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*1966 in Karl-Marx-Stadt
Studium in Leipzig und Frankfurt am Main
Redakteur bei EDIT und Ostraghege
freier Autor
letzte Veröffentlichungen: Kaiseralbum (Verlagshaus Berlin), Das Modell (Edition Nautilus), Die Rückkehr der Tiere (Verlagshaus Berlin)
Und jetzt? Er gibt sich den Anschein, ein Ziel zu haben. Mit großen Schritten geht er los, als ob dort, wohin er geht, jemand warten würde und es von höchster Dringlichkeit wäre, rechtzeitig hin zu gelangen. Müßig spazieren zu gehen, einfach so, um des Gehens willen, hat er probiert – kann er nicht.
Der Renteneintritt muss für viele eine ungeheuer dramatische Umstellung sein, denn die moderne Gesellschaft verlangt doch eine immense Identifikation des Schaffenden mit seiner Arbeit. Na gut, wahrscheinlich war es schon länger so, allein wenn man die Zunamensstruktur hierzulande betrachtet. Nicht wenige Namen verweisen auf ein Betätigungsfeld, und auch wenn der heutige Namensträger damit nichts mehr zu tun hat, weil die Namen innerfamiliär vererbt werden, so sind die Bäckers, Schlossers, Müllers usw. wohl doch die Abkömmlinge einer entsprechenden Handwerkerdynastie. Soweit so europäisch.
Milena Michiko Flasars Roman „Herr Kato spielt Familie“ aber ist in Japan angesiedelt, und in Japan soll die Identifikation mit Beruf und vor allem Unternehmen noch stärker ausgeprägt sein, als hierzulande.
(http://www.milenaflasar.com/buecher/herr-kato-spielt-familie/)
Der Protagonist des Romans jedenfalls tritt ins Rentenalter, und muss mit der neuen Lage zurechtkommen. Was läge also näher, als einen neuen Job anzunehmen.
Als sie sich vor der Wedding Chapel treffen, fühlt er sich wie an einem Filmset. Alles schwirrt aufgeregt durcheinander und ist sich gleichzeitig seiner Rolle bewusst.
Nun ist das Spannende und Aufregende an diesem Roman, dass der neue Job, der ihm von einer mysteriösen Fremden angeboten wird, darin besteht, die Identitäten anderer anzunehmen, um sie bei Familienfesten, Restaurantbesuchen, Zoospaziergängen etc. zu vertreten, beziehungsweise in eine Lücke zu springen, die das Schicksal im Leben anderer offengelassen hat. Sein neuer Job besteht also in einer Art stand-in-Dienstleistung, wie wenn beim Film in Proben die Hauptdarsteller durch Komparsen ersetzt werden, die ihnen körperlich ähneln.
Aber diese Form der Tätigkeit hat natürlich den Nebeneffekt, dass Herr Kato auch Eigenschaften und Verhalten derer annimmt, die er vertritt, momentlang auch gefühlsmäßig zu jenen wird, sich mit ihnen identifiziert.
Flasars Roman ist also ein Spiel mit Identitäten vor dem Hintergrund einer japanischen Vorstadt und einer Familie, die mit modernsten Problemen des Alterns zu kämpfen hat. Eindringlich, befremdlich, aber auch schön.
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