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Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er bis 2017 wöchentlich auftrat und neue Texte las. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch", "Der Wächter von Pankow"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle", "Zuckersand"), Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien", "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland"), eine "Gebrauchsanweisung fürs Laufen" und "Schmidt liest Proust", das Tagebuch eines Lektürejahrs. Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks", "Schmythologie" und "Paargespräche" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die deutsch-deutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". Zuletzt erschien der Roman "Ein Auftrag für Otto Kwant".
Es scheint mir eine gute Idee, Comicautoren Kinderbücher illustrieren zu lassen. Sie sind ja oft selbst noch halbe Kinder, und es kann gar nicht genug gute Kinderbücher geben. Ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich Weihnachten oder Geburtstage oder andere Anlässe abwarten sollte, um meinen Kindern Bücher zu schenken, nein, sie bekommen alle paar Tage ein Neues, schon weil ich mich beim Vorlesen nicht langweilen möchte. Endlich weiß ich auch, wozu ich Englisch gelernt habe, denn so kann ich manchmal auf englische oder amerikanische Bücher ausweichen, zu Herrlichkeiten wie „Benny's Brigade". Ein Buch, dessen Geschichte von Arthur Bradford und dessen Bilder von Lisa Hanawalt stammen (die ich hier schon für ihr Sound-Buch „Farts around the world" gepriesen habe: https://www.piqd.de/literatenfunk/farts-around-the-world). Das Buch hat ein verschwenderisch großes Format, die Farben sind wundervoll klar und die Tiere realistisch, aber gleichzeitig hanawaltisch gezeichnet. Es gibt auf fast jeder Seite Tiere zu entdecken: Käfer, Vögel, Schnecken mit Schleimspuren, eine Muräne, einen Narwal, einen Clownsfisch und Hanawalts Emblemtier, den Toucan (sowie einen „Toucan't"). Interessieren sich Kinder eigentlich wirklich für Tiere oder denken das die Erwachsenen nur? Wahrscheinlich findet man heute mehr Tiere in Kinderbüchern als in der freien Natur. Manchmal sieht man sie aber nur nicht, weil sie sich in einer Wackelnuss befinden, wie sie Elsie und Theo, zwei Schwestern, auf ihrem Schulweg entdecken. In der Nuss befindet sich ein winziges Walross, dessen Barthaare schön am Handrücken kitzeln. Der alte Menschheitstraum vom sprechenden Tier, das klein genug ist, um es in der Hosentasche mit in die Schule nehmen zu können, scheint wahr zu werden. Aber das Walross hat Sehnsucht nach dem Meer: „And then poor Benny began to cry because he missed his life back in the ocean. 'Don't ever crawl inside something dark and mysterious, boys and girls,' said Benny. 'I should never have gotten inside that strange nut …'" Die Kinder beschließen, Benny zu helfen und bauen ihm aus einer Milchpackung, einem Stift, Papier, Strippe und Klebeband ein Boot, auf dem ihn ein paar Nacktschnecken, die so groß sind wie Benny und ja auch ein bisschen wie Walrösser aussehen, als Mannschaft begleiten werden. Aber da ihnen unterwegs einfällt, dass das Meer zu salzig für Nacktschnecken ist, steuern sie lieber eine Insel an, auf der bereits (Doppelseite!) ungefähr 50 interessante Tiere durcheinanderwuseln. Da man Kinderbücher unter Umständen hundert Mal und öfter vorlesen muss, ist es immer ein Segen, wenn sie einem selbst gefallen und man immer wieder etwas Neues entdecken kann. Zum Beispiel (wofür ich Wochen gebraucht habe), dass man den Schutzumschlag dieses Buchs auseinanderfalten kann und ein beidseitig bedrucktes Plakat mit der Tierinsel in den Händen hält. Das Schöne ist ja, dass Kinder ganz unberechenbare Leser sind. Man weiß nie, was sie an einem Buch beeindrucken wird. Weil ich „Theo and Elsie gave Benny some of their lunch" mit „Theo und Elsie teilten mit Benny ihr Schulbrot" übersetzt habe, wollte mein Sohn wochenlang für jeden Spaziergang ein Schulbrot geschmiert bekommen.
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