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Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er bis 2017 wöchentlich auftrat und neue Texte las. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch", "Der Wächter von Pankow"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle", "Zuckersand"), Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien", "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland"), eine "Gebrauchsanweisung fürs Laufen" und "Schmidt liest Proust", das Tagebuch eines Lektürejahrs. Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks", "Schmythologie" und "Paargespräche" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die deutsch-deutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". Zuletzt erschien der Roman "Ein Auftrag für Otto Kwant".
Von Japan habe ich nur Klischees im Kopf, aber immerhin solche, die bei mir den Wunsch wecken, dort einmal länger zu leben. Eines davon ist die Vorstellung von einer dort vorherrschenden, der unseren geradezu entgegengesetzten, Schönheitsauffassung, dem Wabi-Sabi, das verhüllte Schönheit bedeutet, gebrochenes Mondlicht, bemoosten Fels, Oberflächen mit Patina. Ein Manifest des japanischen Ästhetizismus ist das 1933 erschienene "Lob des Schattens" von Tanizaki Jun'ichiro. Der Autor befand sich damals schon in einem Rückzugsgefecht, denn Japan hatte sich zu seinen Lebzeiten rasant verändert. In Edmund de Waals Proustbuch und Familiengeschichte "Der Hase mit den Bernsteinaugen" kann man nachlesen, wie ein Vorfahr von de Waal im 19.Jahrhundert japanische Holzdrucke sammelte, die offenbar damals in Japan verschleudert und massenweise nach Europa eingeführt wurden, was zur Mode des Orientalismus beitrug. Tanizakis Text will eine Antithese zum Japan überrollenden westlichen Lebensstil formulieren, er erinnert an "unsere Vorfahren, die die Gabe hatten, alles zu poetisieren". Was er der westlichen Ästhetik entgegenstellt, ist eine extreme Verfeinerung und eine vollkommen andere Schönheitsauffassung, aus der sich eine andere Architektur und ein anderes Verhältnis zum Licht ableiten. Während im Westen auf Glanz poliert und bunt lackiert wird, schätze man in Japan Patina, Abgegriffenheit, Gebrauchsspuren und den Schatten. Ein schönes Beispiel ist der Abort: "Meister Soseki soll den allmorgendlichen Toilettenbesuch zu den Annehmlichkeiten des Lebens gerechnet haben, indem er bemerkte, es handle sich in erster Linie um ein physiologisches Wohlgefühl." Der japanische Abort ist aus fein gemasertem Holz, man sieht den Himmel und das Laubwerk. Dazu gehören "ein gewisses Halbdunkel, gründliche Sauberkeit und eine Stille, die selbst das Summen einer Mücke ans Ohr dringen läßt." Die aufdringlich grelle Beleuchtung im Westen zeigt eine Sauberkeit , die nur dazu anrege "auf das zu schließen, was unsichtbar bleibt." Dagegen habe das gemaserte Holz in Japan "eine seltsam beruhigende Wirkung auf die Nerven." Tanizaki phantasiert, was wohl wäre, wenn man im Osten eine eigene Physik und Chemie betrieben hätte, und dadurch andere Apparate und Medikamente produziert hätte. Statt eines Füllfederhalters mit Metallfeder hätte man einen mit Pinselhaaren erfunden und das hätte verhindert, daß das Denken so sehr dem Westen nachgeeifert hätte. (Was er wohl zum Kawaii sagen würde, dem heute beliebten japanischen Niedlichkeitskult?) Mit anderen Geräten ist es genauso, auf Platten aufgenommen und durch Lautsprecher verstärkt, verliere japanische Musik ihren Reiz. Beim Betrachten der Musterung von Japanpapier (hosho-Papier) spüre man "eine Art Wärme, die unser Herz beruhigt." Westliches Papier werfe das Licht zurück, hosho-Papier sauge die Lichtstrahlen in sich auf "wie eine Fläche weichen, frisch gefallenen Schnees" und fühle sich sanft und feucht an wie ein Laubblatt. "Im Allgemeinen werden wir von innerer Unruhe erfaßt, wenn wir hell glänzende Dinge sehen." In Japan freut man sich "wenn der Oberflächenglanz verschwindet und Kessel und Schalen mit dem Alter schwarz anlaufen." (Das paßt gut zum Gedanken der kleinbürgerlichen Sehnsucht nach feudalem Glanz in "Putzen als Passion".) Bei Glas ziehe man dem seichten, hellen Glanz "ein vertieftes umwölktes Schimmern vor". Es gibt sogar ein Wort für Abgegriffenheit: "nare". "Während die Abendländer den Schmutz radikal aufzudecken und zu entfernen trachten, konservieren ihn die Ostasiaten sorgfältig und ästhetisieren ihn." Kein Wunder, daß Tanizaki westlich eingerichtete Zahnarztpraxen einschüchtern, in Japan dürften die Gerätschaften eigentlich nicht glitzern und die Wände nicht weiß sein.
