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Quelle: http://futbolpractico.net/es/blog/28-zona-t%C3%A9cnica/periodizaci%C3%B3n-t%C3%A1ctica/35-que-es-la-periodizacion-tactica.html
Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er bis 2017 wöchentlich auftrat und neue Texte las. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch", "Der Wächter von Pankow"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle", "Zuckersand"), Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien", "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland"), eine "Gebrauchsanweisung fürs Laufen" und "Schmidt liest Proust", das Tagebuch eines Lektürejahrs. Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks", "Schmythologie" und "Paargespräche" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die deutsch-deutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". Zuletzt erschien der Roman "Ein Auftrag für Otto Kwant".
Nach Jahrzehnten des Fußballguckens im TV fühle ich mich eigentlich immer noch blind dafür, was auf dem Platz eigentlich genau vor sich geht. Es liegt wohl daran, daß man im Fernsehen kein Fußballspiel sieht, sondern sich von einer 90minütigen Schnittsequenz hypnotisieren läßt, die Wesentliches eher verbirgt als zeigt. Oftmals ist das Vergnügen natürlich gerade die geistige Entleerung, die sich beim stumpfen Glotzen einstellt, wo käme man denn hin, wenn man, wie der Kaiser, ein Spiel in fünf Minuten lesen und danach "weglegen" könnte? Seltsamerweise drifte ich geistig immer weg, selbst wenn ich mir vornehme, auf alle Feinheiten zu achten. Es gibt wahrscheinlich keine Möglichkeit, wirklich alles mitzubekommen, selbst wenn man mitspielen würde, denn dann würde einem wieder die Draufsicht fehlen, die Informationen über gelaufenen Meter, über gespielte Pässe oder dieses "Wärmebild", auf dem man sieht, wo auf dem Platz sich ein Spieler aufgehalten hat. Die Realität ist weit mehr, als wir von ihr bemerken.
Bei wichtigen Spielen würde ich gerne mehr von den Nuancen genießen können, wie jemand, der bei Beethoven nicht nur zuhört, sondern gleichzeitig die Partitur mitliest und sich freut, wie geschickt das alles komponiert ist. Aber dafür geht es beim Fußball viel zu schnell und man sieht im Moment des Angriffs nicht, was die Abwehr in der Zeit macht, bzw. man sieht einen Abwehrspieler eine Anspielstation für einen weiten Ball suchen, aber man sieht nicht, wie sich die Stürmer in dem Moment bewegen. Vieles ist für mich auch erst in Zeitlupe zu erkennen, z.B., was sich in dem Pulk abgespielt hat, der sich im Strafraum bei einer Ecke bildet. (Bis zu dieser WM wußte ich gar nicht, daß manche Teams bei Ecken mit Manndeckung, andere mit Raumdeckung, wieder andere mit einer Mischung aus beidem verteidigen.)
Das moderne Spiel wird in Schlüsselszenen entschieden, heißt es. Aber wo beginnt eine spielentscheidende Szene? Das 2:2 von Belgien gegen Japan fiel, weil Japan eine Ecke bekam. Oder fiel es, weil Japaner zu gewissenhaft und fair sind, um eine Ecke zum Zeitschinden zu nutzen statt sie vors Tor zu schlagen und direkt in einen Konter zu laufen? Hat es mit der Erziehung zu tun? Wie weit zurück reichen die Ursachen einer gelungenen Tat? Möglicherweise hat sich schon beim Anstoß alles entschieden? Oder sogar lange davor? Muß man bis in die Kindheit der Spieler zurückgehen, um zu verstehen, was auf dem Platz passiert?
In kaum einem Bereich des Lebens herrscht so eine Sehnsucht nach Theorie und Analyse wie beim Fußball und doch wird im Fernsehen viel zu wenig theoretisiert und analysiert, obwohl sich selbst bildungsferne Schichten danach sehnen, was für eine verpaßte Chance! Warum wird so viel geredet und so wenig gesagt? Ich habe mich immer gefreut, wenn Holger Stanislawski während der WM eine Szene analysieren durfte, aber noch lieber hätte ich das ganze Spiel ein zweites Mal gesehen und erklärt bekommen.
Meine Sprachstudien haben eigentlich immer dem heimlichen Zweck gedient, mir ausländischen Fußballjournalismus zugänglich zu machen. Während der WM in Rußland habe ich mit Vergnügen El País gelesen, um alles aus einer anderen Perspektive beschrieben zu bekommen. Die spanische Sprache eignet sich besonders gut dafür, banalen Aussagen einen bedeutenden Impetus zu geben. Und Spanisch ist eine hervorragende Fußballsprache, aus Phrasen wird Poesie. Es fühlte sich ein bißchen an, als würde ich einen Roman im Original lesen. Die "Bustaktik" der Engländer bei Ecken nannte sich hier "trenecito" (Zügchen). Und die Spielweise der Franzosen heißt "fútbol hormigón" (was leider nicht "Ameisenhaufen-Fußball" heißt, wie ich erst dachte, sondern "Betonfußball".)
