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Wenn du zu Hause nicht sicher bist

Jennifer Sutholt
psychologische Beraterin

Als psychologische Beraterin unterstütze ich alleinstehende Personen mit Kinderwunsch, baue ein Informationsportal für Co-Elternschaft auf und engagiere mich ehrenamtlich bei Solomütter Deutschland e.V.

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Jennifer SutholtSonntag, 29.11.2020

Seit Jahren steigt die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt. Zu den Statistiken von 2019 sagt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey auf tagesschau.de:

"Die Zahlen sind schockierend", ... : Im Jahr 2019 sei statistisch betrachtet an fast jedem dritten Tag eine Frau durch die Tat ihres Partners oder Ex-Partners gestorben. Umgerechnet alle 45 Minuten werde eine Frau durch ihren Partner verletzt oder angegriffen.
Die Zahlen steigen seit 2015 an. Damals wurden die Polizeistatistiken erstmals nach Gewaltdelikten in Beziehungen durchforstet. Seither werden sie jährlich aufgelistet.

Wie sehr sich Corona, der Lockdown, die zweite Welle und der daraus resultierende Stress auf die Sicherheit gerade von Frauen und Kindern auswirken werden, ist noch nicht abzusehen. Klar ist aber schon jetzt, die Zahlen steigen an. Es gibt viele Hilfsangebote, die auch angenommen werden. Doch viele Frauen schweigen aus Angst vor dem Täter.

Wie es sich mit einem gewalttätigen Vater im Lockdown lebt, berichtet Nathalie auf vice.com:

Seit fünf Wochen stecke ich mit ihm in der Wohnung fest. Ich kann nicht an die Uni, kann keine Freundinnen treffen, keine Nachhilfe geben. Ich kann noch nicht einmal an verpflichtenden Webseminaren für mein Studium teilnehmen, weil mein Vater ständig reinplatzt und wissen möchte, mit wem ich spreche. Oder er will einfach mithören. Die wenigen Möglichkeiten, die ich früher hatte, um mich abzulenken, fallen weg.
Die wenigen Freundinnen, mit denen ich sprechen kann, verstehen nicht, warum ich nicht einfach ausziehe. Aber meine Angstzustände machen ein selbstständiges Leben schwer, die alltäglichsten Dinge kosten unfassbar viel Kraft. Außerdem kämpft meine Familie immer schon mit Existenzängsten. Ich kann mir mit meinem Nebenjob kein WG-Zimmer leisten. Und dann ist da ja noch meine Mutter, die ich nicht alleine lassen möchte, selbst wenn ich könnte. Sein Terror verteilt sich auf uns beide. Alleine schafft sie das nicht.

Die Angst vor dem Täter und um die Mutter lässt die Tochter schweigen und aushalten. Die entstandenen Angststörungen machen den Auszug unmöglich. Eine Situation, die wirkt wie aus den 1950ern und doch heute noch Realität ist.

Seit 20 Jahren haben Kinder ein Recht darauf, gewaltfrei aufzuwachsen. Doch der Weg dahin ist noch weit. Das zeigt die aktuelle Studie der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Ulm. Die Zustimmung zu körperlicher Gewalt ist immer noch erschreckend hoch. Denn wer Gewalt selber erlebt hat, lässt sie in der eigene Erziehung eher als Maßnahme gelten. Ein Teufelskreis, der nur langsam durchbrochen wird.

Das Ulmer Forschungsteam um den Kinderpsychiater Jörg Fegert hat allerdings nicht nur nach den Einstellungen gefragt, sondern auch nach selbst erlebter Gewalt: Sogar in der jüngsten Gruppe, bei den 14- bis 30-Jährigen, gibt die Hälfte an, Klapse auf den Po bekommen zu haben, mehr als jeder Zehnte wurde "niedergebrüllt". Nur 20 Prozent der Menschen in Deutschland hat nach eigenen Angaben keinerlei Erfahrungen mit Gewalt in der Erziehung gemacht.
Diese Zahlen mögen erschreckend wirken, doch sie stehen für eine Erfolgsgeschichte: Laut der Ulmer Studie gaben vor zwanzig Jahren noch gut 75 Prozent der Menschen an, dass sie einen Schlag auf den Hintern für eine angemessene Erziehungsmaßnahme hielten. Zugleich ist durch das Ideal der Gewaltfreiheit aber ein Schweigeraum entstanden: Die meisten Eltern wissen, sie dürfen auch beim größten Frust keine Gewalt anwenden. Viele Eltern wollen diesem Ideal entsprechen, scheitern aber daran – und trauen sich dann nicht, darüber zu reden.

Obwohl sich eine deutlich positive Entwicklung abzeichnet, müsste hier noch mehr getan werden.

Der ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Universitätsklinikums Ulm Jörg Fegert wurde von zeit.de dazu befragt, was sich in den 20 Jahren, in denen die gewaltfreie Erziehung gesetzlich verankert ist, geändert hat:

Damals hieß es, das sei Symbolpolitik. Als Forscher – und als Rechthaber – bin ich froh, dass wir das heute mit Empirie widerlegen können. Die Entwicklung war gesellschaftlich ein Fortschritt, mir geht sie trotzdem nicht schnell genug. Wir brauchen jetzt ein klares Zeichen: Die Kinderrechte gehören ins Grundgesetz, denn dann wäre für jeden klar, welch hohes Gut sie sind.


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