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Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er bis 2017 wöchentlich auftrat und neue Texte las. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch", "Der Wächter von Pankow"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle", "Zuckersand"), Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien", "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland"), eine "Gebrauchsanweisung fürs Laufen" und "Schmidt liest Proust", das Tagebuch eines Lektürejahrs. Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks", "Schmythologie" und "Paargespräche" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die deutsch-deutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". Zuletzt erschien der Roman "Ein Auftrag für Otto Kwant".
Der ultraproduktive Riad Sattouf hat schon wieder ein Album "rausgehauen", eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen die mühsam erworbenen Französischkenntnisse einem einen Vorsprung verschaffen, weil man nicht auf die Übersetzung warten muß (die in seinem Fall auch meistens gar nicht kommt). Wie kann man so jung schon so viel geschrieben haben? Und dazu kommen ja noch zwei Spielfilme, die er gedreht hat. In französischen Comics gibt es hinten immer eine Auflistung "du même auteur", unter der man alle anderen Titel des Autors sieht, auch die, die in anderen Verlagen erschienen sind. (Ich hätte das bei meinen Büchern auch gerne so, aber ich bezweifle, daß ein belletristischer Verlag in Deutschland das machen würde, obwohl es für Autor und Leser gut wäre.) In der Liste zähle ich 15 Alben, leider kenne ich sie schon fast alle, denn ich kann mich an Riad Sattouf nicht sattlesen. "Les cahiers d'Esther – Histoire de mes 10 ans" ist eine Sammlung von 52 Geschichten, die alle von der kleinen Esther handeln, angeblich sind sie wahr und Esther hat sie dem Autor persönlich erzählt. Diese Comic-Kolumnen erscheinen wöchentlich im Nouvel Observateur (könnte man sich so etwas beim "Spiegel" vorstellen?) Esther ist anfangs neun Jahre alt und geht an eine Privatschule in Paris, weil ihr Vater das für Mädchen besser findet, zumindest bis zum collège (er hat Angst vor den gewalttätigen Jungs, die tatsächlich alle altersbedingt gestört wirken). Ihre Eltern sind aber nicht reich, im Gegensatz zu vielen Eltern anderer Kinder (was sich nicht in ihrem Bildungsniveau widerspiegelt, im Gegenteil. Seit "La Boum" hat sich in den Milieus der bessergestellten französischen Jugendlichen anscheinend einiges verändert.) Sie hält sich sogar für das ärmste Kind der Schule, weil sie als einzige kein Smartphone hat, geschweige denn das ersehnte iPhone6 (was ihr Vater aus erzieherischen Gründen sympathischerweise ablehnt. Sie wird ihren vier Töchtern aber schon mit der Geburt eins schenken "pour qu'elles aient une meilleure jeunesse que leur mère"). Riad Sattouf ist ja eine Art Chronist der französischen Jugend, wie er schon in dem wundervollen "Retour au collège" (und in der Serie "La vie sécrète des jeunes") bewiesen hat, in dem er mit Mitte zwanzig noch einmal zur Schule geht, wie ein Mörder an den Tatort, denn diese Zeit steckt uns unser Leben lang in den Knochen. Man kann bei ihm seine Verlan-Kenntnisse auffrischen: "cistra" (raciste), "renoi" (noir), "rebeu" (beure) "relou" (lourd, also "casse-pieds".) Esthers älterer Bruder ("Il a 14 ans et il est assez con, mais c'est normal pour un garçon"), geht an eine öffentliche Schule, für ihn "l'pire endroit sur terre!". Ihr Vater ist Fitnesstrainer ("Je l'aime d'amour"). Beim Einschlafen hat sie Träume von einem KidSecrets, einem elektronischen Kalender, mit dem man Geheimnisse aufzeichnen kann. Ihre Konsum- und Kitschträume wirken aber durch ihre aufgeweckte, schwärmerische Perspektive seltsam anrührend. Dazu kommt natürlich der präzise, karikaturhafte Stil von Riad Sattouf, bei dem eigentlich niemand "schön" aussieht, und mit dem er sich besonders gerne an der Testosteron-Ästhetik der Rapper und Fußballer abarbeitet. Esther: der Zauber der jungen Jahre, wenn wir die Welt für das halten, was wir von ihr wissen. Besonders reizvoll wird das in der doppelten Brechung, wenn sie im Urlaub bei der bretonischen Oma eine vollständige Sammlung von Daniel-Balavoine-Platten entdeckt: "C'était un artiste très sensible et mal dans sa peau qui vécut il y a longtemps. Je comprends pas qu'il soit pas plus connu." Ihre Mitschüler, vor allem die Jungen, sehen aus, als hätte Fellini einen Internatsfilm gecastet, aber Sattouf macht sich nicht über sie lustig. Esther erklärt uns Erwachsenen ihre Welt, und sie ist dabei herrlich nonchalant, so daß man sieht, daß sie die traurige Realität (Rassismus, Konsumismus, Internetsucht) relativ cool wegsteckt. Wenn man Kinder hat, insbesondere Jungen, kriegt man aber jetzt schon Angst vor diesem Alter, in dem sie sich "Fußballerfrisuren" machen lassen wollen (was an Esthers Schule verboten ist). Natürlich gibt es auch die komischen Effekte der kindlichen Ahnungslosigkeit, z.B. wenn es im Unterricht um den 100jährige Krieg geht. Sie versteht nicht, warum Jeanne d'Arc "une femme avec une coiffure horrible" "dem Delphin Charles" helfen wollte, französischer König zu werden. Und man taucht wieder in die Abgründe der jugendlichen Kommunikation ein. Wenn sie auf dem Schulhof ein Zettelchen bekommt: "Esther, je ne t'aime pas t'es conne L. (tu sais qui) P.S. et toi? <--- la vérité est l'inverse LOL". Ein Meisterstück ist "Le Charlie", die Geschichte, die sozusagen live auf das Attentat auf Charlie Hebdo Bezug nimmt. "Cette semaine, il s'est passé quelque chose de grave. Ma meilleure amie Eugénie a dit que j'étais 'chiante'." Esther muß Eugénie ihr "collier BFF" zurückgeben, die best-friend-forever-Kette mit dem halben Herz. Am Abend kommt dann die Attacke auf Charlie Hebdo in den Nachrichten. Und am nächsten Tag kommt ein Mann in die Schule und hält eine Ansprache: "Il s'est passé quelque chose de vraiment grave, mais je peux pas vous dire quoi. On va tous faire une minute de silence tout à l'heure". Esther bekommt dabei einen Lachanfall, weil die anderen mit geschlossenen Augen so komisch aussehen. Sie tröstet die wegen der Terrorattacke weinende Eugénie und bekommt von ihr ein BFF-Armband geschenkt (die Kette hatte inzwischen schon ein anderes Mädchen bekommen.) "Finalement, tout s'est bien terminé!"
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