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Literatur

Gegenwartserkundungen. Die neuen Geschichten von Tanja Schwarz

Gegenwartserkundungen. Die neuen Geschichten von Tanja Schwarz

Jan Kuhlbrodt
Autor und Philosoph

*1966 in Karl-Marx-Stadt
Studium in Leipzig und Frankfurt am Main
Redakteur bei EDIT und Ostraghege
freier Autor
letzte Veröffentlichungen: Kaiseralbum (Verlagshaus Berlin), Das Modell (Edition Nautilus), Die Rückkehr der Tiere (Verlagshaus Berlin)

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Jan KuhlbrodtSamstag, 25.09.2021

Am Montag, den 27.9.2021 ist der offizielle Erscheinungstermin von „In neuem Licht“:

Eine handvoll Jahre nach „Weltroman“, in welchem sie eine Gruppe von Protagonistinnen und Protagonisten um den globalisierten Globus trudeln ließ und sich in verschiedenen Gegenden verfangen, legt Tanja Schwarz bei Hanserblau einen Band mit Erzählungen vor, der auf eine gewisse Art eine fokussierte Konsequenz aus dem im Roman Erzählten darstellt.

Sprachlich knüpft sie an ihren 2001 erschienen Erzählungsband „Der nächtliche Skater“ an, als sie sich bereits als Virtuosin des Tons erwies. Dieses Buch erschien am 12. September, also einen Tag nach dem Ereignis, das den Start des neuen Jahrtausends überschattete.

Es ist grandios, wie Schwarz komplizierte und schmerzhafte Sachverhalte in eine elegante Sprache packt, ohne dass sie ihre Relevanz verlieren. Dabei macht sie auch vor geradezu slapstickhafter Rasanz nicht halt, zum Beispiel wenn sie beschreibt, wie Geflüchtete beim Versuch einer Polizeikontrolle zu entkommen, im stockenden Hamburger Verkehr Zuflucht in einer Limousine suchen, deren Fahrer sich letztlich als sorgender Ehemann und Kavalier erweist, der sein Auto leihweise den Geflüchteten überlässt. Diese Geschichte, die hier kurz anklingt, war für mich die überraschendste des ganzen Bandes.

Die Globalisierung ist kein Sachverhalt, der sich in der weiten Welt abspielt, sondern sie führt auch zu Veränderungen der Lebenszusammenhänge im Teil der Welt, der sich nur allzu gern zu deren Zentrum erklärt. Zur Innovationsmaschine, wie ich kürzlich in einem Wahlkampfgespräch hörte. Was ja nichts anders bedeutet, als das Festhalten an einem überkommenen kolonialen Blick auf das, was koloniales Handeln angerichtet hat.

Diesem Blick wird, wer die Erzählungen von Schwarz liest, notwendig entkommen. Weil hier die Erschütterungen seismografisch aufgezeichnet sind.

Die Protagonistinnen sind, wenn auch wach, so doch erschöpft zuweilen und verunsichert. Wenn eine Frau zum Beispiel eine Liebesbeziehung zu einem wesentlich jüngeren syrischen Geflüchteten eingeht, er ist unwesentlich älter als ihr Sohn, bleibt letztlich unklar, wie die Gefühle beider in einem Gewirr an sozialen und sachlichen Abhängigkeiten hinsichtlich eines romantischen Gefühls zu bewerten sind.

Die meisten Erzählungen des Bandes handeln in Hamburg oder in der schwäbischen Provinz, in die die Protagonistin einer Erzählung reist, um ihre Mutter zu besuchen.

In einer aber unternimmt ein Hamburger Paar mit dem jugendlichen Sohn den Versuch einer Ansiedlung an der walisischen Küste. Irgendwie hat sich auf dem Kontinent ein Flüchtling in den Umzugswagen geschmuggelt und nach der Ankunft beginnt eine Art Menschenjagd auf den Schafweiden. Die deutschen Zuwanderer indessen werden mit offenen Armen empfangen, denn sie werden sich um den Erhalt der alten walisischen Kulturlandschaft kümmern.

In dieser knapp bevölkerten Geschichte zeigen sich Spannungsbögen einer mittlerweile schwer zu durchschauenden Gegenwart. Und es zeigt die Risse in den tradierten Weltbildern und Ideologien. Auch äußert sich etwas, was sich in einer anderen Story schon angelegt findet; wenn Jugendliche weit ab vom nächsten Burgerrestaurant gegen jene Burgerkette demonstrieren und scheinbar mehr Wert legen auf die Originalität ihrer Zeichen, als auf die Wahrheit der Realität ihrer Forderungen.

Der Verlag nennt die Geschichten Miniromane, was angesichts der Komplexität des Geschilderten durchaus seine Berechtigung hat. Einige aber bergen auch alle Komponenten vorzüglicher Short Stories. Schwarz findet eindringliche Bilder dafür, was die Wirrnis unserer Zeit ausmacht. Und irgendwo lauert in diesen Geschichten sogar ein gewisser Optimismus.

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