Besonders am Herzen liegt Tanizaki das dunkel oder schwarz lackierte Eßgeschirr, das nicht so unangenehm klirre, aber zu seinem Kummer schon als bäurisch angesehen werde. Grund sei die falsche Beleuchtung. Nur bei traditioneller Kerzenbeleuchtung erlebe man den Zauber des dunklen Geschirrs. "Wenn ich eine Suppenschale in der Hand halte, dann liebe ich über alles ihre lebendige Wärme und die Schwere ihres Inhalts, die auf der Handfläche lastet. Es ist ein Gefühl, als ob man den geschmeidigen Körper eines eben geborenen Säuglings trüge." In einer Keramikschale zeige sich die Färbung der Flüssigkeit durch und durch sobald man den Deckel hebe. "Unvergleichlich ist dagegen beim Gebrauch einer Lackschale die kurze Zeitspanne vom Abnehmen des Deckels bis zum Ansetzen der Schale an den Mund, wenn am dunklen, tief hinabführenden Schalengrund die kaum von der Lackfarbe zu unterscheidende, lautlos dahindämmernde Flüssigkeit sich dem Auge darbietet." Das sanfte Schwanken der Brühe, der feine Dampf, der sich am Rand niederschlägt, der Geruch. "Ein Zustand der Selbstvergessenheit". Ich werde bei der nächsten Miso-Suppe darauf achten!
Was bedeutet das für die Architektur? Das japanische Haus ist vom Dach her gebaut, das tief herunterreicht und Schatten wirft. Dieser Schatten des Vordachs wird als besonders wichtig und schön empfunden. Das Haus wird wie in einen vom Dach abgezirkelten Schattenbezirk hineinkonstruiert. Weil man keine Ziegel und kein Glas hatte, mußte man das Dach so tief ziehen, dadurch lebte man in dunkleren Räumen und entdeckte die dem Schatten innewohnende Schönheit. Dämmerlicht, Kerzenlicht, das die Dunkelheit großer Räume körperlich werden läßt, dämmrige Winkel, dunkle Stellen, der Eindruck "die Luft sei dort lautlos in sich versunken und das Dunkel von einer ewig unveränderlichen Stille beherrscht." Habe den Leser "nie eine Art Schauder vor dem 'Ewigen' erfaßt im Gedanken, daß Sie während des Aufenthalts in diesem Raum das Zeitgefühl verlieren könnten, daß unbemerkt Jahre verstreichen und Sie als weißhaariger Greis daraus hervortreten könnten?" Aus welchen Gründen kam es zu derartig starken Geschmacksunterschieden? "Meiner Meinung nach ist es die Art von uns Ostasiaten, die Umstände, in die wir einbezogen sind, zu akzeptieren und uns mit den jeweiligen Verhältnissen zufriedenzugeben. Deshalb stört uns das Dunkel nicht [..] Demgegenüber sind die aktiven Menschen des Westens ständig auf der Suche nach besseren Verhältnissen [..] und mühen sich ab, selbst den geringfügigsten Schatten zu verscheuchen." Die Entwicklung ist aber, das weiß Tanizaki, unumkehrbar, Japan habe längst einen Kurs entlang den Leitlinien der westlichen Kultur eingeschlagen. Rettung bietet, wie eigentlich meistens, nur die Literatur: "Ich jedenfalls möchte versuchen, unsere schon halb verlorene Welt der Schatten wenigstens im Bereich des literarischen Werks wieder aufleben zu lassen. Ich möchte am Gebäude, das sich Literatur nennt, das Vordach tief herabziehen, die Wände beschatten, was zu deutlich sichtbar wird, ins Dunkel zurückstoßen und überflüssige Innenverzierungen wegreißen."
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