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Jochen Schmidt zählte 1999 zu den Mitbegründern der Berliner Lesebühne "Chaussee der Enthusiasten", bei der er bis 2017 wöchentlich auftrat und neue Texte las. Er veröffentlichte Erzählungen ("Triumphgemüse", "Seine großen Erfolge", "Meine wichtigsten Körperfunktionen", "Weltall. Erde. Mensch", "Der Wächter von Pankow"), Romane ("Müller haut uns raus", "Schneckenmühle", "Zuckersand"), Reiseliteratur ("Gebrauchsanweisung für die Bretagne", "Gebrauchsanweisung für Rumänien", "Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland"), eine "Gebrauchsanweisung fürs Laufen" und "Schmidt liest Proust", das Tagebuch eines Lektürejahrs. Mit der Künstlerin Line Hoven arbeitete er für "Dudenbrooks", "Schmythologie" und "Paargespräche" zusammen. Gemeinsam mit David Wagner schrieb er die deutsch-deutsche Kindheitserkundung "Drüben und drüben". Zuletzt erschien der Roman "Ein Auftrag für Otto Kwant".
Birgit Weyhes Arbeit habe ich erst durch ihre Graphic Novel "Madgermanes" kennengelernt (hier auf piqd), in der sie sich dem Schicksal moçambikanischer Vertragsarbeiter in der DDR gewidmet hat. Offenbar war der Band erfreulicherweise so erfolgreich, daß der Avant-Verlag nun Birgit Weyhes erstes Buch "Ich weiss", das bereits 2008 im Mami-Verlag erschienen ist, neu herausgibt. Es ist immer ärgerlich, wenn man gute Autoren mit solcher Verspätung entdeckt, aber es macht andererseits auch Hoffnung auf noch mehr Entdeckungen. Weyhes Buch enthält geschickt miteinander verknüpfte, episodische Erinnerungen an ihre Kindheit, die sie in verschiedenen Ländern Ostafrikas verbracht hat (eine längere Geschichte handelt von einer Reise, die sie als Erwachsene nach Tansania unternimmt). Schon in diesem ihrem ersten Buch hat sie die reichen Mittel und unvergleichlichen Freiheiten des Genres mit erstaunlicher Virtuosität genutzt, um ihre wundervoll pointierten Geschichten zu erzählen. Mein Afrikabild ist bedauerlicherweise wohl immer noch unterbewußt von den vielen alten Tarzan-Filmen geprägt, die früher am Nachmittag im Fernsehen liefen und mir eine tiefe Angst vor diesem Kontinent mit seinen kriegerischen Stämmen einflößten. Ich bin also dankbar, wenn mich "Ich weiss" auf hartnäckige Klischeevorstellungen aufmerksam macht. Schon daß man gewöhnlich undifferenziert über "Afrika" als Einheit spricht, ist ja fragwürdig. Aber über den überraschenden Informationen, die dieses Buchs vermittelt (und Graphic Novels eignen sich hervorragend, um effektiv aufzuklären), darf sein künstlerisches Niveau nicht vergessen werden. Manche Panels ähneln Infografiken, auf anderen werden Details mit der Lupe betrachtet, bei wieder anderen gestattet sich die Autorin selbst das Vergnügen wundervoller, zoologischer Darstellungen (Chamäleons!). Gerne wird Schrift zum Teil des Bildes und damit zum Bedeutungsträger. Besonders, wenn Gewalt thematisiert wird, bewegt sich Weyhe vom kindlich-freundlichen Stil weg, den sie mit links beherrscht, und zeichnet finster und verstörend, wobei sie immer wieder das, was ich (ich bin da jetzt vorsichtig) "afrikanische" Motive und Ornamentik nennen würde, verwendet (vor allem natürlich, wenn sie sich der Mythologie widmet.)
