum serbischen Präsidenten Slobodan Milošević so kenntnisreich und süffisant beurteilt, daß man Angst bekommt, er könnte auch einmal bei einem selbst zuhause auftauchen und die Nase rümpfen. Ästhetische Schadenfreude ist das mindeste, was diese Männer (alle Diktatoren im Buch sind Männer), verdient haben. Man sollte sich aber nicht täuschen, der Diktatoren-Chic, irgendwo zwischen Hollywood der 20er Jahre und "Louis the Hotel" (tatsächlich erinnern noch die prunkvollsten Interieurs eher an Hotel-Empfangshallen), ist vermutlich nur der mit unbegrenzten finanziellen Mitteln und uneingeschränkter Macht ausgelebte Geschmack eines nicht geringen Teils unserer Mitbürger, in deren Wohnungen wir oft genug genauso verdattert stehen wie amerikanische Marines in Saddams Palästen. Bei Nachbarn, Freunden und Verwandten wird man auf die US Army allerdings vergeblich warten müssen, wenn es darum geht, einen Relaunch der Inneneinrichtung durchzusetzen.
Man könnte jetzt Bourdieu in Stellung bringen und zu Bedenken geben, daß Geschmack nicht objektiv ist, sondern ein Mittel der sozialen Distinktion, ein klassenbildender Herrschaftsmechanismus, aber obwohl Bourdieu das sehr überzeugend ausgeführt hat, kann man ja nicht wirklich so empfinden, nein, wer sich ovale Betten auf Podesten bauen läßt, unter Baldachinen aus geraffter Schlüpferseide schläft, bei wem jede Oberfläche glänzen muß (Klarlack, polierter Marmor, Messing, Gold), wer keinen Sinn hat für Patina, Gebrauchsspuren, Nuancen, Understatement, die Würde des bereits Vorhandenen, hat nichts als Spott verdient, denn es steht ja jedem frei, sich weiterzubilden, oder beim Einkauf Experten zu vertrauen, wir bohren uns ja auch nicht selbst die Zähne auf, sondern gehen zum Zahnarzt. Tatsächlich kommen Diktatoren oft aus bescheidenen Verhältnissen, besonders in Afrika hatten sich viele von ihnen in der Armee der früheren Kolonialmächte hochgedient, bevor sie nach der Unabhängigkeit des Landes die Macht an sich rissen und in der Regel wahnsinnig geworden sind. Man kann den Blick von der Häßlichkeit ihrer Paläste nicht abwenden, unter Diktatoren herrscht eine erbitterte Konkurrenz, wer in dieser Branche noch auffallen will, muß sich etwas einfallen lassen. Lenin hatte noch eine spartanische Inneneinrichtung, auf Hitlers Berghof fallen Einsprengsel erfundener bayrischer Volkstümlichkeit auf (heute nennt man es "Jodlerstil"), Mobutu hatte chinesische Pavillons ("eine Kreuzung zwischen einem neckischen Büropark am Stadtrand und einer Hotelanlage, die mit ein wenig Ethno-Styling aus Plastik aufgepeppt wurde"), Bokassa ließ sich in roter Schleppe vor einem riesigen goldenen Adler zum Kaiser krönen, Idi Amin (der angeblich die Köpfe seiner Gegner im Kühlschrank aufbewahrte) sieht man in seiner Exilbleibe in Dschidda sitzen, mit Veloursteppich, Blümchensofa und Stahlrohrtischchen mit Rauchglasplatte, Saddams überdimensionierte Paläste waren mit nie gesehenen kryptomythisch-sadistisch-pornographischen Sci-Fi-Gemälden ausgestattet (er hatte zahlreiche Paläste, in denen seine Doppelgänger gleichzeitig zu Abend aßen, während er sich vielleicht an einem viel kargeren, sicheren Ort befand). Wenn sich Tito (über den es nach seinem Tod hieß: "Nach Tito - Tito") privat inszeniert, sieht der ehemalige Schlosser aus wie ein neureicher, deutscher Kleinunternehmer, der sein Geld "mit Maschinen zur Zigarettenherstellung" gemacht hat. ("Der Einrichtungsstil einer ersten Generation, die noch weit entfernt vom Establishment ist und nicht zurückblickt.") In einer Art Wohnzimmer inmitten ausgestopfter Tiere, die für männliche Dominanz und Weitgereistheit stehen, wirkt er selbst wie ausgestopft. Das Badezimmer der Ceauşescus mit geteiltem lila Waschbecken, an dem sie sich mit Wasser aus goldenen Wasserhähnen gleichzeitig die Zähne putzen konnten, wirkt wie der vergilbte Luxus eines abgewrackten osteuropäischen Hotels. "Alles, womit die Ceauşescus sich umgeben haben, gehört zu der Sorte Einrichtung, die man komplett herausreißen würde, wenn man das Haus eines ehemaligen Facharztes für Altersheilkunde erworben hätte." Über Ferdinand und Imelda Marcos ("Selbst ihre Geldanlagen wirkten abgeschmackt") schreibt York:
"Das Ehepaar verfocht offiziell den Grundsatz, ihr Reichtum und Glamour würde inspirierend wirken und den Unternehmergeist fördern, da sie den Armen vormachten, sich selbst anzustrengen."
Ich kann mir vorstellen, daß das nicht wenige auch bei uns für eine brauchbare Form von Wirtschaftsförderung halten. À propos, wie sieht es eigentlich bei Trumps aus? Wird er das Oval Office noch stärker als bisher seinem Geschmack anpassen? (Bis jetzt hat er nur den Teppich ausgetauscht und Clintons Vorhänge wieder anbringen lassen). (Die Kopie des Oval Office, die man am Rogue Valley International-Medford Airport für Hochzeiten und Business meetings mieten kann, ist aber trotzdem schon nicht mehr aktuell.)
Eigentlich ist es ja gut, daß Diktatoren einen nicht dadurch verwirren, daß sie Geschmack haben und einem ihre Inneneinrichtung sympathisch sein muß. Das Büro des brutal-ungehobelten, machtbewußten und nicht für herausragende Intelligenz bekannten Erich Mielke sieht mit seinen Midcentury-Hellerau-Möbeln aus wie das eines philantropischen mittelständischen Firmenchefs, als der er sich vermutlich auch empfunden hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er sich die Einrichtung selbst ausgesucht hat.
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