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*1966 in Karl-Marx-Stadt
Studium in Leipzig und Frankfurt am Main
Redakteur bei EDIT und Ostraghege
freier Autor
letzte Veröffentlichungen: Kaiseralbum (Verlagshaus Berlin), Das Modell (Edition Nautilus), Die Rückkehr der Tiere (Verlagshaus Berlin)
Es liegt nunmehr über 30 Jahre zurück, dass das politische System des Kommunismus Land für Land zusammenbrach. Die in sich verkrusteten politischen Konstruktionen, die sich in ihren Staatsorden und Verlautbarungen auf Marx beriefen, damit aber nicht kritisches Denken, sondern vielmehr Bronzeköpfe und andere auch steinerne Monumente meinten, waren Staat nach Staat zusammengebrochen. Was einerseits Freiheit bedeutete, aber ähnlich wie die Situation in Kleists Novelle „Das Erdbeben von Chili“ spielte sich Freiheit nur für einen Moment unter den Trümmern ab, die sich gegenseitig stützten. Nach dem endgültigen Zusammenbruch auch der Ruinen übernahm der Neoliberalismus das Feld, und auch im Westen wurde mächtig an sozialen Errungenschaften geschraubt, was letztlich bis zu den Ausbrüchen der Zehnerjahre und der Finanzkrise führte.
Eine Reaktion darauf in den letzten Jahren scheint zu sein, dass wieder ein Interesse an marxistischer Theorie aufkeimt. Zumindest in der jüngeren Generation ist das zu beobachten. Und auch wenn es über Jahre den Anschein gab, Marx und die marxistische Theorie seien verschwunden, zeigt es sich, dass sie in einigen Enklaven und im außereuropäischen Exil überlebt haben.
Stefan Gandler ist Philosoph in Mexiko. Studiert und promoviert hat er zu Zeiten oben angesprochener Umbrüche in Osteuropa, also um das Jahr 1990 herum, in Frankfurt am Main. Und am Anfang des Jahres 1990 tauchte er auch mit einer Delegation Frankfurter Studierender in Leipzig auf, wo ich damals an der Universität, die noch den Namen Karl Marx trug, studierte. Die Bekanntschaft mit ihm und anderen Frankfurter Studierenden veranlasste mich, nachdem die Grenze für Ostdeutsche durchlässig geworden war, von Leipzig nach Frankfurt zu wechseln. Da war Gandler aber schon auf dem Sprung.
Ich studierte zunächst vor allem bei Gandlers Doktorvater Alfred Schmidt über dessen Vorlesungen zur Geschichte des Materialismus, die kürzlich als Buch erschienen sind, wie ich auf dieser Seite bereits berichtet habe.
Gandler jedenfalls war damals mit seiner Promotion beschäftigt, die sich um den spanisch-mexikanischen Philosophen Adolfo Sánchez Vásquez drehte. Sánchez Vásquez, ein spanischer Kommunist und marxistischer Theoretiker war nach dem spanischen Bürgerkrieg, also nach Francos Sieg, den er mit Unterstützung deutscher faschistischer Kräfte errungen hatte, nach Mexiko emigriert und dort seine Theorien entwickelt und korrigiert. 1989 hatte Gandler eine zeitlang bei ihm in Mexiko studiert. Er schreibt:
„Indem ich an seinen Seminaren teilnahm und seine Texte las, begann ich zu begreifen, dass noch so etwas wie eine Möglichkeit besteht, wieder kritisches Denken auch innerhalb der universitären und philosophischen Räumlichkeiten aufzugreifen.“
In seinem jüngst erschienenen Buch „Der diskrete Charme der Moderne“ wirft Gandler blitzlichtartige Illuminationen auf die theoretische und politische Situation in Europa und Lateinamerika und referiert anhaltende Debatten, die ehedem unterschwellig, aber jetzt doch zunehmend an Bedeutung gewinnen. Zum Beispiel die Auseinandersetzung mit Benito Juaréz als Vertreter des Liberalismus scheint mir auch für europäische Diskurse fruchtbar.
Und vor allem insistiert Gandler darauf, dass Theorie und politische Praxis nicht zu trennen sind.
Aber auch Theorie und Kunst sind nicht zu trennen und so finden sich im Buch grandiose Tuschezeichnungen von Sofía Rodríguez Fernández.
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