Schon im Vorfeld des Turniers gab in El País ein langes Interview mit Carlos Queiroz, dem Trainer des Iran. Queiroz ist 1953 in Mosambik geboren und nach der Nelkenrevolution nach Portugal gegangen. Sein größter Erfolg waren die U-20-Weltmeisterschaften 1989 und 1991 mit Portugal, für das damals u.a. Figo, João Pinto und Rui Costa spielten. Später war er Assistent von Alex Ferguson und eine erfolglose Saison lang Trainer von Real Madrid (im Interview sagt er, Pérez hätte ihm damals nicht gestattet, Sergio Ramos zu verpflichten, der erst in der nächsten Saison für sehr viel mehr Geld kam. Mit dem Iran hätte es Queiroz bei der WM fast ins Achtelfinale geschafft. Im Interview berichtet er, wie er das Team auf dieses Ziel vorbereitet hat.)
Auf die Frage nach dem in taktischen Fragen entscheidenden Moment seiner Karriere ("el momento más transformador") nennt Queiroz nicht etwa ein bestimmtes Spiel, ein großes Turnier oder die Lehrzeit bei einem Trainer, sondern sein Studium an der Technischen Universität von Lissabon, wo er darauf bestanden habe, einen Abschluß mit einer Arbeit über Trainingsmethodik im Fußball schreiben zu dürfen. Er sei der Erste gewesen, dem das gelungen sei. Jahrelang habe er dafür die wichtigsten Fußballschulen studiert, die südamerikanische, die südeueopäische, die nordeuropäische, die englische und die deutsche. 1982 kam ihm (vermutlich ohne Luhmann gelesen zu haben) die Idee, von "la simplificación de la estructura compleja del juego" zu sprechen, der "Vereinfachung der komplexen Struktur des Spiels".
"En ese trabajo concluí que el juego se fundamentaba en tres elementos base y un elemento que sintetiza y armoniza los otros tres y transmite la ciencia compleja del trabajo de equipo. Presenté un estudio para abordar el cambio metodológico de todo el entrenamiento basado en estos tres elementos: espacio, tiempo y número. Con esos tres vectores estructuré una cuarta componente de observación de la complejidad relativa del juego que formaba la cohesión y el juego de equipo. Eso cambió mi vida. "
("In dieser Arbeit kam ich zu dem Schluß, daß das Spiel auf drei Grundelementen basierte, sowie einem Element, das die anderen zusammenfügt und harmonisiert. Ich stellte eine Studie vor, um den methodischen Wechsel des ganzen Trainings auf der Basis dieser drei Elemente anzugehen: Raum, Zeit und Zahl. Mit diesen drei Vektoren strukturierte ich eine vierte Komponente, um die relative Komplexität des Spiels zu beobachten, die in der Kohäsion des Mannschaftsspiels bestand. Das hat mein Leben verändert.")
Die Anwendung seiner theoretischen Erkenntnisse im Training mit der Generation um Figo habe zu den Erfolgen des portugiesischen U-Teams geführt. Nun wird ihm die Frage gestellt, ob sich dahinter nicht die "periodización táctica" verberge, die "taktische Periodisierung" die aus der "Schule von Porto" stammt, der z.B. Guardiola angehört, aber auch Mourinho. Oberflächliches Googeln führt uns in erstaunliche Theoriewelten, Begriffe wie Freezing, Subsubprinzip, Operationalisierung, "Das Prinzip der horizontalen Variation der Spezifizität", fallen. Vereinfacht gesagt, bedeutet taktische Periodisierung, daß man so trainiert, wie man spielen will. Theoretisch begründet wurde diese Schule von Professor Vitor Frade von der Universität Porto, der vom "Paradigma de la Complejidad" und der "Teoría de los Sistemas" spricht. Das "Paradigma der Komplexität" und die "Theorie der Systeme"! So muß über Fußball gesprochen werden! Was für eine Genugtuung für uns Intellektuelle, wenn sich herausstellt, daß eine der wichtigsten spieltaktischen Revolutionen der letzten Jahre von den theoretischen Überlegungen eines Uni-Professors ausgegangen sein soll. Könnte man vielleicht hoffen, daß Fußball in Wirklichkeit doch Denkarbeit und erst in zweiter Linie Körperarbeit ist? Manchmal machen Trainer ja diese "benutzt-euren-Kopf"-Geste, indem sie sich mit beiden Zeigefingern in die Schläfen pieksen. Ich frage mich dann immer, was die Spieler bei einem Zweitore-Rückstand in der 80.Minute damit anfangen sollen. Zumal manche Spieler intelligenter spielen, wenn sie nicht nachdenken. (Ein dazu passendes Narrativ ist der Mythos vom taktisch besonders anspruchsvollen Trainer, der selbst nur ein mittelmäßiger Spieler gewesen ist. Gerade weil er nicht spielen konnte, wie er es gerne gewollt hätte, hat es ihn in die Theorie getrieben.)
