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Literatur

Lob des Kaleidoskops

Lob des Kaleidoskops

Jan Kuhlbrodt
Autor und Philosoph

*1966 in Karl-Marx-Stadt
Studium in Leipzig und Frankfurt am Main
Redakteur bei EDIT und Ostraghege
freier Autor
letzte Veröffentlichungen: Kaiseralbum (Verlagshaus Berlin), Das Modell (Edition Nautilus), Die Rückkehr der Tiere (Verlagshaus Berlin)

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Jan KuhlbrodtSamstag, 20.06.2020

Zu George Eliots Middlemarch

„Denn der Ausschnitt aus einem Leben, so charakteristisch er auch sein mag, ist nicht wie das Muster eines gleichmäßigen Gewebes: Versprechen werden vielleicht nicht eingehalten, und auf einen enthusiastischen Aufbruch folgt vielleicht der Niedergang; im Verborgenen schlummernde Kräfte, finden vielleicht ihr lange ersehntes Betätigungsfeld, ein Fehltritt in der Vergangenheit zwingt vielleicht zu großartiger Wiedergutmachung.“

Warum ist mir das bislang entgangen? Ich bin vielleicht so etwas, was man einen Vielleser nennt, aber ich bin auch bequem. Also verlasse ich mich nicht auf meine unzureichenden Sprachkenntnisse und versuche sie nur manchmal in enormen Kraftaufwand durch die Lektüre fremdsprachiger Texte, in meinem Fall englischer und russischer, zu vervollkommnen, sondern begebe mich in die Hand literarischer Übersetzer, immer in der Hoffnung, mir werde eine deutsche Version des Textes geliefert, die dem Original nahe kommt und auch meine Schönheitssehnsucht in der Übersetzung annähernd befriedigt. Und wenn das passiert, bin ich dankbar, dass es Übersetzerinnen und Übersetzer gibt, und natürlich auch diesen Spracharbeiterinnen und -arbeitern selbst.

Middlemarch ist ein Werk der englischen Schriftstellerin George Eliot. Mit bürgerlichem Namen hieß sie Mary Ann Evens. Warum sie für ihre literarische Karriere im 19. Jahrhundert einen männlichen Namen als Pseudonym wählte, ist angesichts der europäischen Gesellschaften dieser Zeit naheliegend. Bevor Eliot eine literarische Karriere startete, legte sie einige Arbeiten auf philosophischem Gebiet vor, wie zum Beispiel die Übersetzung von Texten des deutschen religionskritischen Philosophen Ludwig Feuerbach, der in seiner Schrift „Wesen des Christentums“ den Glauben an Gott durch eine recht sentimentale Liebesreligion ersetzt sehen wollte.

Hier geht Eliot in ihren eigenen Texten einen ganz anderen Weg, das Sentimentalische ist ihr fremd, und als Frau im von letztlich doch sentimentalen Männern geprägten Universitätsbetrieb hätte sie zu ihrer Zeit keinen Platz gefunden. Ein Glück für mich als Leser ist es, dass sie ihn, wenn auch eben unter männlichem Pseudonym, in der Literatur fand.

Im letzten Jahr sind zwei Ausgaben des Romans Middlemarch in unterschiedlichen Übersetzungen erschienen, deren Qualität in den Rezensionen jeweils gelobt wurde. Also bestellte ich mir die dtv-Ausgabe, weil mir das Cover und der Schutzumschlag besser gefielen, das heißt, um es einzugestehen, ich finde die verschlungenen floralen Motive darauf wunderschön. Ich bin eben, wie die Philosophen des 19. Jahrhunderts, auch ein sentimentaler Mann.

In dieser Ausgabe findet sich eine Übersetzung von Rainer Zerbst und es gelingt ihm sehr gut, die unsentimentale Eleganz des Textes ins Deutsche zu transportieren. Und das ist sicher nicht ganz leicht gewesen. Denn der Roman hat über 1.000 Seiten und liefert das kaleidoskopische Bild einer englischen Provinzstadt in der Mitte des 19. Jahrhunderts, und zwar nicht, indem er der Spur einer Handlung folgt, sich gewissermaßen geradlinig durch die Gegend bewegt, sondern eher indem er Spots an verschiedenen Punkten aufscheinen lässt, Unterbühnen gewissermaßen, auf denen gesprochen wird, Hochzeits-, Geschäfts- und Reisepläne werden verhandelt. die Züge der Sprecherinnen oder Sprecher, aber auch die Interieurs der Räumlichkeiten werden beleuchtet. Es entsteht eine Art Soziogramm der mittelenglischen kleinstädtischen Gesellschaft. Aber, und das macht die Kunst des Textes aus, bei aller Nüchternheit der Beschreibung nimmt man doch Anteil an den zuweilen verwickelten Lebenswegen der Protagonistinnen und Protagonisten und den verschiedenen Auslegungen und Begründungen von Liebe und ehelicher Beziehung.

In ihrem Vorwort rückt die Autorin Elisabeth Bronfen das Werk in einen zeitgenössischen feministischen Kontext, wo es sowohl als Klassiker, aber auch in einer gesteigerten Aktualität seinen Platz findet. Die Bedingung der Ehe als Zwangsort, aber auch Möglichkeit von Verwirklichung wird mit der Vielfalt weiblicher Selbstentwürfe kontrastiert.

Im Nachwort zeichnet der Übersetzer eine Entstehungsgeschichte des Romans, die unter anderem die Bedingungen der Konstruktion des Werkes aufzeigt, zum Beispiel das übereinander Schieben zweier unterschiedlicher Projekte, die aufgrund ihrer Vielschichtigkeit letztlich die kaleidoskopische Form geradezu fordern. Man, oder zumindest ich, las in jedem Moment, in jedem Kapitel atemlos. Und fühle mich darüber hinaus belehrt, auch über die Entstehung zeitgenössischer Identität, und wundervoll unterhalten. Was für ein Werk!

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