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Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er bis 2017 wöchentlich auftrat und neue Texte las. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch", "Der Wächter von Pankow"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle", "Zuckersand"), Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien", "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland"), eine "Gebrauchsanweisung fürs Laufen" und "Schmidt liest Proust", das Tagebuch eines Lektürejahrs. Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks", "Schmythologie" und "Paargespräche" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die deutsch-deutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". Zuletzt erschien der Roman "Ein Auftrag für Otto Kwant".
Zwanzig Jahre verspätet schaffe ich so nach und nach den Lesekanon für die Zwischenprüfung im Fach „Neuere deutsche Literatur". Es gibt so viele Neuerscheinungen, da wirkt es schon fast exzentrisch, sich Alterscheinungen zu widmen. Dabei sind die „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" ein großer Spaß. Thomas Mann hat es ja geschafft, in „Lotte in Weimar" sogar aus Goethe ein Selbstporträt zu machen, und im Krull hat er spürbar Vergnügen daran, einen Hochstapler zu porträtieren, der in Wirklichkeit ein Künstler ist, so wie jeder Künstler hochstapelt. Krull, der ein sonniges Gemüt hat, was ihn so sympathisch macht, kann sich jeder Umwelt äußerlich anpassen. Er ist ein brillanter Rhetoriker, der mit seinen Reden alle um den Finger wickelt — was die Menschen ja auch wollen. Er ist voller Wissbegier, weil ihm jede Information einmal nützen kann, so studiert Krull als armer Schlucker auf nächtlichen Streifzügen die Schaufenster in Frankfurt und eignet sich so z.B. Kenntnisse über Edelsteine an, die er benötigt, wenn er später mit einem Hehler verhandelt. „Bildung wird nicht in stumpfer Fron und Plackerei gewonnen, sondern ist ein Geschenk der Freiheit und des äußeren Müßiggangs; man erringt sie nicht, man atmet sie ein." Das Credo der Schulversager, man möchte nicht widersprechen. Krull kann Sprachen vom Mithören. Zeichnen fällt ihm nicht schwer. „Lawn-Tennis" kann er auf Anhieb passabel spielen. Seine Technik, zufälliges Bildungsgut in die Rede einzuflechten und so gebildeter zu scheinen, als er ist, hat Thomas Mann natürlich auch immer angewendet (seine Frau behauptete ja, er hätte genau das vom Gegenstand gewusst, was in seinen Büchern stand und kein bisschen mehr, und auch dieses Wissen hinterher sofort vergessen.) Krull hat Lampenfieber wie ein Schauspieler, wenn er in seine Musterung geht wie in eine Aufführung, mit dem Ziel, untauglich geschrieben zu werden. Hinterher ist er zu recht stolz, wie gut er war. Er nennt es, „der Natur nachhelfen". Denn was heißt schon Betrug? „Die Ausstattung einer lebendigen, aber nicht völlig ins Reich des Wirklichen eingetretenen Wahrheit mit denjenigen materiellen Merkmalen, derer sie bedarf, um von der Welt erkannt und gewürdigt zu werden." So klingt es schon besser. Und wer will es ihm verdenken, wenn er doch nur Freude am Leben hat? „Denn die bunten und lustigen Möglichkeiten des Lebens beginnen so recht erst jenseits jener gründlich aufräumenden Katastrophe, die man treffend als bürgerlichen Tod bezeichnet." Krulls geschraubte Sprache liest sich herrlich, ein kaum mehr gepflegtes Deutsch, das Thomas Manns Parodisten nicht hinbekommen, er parodiert sich ja permanent selbst. Wer spricht hier, wenn Krull über Mitreisende im Zugabteil sagt: „Ein so durstiger wie verletzlicher Schönheitssinn jedoch, den die Natur in mich gelegt, zwingt meine Augen, mich von ihnen abzuwenden." Das Buch ist ein Fest des Altmodischen, seltsame Wörter lernt man: Blähhals, Heckpfennig, Bankbruch, Frère-et-cochon-Fuß, Felleisen, Doppelperspektiv, Aftermieter, Qualis artifex-Ambitionen. (Thomas Mann schreibt tatsächlich „Tomato Catchup".) Landeskundliches gibt es auch, so dass man „beim Franzosen" heiter-sympathischen Anklang findet, alleine dadurch, dass man „une jolie femme" sagt, während „der Amerikaner" sein Essen erst einmal vorschneidet, das Messer fortlegt und mit der Rechten speist.
Leider wird es im zweiten Teil, wenn Krull auf Weltreise geht, aber nur bis Lissabon kommt (wie lang hätte das Buch wohl werden sollen?) etwas zäh. Die Eroberung einer spröden, in Wirklichkeit aber natürlich heißblütigen portugiesischen Tochter und anschließend auch der noblen Mutter zieht sich in die Länge. Thomas Manns Vorstellung vom südlichen Frauentyp bleibt doch ziemlich schematisch. Am Ende muss sogar ein Stierkampf herhalten, um auf die finale Liebesszene einzustimmen: „Ein Wirbelsturm urtümlicher Kräfte trug mich ins Reich der Wonne. Und hoch, stürmischer als beim iberischen Blutspiel, sah ich unter meinen glühenden Zärtlichkeiten den königlichen Busen wogen." Besser hat mir die Stelle am Anfang gefallen, wo der junge Krull vor dem Spiegel trainiert, seine Pupillen durch Willenskraft groß und klein werden zu lassen.
Verlorene Praxis: Nach französischer Sitte Hut und Stock mit in den Saal nehmen.
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Wunderbar! Bei mir iste s auch nicht lang her und ich erinnere mich gedacht zu haben: "ich will mit gar niemandem was zu tun haben, dem das Lesen dieses Buches nicht irgendwie auch peinlich ist."