"Hacer cerebral la dinámica comportamental", darum geht es: die Verhaltensdynamik zerebral machen. Entscheidend ist dafür, daß im Training keine "dekontextualisierten Übungen" durchgeführt werden. Man trainiert nicht gesondert Physis, Technik oder Taktik. Man muß immer die Wettkampfsituation simulieren, auch mental, und lernen, Entscheidungen im spielerischen Kontext zu treffen.
"La Periodización Táctica es una metodología de entrenamiento cuya preocupación máxima es el 'jugar' que un equipo pretende producir en la competición."
("Die taktische Periodisierung ist eine Trainingsmethode, bei der es vor allem um das Spiel geht, das die Mannschaft im Wettkampf spielen will.")
Grundlagenausdauer stellt sich bei der Arbeit mit dem Ball ein (wobei das nicht jeder glaubt, Klopp zum Beispiel wird auf Spielverlagerung zitiert: "Ein reines Training mit Ball ist ein Mythos. Nichts trainiert Laufstärke besser als Laufen, Laufen, Laufen.")
Bei seinen Studien der verschiedenen Trainingsmethoden fiel Queiroz auf, daß die meisten Trainer das Spiel zerstörten und im Verein mit den Jungen gar nicht Fußball trainiert wurde, sondern Treppentraining oder Dauerlauf, wo es doch darum ging, Fußballspieler aus ihnen zu machen, die in der Lage waren, auf dem Platz die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es herrschte damals die Auffassung, daß die Summe der einzelnen Trainingsübungen das Ganze ergebe, was aber nicht stimme. Zumal eine wichtige Komponente fehlt: die Entscheidungsfreiheit, die nur im Kontext trainiert werden kann. Heute schätze man kreative Spieler, die früher von der Straße kamen, wo sie gelernt hatten, sich durchzusetzen und Entscheidungen zu treffen.
Hat also der Trainer doch mehr Einfluß auf den Erfolg der Mannschaft als bestimmte Spieler zu kaufen und durch geschicktes Rotieren die Stars bei Laune zu halten? Was ihm gelingt, weil er "Mensch" geblieben ist und eine beeindruckende Ausstrahlung hat? Kann er die Qualität der Mannschaft beeinflussen, und zwar nicht nur durch Aufstellung und Coaching, sondern durch sein Training? Unser Freund Mourinho, der allgemein als siegeslüsterner Fußballzerstörer gilt, glaubt nicht nur das, sondern für ihn sind die Spieler nur Marionetten des Trainers, wobei er sie das nicht spüren lassen will: "Yo se a donde he de llegar, pero en lugar de decirles 'vamos hacia ahí', quiero que sean ellos los que descubran el camino."
("Ich weiß, wohin wir müssen, aber statt ihnen zu sagen: 'Los, dorthin geht es', möchte ich, daß sie selbst den Weg entdecken.")
Das ist natürlich reine Hybris. Schon weil wesentliche Faktoren des Erfolgs völlig unkontrollierbar bleiben, wie Queiroz sagt:
"¿Por qué factores exógenos pueden influir tanto en la definición de un equipo: la confianza, la autoestima la convicción, el carácter…? En resumen: sí podemos comprar talentos e intentar ganar un campeonato, pero tú no compras carácter para salir campeón."
("Warum können äußere Faktoren eine Mannschaft so sehr beeinflussen? Vertrauen, Selbstbewußtsein, Überzeugung, Charakter? Wir können Talente kaufen und versuchen, ein Turnier zu gewinnen, aber du kannst keinen Charakter kaufen, um Champion zu werden.")
In unserer Zeit lebten wir, wie Queiroz sagt, in einer Meinungsdiktatur, in der jeder in verantwortungsloser Weise ungerechte Urteile abgebe, was eine Atmosphäre um die Mannschaft schaffen könne, die sie negativ beeinflusse. Enzo Bearzot habe sich 1982 mit ganz Italien angelegt, aber Italien sei Weltmeister geworden, weil man im Team eine "Wir gegen alle"-Stimmung geschaffen habe. Das zeige, welche wichtige Rolle das Gehirn spiele, aber: "No sabemos nada del cerebro." ("Wir wissen nichts vom Gehirn.") Und dieser Einschätzung kann man sich gerade als Kopfarbeiter nur anschließen.
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