Besonders gefällt mir allerdings die kindliche Perspektive auf die Welt der Erwachsenen. Seltsam genug, daß ich es bemerkenswert finde, wenn ein deutsches Mädchen in Afrika aufwächst (wenn man ehrlich ist, fragt man sich doch, ob das nicht zu gefährlich ist? Dabei wachsen afrikanische Kinder ja auch in Afrika auf.) Einerseits staunt man, wie normal das Leben für Kinder dort sein kann, wenn sie in der Pause auf dem Schulhof Chamäleons von einem Busch pflücken und mit deren Farbveränderungen spielen, bis sie "kaputt" sind, also nur noch schwarz. Aber in einer anderen Episode finden die Mädchen, als sie sich vom Schulhof unerlaubt zum "Kaugummikiosk" entfernen, einen "Pharao" - in Wirklichkeit ein von Idi Amins Schergen getöteter Dissident, also jemand, der "etwas Böses über ihn gesagt hat", wie ihr ihre Mutter erklärt. Aus Langeweile wählt Birgit am Nachmittag irgendwelche Telefonnummern, spricht selbst ausgedachte Schimpfwörter in den Hörer und legt wieder auf. Als sich am Ende der Leitung aber ein "Amin" meldet, denkt sie, sie werde jetzt auch zum Pharao gemacht und hat den Nachmittag über schreckliche Angst. Die rührende, kindliche Fähigkeit, sich auf poetische Art die Welt zu erklären und durch originelle Mißverständnisse die Erwachsenen zum Perspektivwechsel anzuregen, trifft hier auf eine grausame Wirklichkeit (halb verwester Toter auf der Straße = Pharao), was die bewältigte erzählerische Spannweite noch eindrucksvoller macht. Jede Episode im Buch hat solche Qualitäten. Eine Ausgangssperre in Nairobi führt dazu, daß ihre Mutter zu ihrer Freude jeden Abend zuhause bleibt und mit ihr Karten spielt. Wegen einer Autopanne auf dem Weg in die Serengeti warten zwei junge Frauen drei Tage in einer Mission auf den Schweißer aus einem Nachbardorf. Ein blindes Mädchen, das in der Mission lebt, hat mit einem staatlichen Programm lesen gelernt, besitzt aber nur ein einziges Buch in Blindenschrift: "Macbeth", über das sie gerne mit jemandem sprechen möchte. Aber wie erklärt man ihm, was Schnee ist? Und daß Schnee zwar aus Wasser, in Europa aber nichts wert ist? Es gibt aber auch einfach interessante Details über den afrikanischen Alltag zu erfahren. In Tansania steht noch ein Plattenbau-Hotel, ein Geschenk der DDR. Als die Supermärkte in Uganda praktisch leer waren (chinesische Stoffschirme wurden in einer Kühltruhe angeboten), liebte Birgit sie trotzdem, weil es nur dort Einkaufswagen gab. Außerdem konnte sie sich eine Sammlung Tropfenfänger für Teekannen anlegen, denn dieses Produkt war immer im Angebot.
Ich werde mir jetzt auch die anderen Bücher von Birgit Weyhe besorgen und freue mich, wieder eine deutsche Comicautorin entdeckt zu haben, deren Werk ich in Zukunft verfolgen werde. Ein Detail hat mir selbst übrigens ein kleines Erinnerungsglück verschafft, nämlich daß auf dem Auto-Werkzeug, das die Frauen auf ihrer Tour in die Serengeti miführen, "CHROME VANADIUM" stand. Ich mußte wieder an die Faszination denken, die ich als Kind für Vanadium empfand, ein Spezialmetall, das für unsere Schraubschlüssel aus dem Westen verwendet worden war und sicher überlegene und das vielleicht sogar magische Qualitäten hatte. Vanadium hätte längst in eines meiner Bücher gehört, mir fallen sofort mehrere geeignete Stellen ein, aber jetzt ist es zu spät. Dank Birgit Weyhes "Ich weiss" werde das Wort aber nicht noch einmal vergessen.
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